Predigttext für den 2. Advent, 5. Dezember 2021

Predigttext für den 2. Advent, 5. Dezember 2021

So schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen, herrlichen Wohnung! Wo ist nun dein Eifer und deine Macht? Deine große, herzliche Barmherzigkeit hält sich hart gegen mich.

Bist du doch unser Vater; denn Abraham weiß von uns nichts, und Israel kennt uns nicht. Du, HERR, bist unser Vater; »Unser Erlöser«, das ist von alters her dein Name.

Warum lässt du uns, HERR, abirren von deinen Wegen und unser Herz verstocken, dass wir dich nicht fürchten? Kehr zurück um deiner Knechte willen, um der Stämme willen, die dein Erbe sind!

Kurze Zeit haben sie dein heiliges Volk vertrieben, unsre Widersacher haben dein Heiligtum zertreten.

Wir sind geworden wie solche, über die du niemals herrschtest, wie Leute, über die dein Name nie genannt wurde. Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen,

wie Feuer Reisig entzündet und wie Feuer Wasser sieden macht, dass dein Name kundwürde unter deinen Feinden und die Völker vor dir zittern müssten,

wenn du Furchtbares tust, das wir nicht erwarten – und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen! –

und das man von alters her nicht vernommen hat. Kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen einen Gott außer dir, der so wohl tut denen, die auf ihn harren.

(Buch des Propheten Jesaja 63,15 – 64,3)

Komm raus, Gott, wenn es dich gibt!
Zeige dich, damit wir dich sehen!
Zeige, was du kannst! – Wenn du was kannst!
Reiß den Himmel, den Vorhang zwischen dir und uns endlich auf, reiße ihn ein, lass dich sehen.
Zeige deine Taten!

Das Warten ist dem Propheten lang geworden, zu lang. Jetzt muss auch einmal etwas passieren. Nach so viel Passivität; nachdem so lange nichts geschah.

Das Warten ist dem Propheten lang geworden. Nach so viel Leid und Unrecht, die der Prophet miterleben musste. Nach so viel Abfall von Gott, nach Eroberung des Heiligen Landes, nach dem Verlust der heiligen Stätten, nach der Zerstörung des Tempels durch die Babylonier, nach Verschleppung und Erniedrigung – nach so vielem, das gegen Gott spricht – soll Gott endlich wieder sprechen: ein Machtwort, eindeutig, klar, machtvoll. Zeige dich Gott, damit wir an dich glauben können!

Das Warten ist dem Propheten lang geworden – und so verlangt er um des Glaubens willen Zeichen und Taten Gottes; Zeichen und Taten, wie es sie früher gab und wie es sie heute wieder geben soll. Eine Erscheinung in Macht und Herrlichkeit, mit Feuer und Rauch, mit Aufwallungen der Natur, die das Kommen des Schöpfers begleiten.

Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen,
wie Feuer Reisig entzündet und wie Feuer Wasser sieden macht, dass dein Name kundwürde unter deinen Feinden und die Völker vor dir zittern müssten,
wenn du Furchtbares tust, das wir nicht erwarten – und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen!

So hatte man sich das vorgestellt im alten Israel, im alten Orient überall, die machtvolle Niederkunft Gottes auf der Erde, seiner Erde, die er doch samt Himmel geschaffen hat. Das wollen wir glauben – so zeige uns, dass unser Glauben recht hat. Damit wir alles andere ertragen können.

Das Warten ist dem Propheten so lang geworden, dass er nun in prophetischer Ungeduld, Gott vom Himmel herab wünscht, ihn herabpredigen möchte, ihn hinunterzwingen möchte in die ganze Trostlosigkeit unserer menschlichen Existenz.

Wer könnte ihm in seinem prophetischen Eifer schon widersprechen? Wer könnte ihm sagen: das gehört sich nicht. Sei still und gib dich zufrieden! Harre des Herrn! Befiel dem Herrn deine Wege, er wird’s wohl machen! Oft genug sagen wir uns das, immer wieder sagen wir das, aber die Unheile nehmen ihren Lauf, die Verhängnisse gehen ihre Bahn, – und darüber wird das Warten länger, wer sollte da nicht auch seine Geduld verlieren?

Wenn Menschen, die wir lieb haben und lieb hatten, wenn die dann sterben müssen, aber nicht sterben können, sich quälen auf ein langes Ende hin – und das Warten lang wird.

