Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht dessen, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht. In diesem Glauben haben die Alten Gottes Zeugnis empfangen.
Durch den Glauben wurde Abraham gehorsam, als er berufen wurde, an einen Ort zu ziehen, den er erben sollte; und er zog aus und wusste nicht, wo er hinkäme. Durch den Glauben ist er ein Fremdling gewesen im Land der Verheißung wie in einem fremden Land und wohnte in Zelten mit Isaak und Jakob, den Miterben derselben Verheißung. Denn er wartete auf die Stadt, die einen festen Grund hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist. Durch den Glauben empfing auch Sara, die unfruchtbar war, Kraft, Nachkommen hervorzubringen trotz ihres Alters; denn sie hielt den für treu, der es verheißen hatte. Darum sind auch von dem einen, dessen Kraft schon erstorben war, so viele gezeugt worden wie die Sterne am Himmel und wie der Sand am Ufer des Meeres, der unzählig ist.
Diese alle [- im Zusammenhang dieser Stelle werden noch Abel, Henoch, Noah, außerdem Isaak, Jakob, Josef, Mose, Josua und viele weitere große Glaubende des Alten Testaments genannt -] haben durch den Glauben Gottes Zeugnis empfangen und doch nicht die Verheißung erlangt, weil Gott etwas Besseres für uns vorgesehen hat: dass sie nicht ohne uns vollendet würden.
Darum auch wir: Weil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, lasst uns ablegen alles, was uns beschwert, und die Sünde, die uns umstrickt. Lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist, und aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens, der, obwohl er hätte Freude haben können, das Kreuz erduldete und die Schande gering achtete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes. Gedenkt an den, der so viel Widerspruch gegen sich von den Sündern erduldet hat, dass ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst. (Brief an die Hebräer 11,1-2[8-12.39-40]; 12,1.3)
Glauben ist nicht Wissen. Das kann man abwertend meinen wie in der unwirschen Nachfrage gegenüber einer Behauptung: „Glaubst Du das bloß, oder weißt Du das wirklich – dass der Bus kommt, dass Heinz und Frieda geheiratet haben, dass das das richtige Ergebnis der Matheaufgabe ist?“ Dann ist Glauben bloß eine mindere Form des Wissens oder eher eine Form des Unwissens.
Mit dem Aufstieg der Wissenschaften ist die Religion und ihre Glaubensvorstellungen in diesem abwertenden Sinn ins Hintertreffen geraten, so dass viele der Religion überhaupt keinen Platz mehr einräumen wollen, wie etwa der berühmte Evolutionsforscher Richard Dawkins, der alles, was nicht Wissen ist, für Humbug hält und der als „Gottes-Wahn“ bekämpft werden muss. Ist es Religion? Dann kann es weg!
Glauben ist nicht Wissen. Das kann man abwertend meinen, muss man aber nicht! Nach dem Autor des Hebräerbriefes ist Glauben keineswegs eine mindere Form des Wissens sondern eine andere, vielleicht sogar bedeutsamere, anspruchsvollere Form der Gewissheit. Glauben bezieht sich nicht auf das Offensichtliche, das Sichtbare, das Vor-Augen-Liegende; nicht auf das dann zu Erforschende, Überprüfbare, das Verständliche und Selbstverständliche – sondern auf das was man nicht sieht, weil man es nicht sehen kann! Und zwar entweder, dass speziell ich es nicht sehen kann, sei es, weil ich am falschen Ort stehe oder weil ich nicht klug genug bin: das wäre dann nur für mich und meinesgleichen zu glauben aber grundsätzlich schon ein Gegenstand möglichen Wissens und nicht besonders sinnvoll, es grundsätzlich zu bezweifeln – wie etwa Berichte aus Ländern, in denen ich nicht war; oder etwa Forschungsergebnisse aus Disziplinen, in denen ich mich nicht auskenne – das dürften übrigens immer und für alle Menschen die weitaus meisten sein. An Viren müssen wir in der Mehrheit solange glauben, wie wir selbst keine medizinischen oder biologischen, besser noch virologischen Kenntnisse erworben haben. Trotzdem sind Viren natürlich kein Glaubensgegenstand sondern Wissen, nur nicht meins.
Außer diesem Glauben, der sich auf ein Wissen bezieht und grundsätzlich in ein Wissen verwandelt werden kann, gibt es nach Meinung unseres Autors und nach Meinung der Religionen weithin, einen Glauben, der nicht in Wissen aufgelöst werden kann, sondern grundsätzlich und immer Glauben ist und bleibt. Dieser Glauben bezieht sich auf Gott, der kein Gegenstand unseres möglichen Sehens oder Erkennens ist, und der im strengen Sinne noch nicht einmal „Gegenstand“ genannt werden sollte, weil Gott ja per Definition kein Gegenstand unserer Wirklichkeit sondern „die alles bestimmende Wirklichkeit“ (Rudolf Bultmann) ist: „Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht“ (Dietrich Bonhoeffer) Und da dürften selbst die wildesten Atheisten mit den glühendsten Gläubigen übereinstimmen.
