Es sind verschiedene Gaben; aber es ist ein Geist. Und es sind verschiedene Ämter; aber es ist ein Herr. Und es sind verschiedene Kräfte; aber es ist ein Gott, der da wirkt alles in allen. Durch einen jeden offenbart sich der Geist zum Nutzen aller. Dem einen wird durch den Geist ein Wort der Weisheit gegeben; dem andern ein Wort der Erkenntnis durch denselben Geist; einem andern Glaube, in demselben Geist; einem andern die Gabe, gesund zu machen, in dem einen Geist; einem andern die Kraft, Wunder zu tun; einem andern prophetische Rede; einem andern die Gabe, die Geister zu unterscheiden; einem andern mancherlei Zungenrede; einem andern die Gabe, sie auszulegen. Dies alles aber wirkt derselbe eine Geist, der einem jeden das Seine zuteilt, wie er will. (1. Korintherbrief des Paulus 12, 4-11)
Was ist deine besondere Stärke? Was dein Talent, dass du pflegen solltest? Was sind deine Gaben, die Gott dir gegeben hat?
Als Kind galt ich als musikalisch, hatte Freude am Flötenspielen schon vor der Grundschule und brauchte dann 10 Jahre entsagungsvollen Klavierunterricht, um einzusehen – bzw. um meine Eltern einsehen zu lassen, dass das jedenfalls nicht mein Talent ist, das ich pflegen sollte. Ich habe das auch immer meinen beiden Klavierlehrern angelastet, deren eine – überaus schöne – aus der guten alten bulgarischen Musikschultradition stammte und keine Probleme damit hatte, ihr Temperament auch lautstark gegen mich zu wenden; und deren anderer – überaus hässlicher – unsere gemeinsame Leidenszeit dadurch abzukürzen versuchte, dass er mich zu Beginn der Stunde Wasser für seine unter den Missklängen seiner amusischen Schüler dahinsiechenden Zimmerpflanzen zu holen beauftragte. Still leiden und Wasser tragen konnte ich am Ende meiner Klavierdekade, Klavierspielen nicht.
Auch sportlich lief es nicht so gut, beim Hockey im Nerotal war ich für den Trainer – selbst Weltmeister mit gehörigem Selbstbewusstsein und ohne jedes Verständnis für das Unvermögen anderer – das „Talent“ und immer dann ein Problem, wenn er nicht darum herum kam, mich aus Mangel an verfügbaren Spielern nun doch für die Wochenendturniere aufzustellen, dann aber mit dem dringenden Auftrag mich möglichst fern vom Spielgeschehen zu halten, im Abseits sozusagen, was mir nicht immer gelang, auch weil die Abseitsregeln in diesem Sport für mich als Außenstehenden geradezu absurd kompliziert sind – und was ich dann mit geschwollenen Knöcheln und ansehnlichen Hämatomen bezahlt habe; ein Hockeyball ist klein, hart und wird von denen, die davon Ahnung haben, auf bisweilen überraschende Flugbahnen und beträchtliche Geschwindigkeiten gebracht; kein Wunder dass sie leicht übersehen werden können.
Was ist meine besondere Stärke? Was mein Talent, dass ich pflegen sollte? Was sind meine Gaben, die Gott mir gegeben hat? Hab ich welche?
Gerade Jugendliche beschäftigen sich – im genetischen Auftrag der Selbstfindung – mit der Suche nach ihren Stärken und Begabungen und müssen lernen mit ihren Schwächen umzugehen. Und als Herangewachsene sollten wir uns einigermaßen darüber im Klaren sein, was geht und was nicht, wo sich die Mühe lohnt und was wir besser lassen, womit sich ein Leben bestreiten lässt und was auch anderen nützen kann. Meine Entscheidung von damals ist bekannt: Klavier und Hockey klappen nicht so – versuchen wir es mit der Religion. (Reli stresst weniger, lernt man schon in der Schule, übrigens zu Recht; der Reli-Unterricht ist nicht umsonst als „kulturökologische Nische“ bezeichnet worden).
