Dafür halte uns jedermann: für Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse.
Nun fordert man nicht mehr von den Haushaltern, als dass sie für treu befunden werden.
Mir aber ist’s ein Geringes, dass ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Gericht; auch richte ich mich selbst nicht.
Ich bin mir zwar nichts bewusst, aber darin bin ich nicht gerechtfertigt; der Herr ist’s aber, der mich richtet.
Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt, der auch ans Licht bringen wird, was im Finstern verborgen ist, und wird das Trachten der Herzen offenbar machen. Dann wird einem jeden von Gott sein Lob zuteilwerden. (1. Korinther, 4,1-5)
Die Kirche, liebe Schwestern und Brüder,
die Kirche befriedigt keine Bedürfnisse sondern feiert Gottes Geheimnisse.
So hat es sinngemäß vor nicht allzu langer Zeit ein hoher katholischer Würdenträger geäußert.
Und dem ist – meine ich – auch evangelischerseits wenig hinzuzufügen.
Denn bei aller Übersetzungsarbeit, bei allen Bemühungen um Verständlichkeit, bei allem Kontakt zur aktuellen Wirklichkeit, geht es darum, Gott und nur ihn im Gottesdienst zu feiern, ihm, Gott, treu zu bleiben, seinem Geheimnis in unserem Leben einen Platz einzuräumen, also: Gott als Geheimnis der Welt zu erleben und zu feiern.
Die Biblische Botschaft damit nicht vom Urteil und der Kritik der Gesellschaft abhängig zu machen – sondern im Gegenteil, Gottes Urteil und Gericht über uns laut werden zu lassen.
In diesem Sinne Gott bei uns Platz einzuräumen; Gott groß zu machen, wie das Maria in ihrem adventlichen Lobgesang macht: „Meine Seele erhebt den Herrn“.
Dass dabei bekannte Sichtweisen verändert werden, dass dabei Größenverhältnisse, ja sogar Herrschaftsverhältnisse umgekehrt werden, bleibt nicht aus: Gott, sein Urteil, stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen.
Das, was sonst überall gilt, hat in Gottes Namen noch lange keine Geltung.
Die, die sonst überall das Wort ergreifen und ihren Willen durchsetzen, sollen in der Kirche Jesu Christi gerade nicht den Ton angeben.
Gott nämlich „zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn“.
Wenn dagegen die Kirche bloßes Spiegelbild der Gesellschaft bleibt,
ihre Äußerungen bloßes Echo dessen sind, was ohnehin gedacht, gemeint, gesagt und geschrieben wird,
und ihr Handeln bloß der Erfüllung von Bedürfnissen – und sei es von religiösen Bedürfnissen – dient,
dann hat die Kirche ihren Sinn verfehlt.
Als öffentlich-rechtliche Bedürfnisanstalt für religiöse Angelegenheiten mag sie dann noch durchgehen – zur Dienerin Christi und Haushalterin über Gottes Geheimnisse taugt sie nicht mehr. Dafür aber, sagt Paulus, halte uns jedermann: für Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse.
Und wir dürfen – meine ich – hinzufügen: für treue Diener und gewissenhafte Haushalter Gottes gegenüber und bisweilen auch gegen Kirche und Gesellschaft:
Dass wir uns zuerst und den anderen aber auch sagen, was uns fehlt, wenn uns etwas fehlt, wenn uns Gott fehlt.
Hier, liebe Schwestern und Brüder, an dieser Stelle wäre nun etwa die Stimme zu erheben für einen Bußruf passend zur adventlichen Bußzeit:
Ein Ruf: Gegen die Gottesvergessenheit unserer Kirche und die Gottlosigkeit unserer Gesellschaft.
Etwa gegen immer neue kirchliche Strukturreformen, die doch nur die Gemeinden in ihren Rechten und Mitteln berauben, dass am Ende – also etwa am Ende von 2030, dem großen „Kirchenzerstörungsreformwerk“ unserer hessisch-nassauischen Kirche – ein selbstermächtigter Funktionärsklerus in Verwaltung und Leitung durchregiere.
Oder gegen die Marginalisierung des christlichen Glaubens in einer sich selbst säkularisierenden Gesellschaft – in der etwa – wie in der vergangenen Woche geschehen – nur noch eine Minderheit der neuen Regierenden Gott den Herrn beim Amtseid nennt und kennt und damit zumindest dem Anschein von Selbstherrlichkeit wehrt. Was hat es uns eigentlich zu sagen, dass diesmal nur und ausgerechnet die Minister einer liberalen – und damit traditionell eher religionskritischen – Partei geschlossen Gott um Hilfe bitten – „so wahr mir Gott helfe!“; sozialdemokratische und ökologische hingegen mehrheitlich oder gleich ganz darauf verzichten zu können meinen? Ist mir da was entgangen?