Wenn Menschen, die wir lieb haben und für die wir Verantwortung haben, krank werden und leiden – immer wieder ja – und wir nicht wissen, ob es und wann es ein Ende haben wird, das Leiden und das eingeschränkte Leben – und das Warten darüber lang wird.

Wenn Menschen und Völker sich seit Generationen immer tiefer, immer tiefer in ihren Hass verstricken, Gewalt neue Gewalt schafft, Leben und Lebensmöglichkeiten zerstört, sogar das Wissen davon zu zerstören droht, dass auch ein anderes Leben möglich ist – und das Warten darüber unendlich, quälend lang wird.

Dann lässt sich doch gar nicht anderes tun als unserem ungeduldigen, zornigen Propheten zustimmen und mit ihm einstimmen in seine Rede:

So schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen, herrlichen Wohnung! Wo ist nun dein Eifer und deine Macht? Deine große, herzliche Barmherzigkeit hält sich hart gegen mich. Bist du doch unser Vater!

Solcher prophetischer Zorn ist allemal besser, als Resignation und Gleichgültigkeit, die mit Gott nicht mehr rechnet, die sich selbst säkularisiert hat wie unsere Gesellschaft, wie unsere Kirche sogar, die sich weithin mit sich selbst beschäftigt, sich organisiert und verwaltet, aber kaum noch mit ihrem Gott beschäftigt; kaum noch auf ihren Gott wartet, von dessen Kommen sie spricht aber nichts mehr weiß.

Solcher prophetischer Zorn ist aber noch nicht das Beste in unserem Warten. Zu sehr erinnert dieses Warten mit seiner Erwartung an einen tobenden, mächtigen Gott an jene andere Prophetengeschichte, damals bei Elia, in der auch auf ein Zeichen Gottes gewartet wird, in der Gott erwartet wurde, also Gott im großen, starken Wind erwartet wurde, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach; Gott aber war nicht im Wind; und Gott im Erdbeben erwartet wurde, aber er war nicht im Erdbeben; und im Feuer erwartet wurde – aber war nicht im Feuer: Und nach dem Feuer kam ein stilles, sanftes Sausen – darin sprach Gott..

Als Wartende werden unsere Erwartungen enttäuscht. Das mag schmerzhaft sein; aber es ist ein heilsamer Schmerz.

Unsere Täuschung wird aufgehoben; Gott sei Dank!
Gott entspricht nicht unseren Erwartungen, aber ein bloß erwarteter Gott, einer der unseren Erwartungen entspricht, wäre gar nicht Gott.
Ein Gott, der unseren Wünschen – und seien es die frommsten Wünsche – ein Gott, der unseren frommen Wünschen entspricht, ist nicht Gott; sondern Einbildung, Phantasie, ein Götze, der unsere Frömmigkeit nicht verdient.
Der lebendige Gott – und auf den lebendigen Gott warten wir doch – lässt sich nicht erwarten, nicht ausrechnen in seinem Handeln und seinem Kommen. Wenn wir ihn im Getöse erwarten, dann kommt er erst recht im sanften Säuseln des Windes.

Das scheint unserem zornigen Propheten, dem das Warten lang geworden ist, beinahe aus dem Blick geraten zu sein.
Beinahe: denn er sagt es ja selbst; dass Gott so kommen möge, wie man von alters her nicht vernommen hat. Wie es kein Ohr gehört, kein Auge gesehen hat; einen solchen Gott außer dir, der so wohl tut denen, die auf ihn harren.

Vielleicht fällt es diesem lebendigen Gott ein – gerade nicht in Macht und Herrlichkeit zu kommen – sondern – sagen wir mal etwas besonders Merkwürdiges, etwas besonders Gewagtes, etwas ganz und gar Unerwartbares: Vielleicht fällt es diesem Gott ein, als Mensch zu uns zu kommen; oder machen wir es noch merkwürdiger, noch gewagter, noch unerwartbarer; vielleicht gefällt es Gott als Mensch geboren zu werden, als kleines Kind zu uns zu kommen, damit er uns so aus unserem Elend erlöse.

Denn: »Unser Erlöser«, das ist doch von alters her dein Name. Und: Kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen einen Gott außer dir, der so wohl tut denen, die auf ihn harren.

Darauf – das Gott kommen möge, wie er will – darauf lasst uns warten. Amen.