Der Apostel Paulus erfindet sich für unsere Gaben und Talente ein eigenes Wort, dass wir dank seiner bis heute verwenden, aber etwas anders, als es Paulus ursprünglich meinte: Charisma ist für ihn nicht die besondere, wirkungsvolle, beeindruckende, gleichsam auratische Erscheinung – wie für uns – sondern die Gabe, mit der uns Gott segnet und auszeichnet; beides schließt sich nicht aus, meint aber Verschiedenes. Im Wörtchen Charisma steckt das Wort Gnade und so bezeichnet es zugleich die besondere Gabe wie auch die Gnade, aus der sie gewährt wurde. So weit, so gut – aber anders als in Demut und Dankbarkeit sollte man dieser Gabe, wenn man sie denn hat oder von ihr durch andere profitiert, nicht begegnen; auch unser Wort Dank steckt in der griechischen Vokabel Charis und Charisma. Was ist das Problem?
Das Problem und das Drama des begabten Christen, das Paulus insbesondere in den Auseinandersetzungen mit den Korinthern erlebt hat und dann in seinen Briefen adressiert, besteht nicht so sehr wie in meinen Kindheitserinnerungen in einem Mangel an Begabung sondern eher im Gegenteil, also in dem, was sich an gewissen Musiklehrern oder manchen Sportübungsleitern zeigt, nämlich im hochmütigen Unverständnis gegenüber ihren tiefbegabten Schützlingen, in deren Scheitern sie sich selbst auch scheitern sehen; solcher Hochmut aber entwertet als Lieblosigkeit die eigenen großen Talente: Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz und eine klingende Schelle. Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und meinen Leib dahingäbe, mich zu rühmen, und hätte der Liebe nicht, so wäre mir´s nichts nütze. (1. Korintherbrief des Paulus 13,1-3)
Wenn der Apostel Paulus nur kurz vor diesen berühmten Versen – seinem Hohen Lied der Liebe – in unserem Predigttext die legitime Verschiedenheit der christlichen Begabungen und implizit auch der Minderbegabungen betont – denn die Aufzählung der Charismen geht ja kaum von Doppel- oder Mehrfachbegabungen als Regelfall aus und rechnet folglich durchaus mit Talentlosigkeit auf allen Gebieten außer dem einen einzigen eigenen – dann ist das von diesem Hohen Lied der Liebe des Paulus als Pointe her zu lesen: Die Begabungen und Talente haben ihr Recht, sind auch notwendig für das Gelingen der Gemeinde, sie schaden aber – so wie in Korinth – wenn sie als Distinktionsmerkmale einer charismatischen Elite und nicht als Gnadengabe des einen göttlichen Geistes zusammengebunden im Band und im Dienst der Liebe gesehen werden. Erst die Liebe vermag die Begabten einzubinden und ihre Begabungen für die anderen erträglich, sozialverträglich und dann auch nutzbar zu machen.
Erst mit dieser und der folgenden Einsicht des Paulus, dass aus den verschiedenen Gaben keine Hierarchie abzuleiten ist, wie schließlich der, dass – in Abwandlung eines Satzes des charismatischen Künstlers Joseph Beuys – jeder Christ ein Charismatiker ist, wäre also an dieser Stelle frei nach Luther das allgemein Charismatikertum zu verkündigen: Jeder Christ ist ein Charismatiker, von Gottes Geist begabt.
Damit erübrigt sich nicht etwa sondern es verschärft sich die eingangs gestellte Frage zur Lebensfrage: Was sind unsere besonderen Stärken? Was gerade unsere Talente, die wir pflegen sollten? Was sind unsere Gaben, die Gott durch seinen Geist uns gibt? Und wie können wir sie einbringen? Amen.