Während Gottes Unwirklichkeit als Teil unserer Welt von den einen als atheistische Kritik verstanden und verwendet wird, gehört genau das (also Gottes weltliche Unwirklichkeit) für die Glaubenden zum Wesen Gottes als „Geheimnis der Welt“ (Eberhard Jüngel): Gott ist kein Teil der Welt, denn er ermöglicht diese Welt erst. Gott ist nicht Teil sondern Grund und Ursache unserer Welt: Er ist der, der schlechthin nicht zu sehen und zu erkennen ist. Er kann nicht gewusst sondern nur geglaubt werden. Nicht durch Wissen und Wissenschaft sondern allein durch den Glauben erkennen wir, dass die Welt durch Gottes Wort geschaffen ist, dass alles, was man sieht, aus nichts geworden ist (Hebräer 11,3).
Wen wir etwas von Gott erfahren, dann durch Gottes eigenes Zeugnis an seine Propheten und Apostel, die Wolke der Zeugen: Diese alle haben durch den Glauben Gottes Zeugnis empfangen – und bis zu uns weitergeben. Können uns diese Zeugen für Gott mit ihrem Zeugnis überzeugen? Wie alle Zeugen stehen sie unter Vorbehalt: Sie können sich ja geirrt haben, sie können etwas falsch verstanden haben, sie können sich getäuscht haben oder getäuscht worden sein, sie können das Zeugnis teils vergessen und teils ausgeschmückt haben, sie könnten es auch willentlich verfälscht haben. All das ist sicherlich auch passiert, die historische Kritik an der Bibel versucht möglichst genau nachzuzeichnen, wie sich das Zeugnis gebildet, entwickelt und verändert hat – ohne es dabei aufzulösen.
Weil es diesen Vorbehalt gibt, spricht unser Autor von der Wolke der Zeugen, die nicht alleine für sich stehen, sondern insgesamt und gemeinsam als große Erzählung der Bibel Zeugnis abgeben und Glauben erwecken, längst nicht bei jedem. Wenn sie es aber tun, üben sie in uns eine Fähigkeit, die gerade in schwierigen Situationen und Krisen äußerst nützlich sein kann: nämlich den gegenwärtigen Zustand, die Misere, in der wir uns befinden, nicht für das Ganze zu halten, nicht in Gedanken zu verewigen: in dem Glauben halt, der eine feste Zuversicht dessen, was man hofft, und einem Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht ist.
Hier wäre nun alles einzutragen zwischen Kummer und Katastrophe, was uns gegenwärtig beherrscht aber nicht auf ewig beherrschen wird. Sogar die verdammte Pandemie wird zu Ende gehen, wie es uns der naive, aber schöne Glaubenssatz aus Italien im vergangenen Jahr lehrte: andrà tutto bene.
Und damit wird keineswegs einer Realitätsflucht das Wort geredet, sondern die Gewissheit geäußert, dass unser Beharren im jetzigen Leiden den Sinn hat, uns für die Zeit danach zu erhalten. Es ist sinnvoll jetzt durchzuhalten, damit am Ende auch für uns alles gut sein wird: Lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist!
Das könnte noch allzu sehr nach Durchhalteparole klingen, zu unbestimmt, zu wolkig, so dass sich die Wolke der Zeugen zum Nebel verdichtete, ohne Anhaltspunkt, ohne klares Bild, auf was genau sich der Glauben richtet, denn der Gott, der bildlos verehrt werden will („Du sollst dir kein Bild von Gott machen!“ 10 Gebote), könnte sich als bloßer Grenzbegriff, als bloßer Fluchtpunkt, von dem alles herkommt und auf den alles hinläuft, in einem bloßen grauen Nebel des Glaubens verflüchtigen (eher: Nebel des Grauens!)
Deshalb fährt unser Autor fort und schreibt: Lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist, und aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens; den hat Gott uns zu seinem Bild gegeben, an das wir uns halten können in den Kämpfen unseres Lebens. Er – nämlich Jesus – ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines – nämlich Gottes – Wesens und trägt alle Dinge – nämlich die ganze Welt – mit seinem kräftigen Wort – nämlich dem Zeugnis, von dem schon die Rede war (Hebräer 1,3 als programmatischer Anfang des ganzen Briefes).
Zu dem verbalen Zeugnis über Gott kommt das sichtbare Bild, mit dem wir Gott selbst erblicken, das freilich schon unserem Autor – wie auch uns – nur als Zeugnis der Propheten und Apostel überliefert ist. Ein bisschen ist es also für uns wie mit dem Blinden, dem die Farben und Formen der sichtbaren Welt erklärt werden, ohne dass er sie selbst je sehen könnte – er sich aber dennoch daraus etwas bildet, das beinahe „Bild“ genannt werden kann. Eine Bildbeschreibung wird die unmittelbare Erfahrung des Bildes nicht ersetzen, muss aber fürs erste, für dieses Leben, für diese Kämpfe in Zuversicht und Wachheit reichen: Gedenkt an den, der so viel Widerspruch gegen sich von den Sündern erduldet hat, dass ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst.