500 Jahre Josquin Desprez († 1521)

Ob es Ludwig XI. oder Ludwig XII. war, dem Josquin, der wohl größte Komponist der Renaissance, einen Streich spielte, ist auch nach 500 Jahren noch nicht völlig geklärt. Auf jeden Fall war es der französische König persönlich, der den Meister um eine eigene Gesangspartie bat: er wolle bei einer Aufführung gerne einmal mitsingen. Josquin tat, wie ihm befohlen. Allerdings hielt er von den sanglichen Qualitäten des Königs so wenig, dass er dessen Stimme nur auf einem einzigen Ton komponierte.

Wer sich so etwas traut, weiß um seinen Wert. Nicht nur wegen seines kantigen Charakters wird Josquin oft mit Beethoven verglichen. Josquins Erneuerungen der frankoflämischen Vokalpolyphonie strahlten weit voraus bis hin zu J.S. Bach. Zwar sind die Stationen seines Lebens – St. Quentin, Aix-en-Provence, Paris, Mailand bei Kardinal Ascanio Sforza, Sixtinische Kapelle in

Rom, Mailand, Ferrara, zurück nach Nordfrankreich – nicht lückenlos rekonstruierbar. Aber einiges gilt doch als gesichert, z.B. dass Josquin 1503 in Ferrara als Kapellmeister am Hofe des Herzogs Ercole I. d’Este mit 200 Dukaten das höchste Gehalt verhandelte, das je ein Musiker dort erhalten hatte. Für den Herzog, eine schillernde, Pracht liebende Persönlichkeit, schrieb er eine ebenso prachtvolle Messe, die „Missa Hercules dux Ferrariae“. Schon zu Lebzeiten war sein Vorname in aller Munde, bei Herrschern, Musikern und Dichtern. In Italien verglich man ihn posthum mit Michelangelo. Als erstem Komponisten der Musikgeschichte wurde ihm ein Individualdruck seiner Messen mit dem hochmodernen Notendruckverfahren mit Metalllettern gewidmet. Eine größere Ehre gab es nicht.

Zu Josquins berührendsten Werken zählt die französische Trauermotette über den Tod Ockeghems, der 1497 an der damaligen Pandemie, der Pest, verstarb. Die „déploration de la mort de Jehan Ockeghem“ imitiert mit fünf Stimmen den Stil des älteren Komponisten in unablässig ineinanderfließenden Linien über einem Cantus firmus aus dem Introitus „Requiem aeternam“. Ein pures Meisterwerk ist die „Missa Pange Lingua“ für vier Gesangsstimmen. In der Regel singen höchstens drei Sänger je eine Stimme. Allen fünf Sätzen (Kyrie, Credo, Gloria, Sanctus und Agnus Dei) liegt der gleichnamige Hymnus von Thomas von Aquin zugrunde. Größere und kleinere Fragmente der berühmten Melodie ziehen sich nach den komplexen Regeln des Kontrapunkts echoartig durch das gesamte Stück. Gleichzeitig lässt Josquin kaum eine Gelegenheit der expressiven Ausdeutung des Textes durch die Musik aus und verleiht ihm dadurch noch mehr Tiefe. Mit Josquin setzt die Kunst der musikalischen Interpretation des Textes, später ein Hauptmerkmal des Barock, ein.

Luther schätzte Josquins Musik sehr und kannte sie in Form von Lautentabulaturen, also Transkriptionen von polyphonen Gesangsstücken für Zupfinstrumente. In den Tischreden schrieb er über den Nordfranzosen, der selbst nie in Deutschland gewesen war: „So hat Gott das Evangelium auch durch die Musik gepredigt, wie man an Josquin sieht.“

Anne Sophie Meine

CD-Tipps: The Tallis Scholars sing Josquin, Label Gimell 2015, mit „Missa Pange Lingua“; The Hilliard Ensemble: Missa Hercules Dux Ferrariae, Motets & Chansons, Label Plg Classics Warner 2004, mit „La déploration de la mort de Jehan Ockeghem“.