Wenn ein weiterer kirchen- und kulturpessimistischer Rundumschlag, auf den vermutlich nicht alle von uns gleich viel Lust haben; wenn der also hier und heute aber dennoch ausbleibt, liegt das an einer Entdeckung, die an unserem Predigttext zu machen ist. Paulus nämlich enthält sich – zumindest und auffälligerweise gerade an dieser Stelle – solcher weitausholender Kritik.
Der Vergewisserung des Paulus, dass wir als Christenmenschen Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse sind, folgt weder die von mir unterstellte, aber wie ich finde vertretbare Gegenüberstellung von Gottes Geheimnis – und menschlichem Bedürfnis,
noch folgt beim Apostel die prophetische Kritik an gesellschaftlichen und kirchlichen Verhältnissen.
Das glatte Gegenteil passiert: Der Apostel ermahnt uns zur Zurückhaltung bei der Kritik.
Richtet nicht! Richtet nicht selbst, denn Gott ist euer Richter. Gerade in religiösen Urteilen ist Zurückhaltung gefragt.
Das Auftreten dieses oder jenes Geistlichen mag nicht das meine sein.
Bestimmte Frömmigkeitsformen mögen mich nicht ansprechen.
Auftreten und Lebensstil anderer befremden mich vielleicht.
Diese oder jene Annäherung an das Geheimnis Gottes mag uns fremd sein und fremd bleiben…
Wenn aber Religion wirklich Sinn und Geschmack für das Unendliche ist, dann muss nicht alles Unsinn sein, was mir nicht gleich in den Sinn geht; dann kann auch gelegentlich eine Frage als Geschmacksfrage offen bleiben, über die nicht zu streiten und die erst einmal nicht zu kritisieren ist. Denn erst Gott der Herr wird ans Licht bringen, was im Finstern verborgen ist, und wird das Trachten der Herzen offenbar machen.
Paulus, den wir ja auch als Polemiker, als vehementen Kritiker religiöser Zustände kennen, empfiehlt hier Zurückhaltung im religiösen Urteil.
Sicherlich nicht zuletzt aufgrund der Anfeindungen, denen er sich selbst ausgesetzt sah.
Dabei folgt diese Zurückhaltung in religiösen Fragen keinem taktischen Kalkül, sondern dem Glauben an den ankommenden Gott. Paulus und ja auch wir leben in einer Zeit, die auf ein Ziel zuläuft: Die Ankunft Gottes.
Die noch ausstehende, die zukünftige Ankunft stellt unser Leben unter einen Vorbehalt.
Das ist schon wichtig, was wir jetzt tun und lassen, was wir reden und wovon wir schweigen. Aber unser Tun und Lassen, unser Reden und Schweigen wird von dem Anspruch befreit,
wir werden von dem Anspruch befreit, perfekt sein zu müssen – jetzt schon und von uns aus perfekt sein zu müssen. Das sind wir ohnehin nicht – aber wir müssen das auch nicht anstreben. Und wir können uns deshalb auch das eine oder andere an Kritik sparen, die wenig zum Guten verändert aber viel Unfrieden schafft.
Im Kern liegt hier in den wenigen Worten des Paulus an die Korinther die Leitlinie christlich verstandener Toleranz:
Der ist es nicht egal, was gesagt und getan wird.
Die verkündet keinen religiösen Relativismus.
Die propagiert nicht das große ethische Einerlei.
Die singt schon gar nicht das Hohelied auf die moderne religions-distanzierte Gesellschaft.
Aber diese christliche Toleranz erkennt an, dass nicht wir das letzte Wort über unser Leben, über unser Handeln, Reden und Glauben sprechen. Gott tut das. Gott wird das tun bei seiner endgültigen Ankunft. Die steht noch aus. Aber es lohnt sich, darauf zu warten.
Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt, der auch ans Licht bringen wird, was im Finstern verborgen ist, und wird das Trachten der Herzen offenbar machen. Dann wird einem jeden von Gott sein Lob zuteilwerden.
Bis dahin geht es in Ordnung, auch anderes gelten zu lassen –
Solange wir selbst nur von jedermann für Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse gehalten werden können.
Amen.
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.