Er hat uns errettet aus der Macht der Finsternis und hat uns versetzt in das Reich seines geliebten Sohnes, in dem wir die Erlösung haben, nämlich die Vergebung der Sünden.
Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes,
der Erstgeborene vor aller Schöpfung.
Denn in ihm wurde alles geschaffen,
was im Himmel und auf Erden ist,
das Sichtbare und das Unsichtbare,
es seien Throne oder Herrschaften oder Mächte oder Gewalten;
es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen.
Und er ist vor allem,und es besteht alles in ihm.
Und er ist das Haupt des Leibes, nämlich der Gemeinde.
Er ist der Anfang,der Erstgeborene von den Toten,
auf dass er in allem der Erste sei.
Denn es hat Gott gefallen,
alle Fülle in ihm wohnen zu lassen
und durch ihn alles zu versöhnen zu ihm hin,
es sei auf Erden oder im Himmel,
indem er Frieden machte durch sein Blut am Kreuz.
Auch euch, die ihr einst Fremde wart und feindlich gesinnt in bösen Werken, hat er nun versöhnt durch seinen sterblichen Leib, durch seinen Tod, auf dass er euch heilig und makellos und untadelig vor sein Angesicht stelle; wenn ihr nur bleibt im Glauben, gegründet und fest, und nicht weicht von der Hoffnung des Evangeliums, das ihr gehört habt und das gepredigt ist allen Geschöpfen unter dem Himmel.
(Brief an die Kolosser 1,13-23)
Frieden durch Blut ist keine Formel, die aufgehen kann außerhalb der Logik des religiösen Opfers, außerhalb des sacrificium, in dem die Gewalt religiös dargestellt wird, also nur dargestellt wird, um sie stellvertretend vor Gott und die Menschen zu bringen, sie so zu identifizieren und zu überwinden. Außerhalb des religiösen Opfers, wenn also tatsächlich Blut eines victima vergossen wird, wenn einer zum realen Gewaltopfer wird, dann geht die Formel Frieden durch Blut nicht auf, dann kann Gewalt – wenn überhaupt – nur durch Gegenwalt begrenzt werden; wahrscheinlicher ist, dass „Gewalt fortlaufend Gewalt gebären wird“ (Macbeth), denn Gewalt schreit nach Rache, Blut schreit nach Rache, Blut schreit zum Himmel (Kain und Abel). Das muss uns warnen – tut es aber nicht – vor allen Vorhaben, auch den gegenwärtigen, mit Gewalt, mit kriegerischer Gewalt Frieden herbeiführen zu wollen. Im besten Falle kann Gewalt durch Gegengewalt aufgehalten, eingedämmt, zeitlich und örtlich begrenzt werden; das muss sie ja auch. Frieden wird sie uns nicht bringen.
Wenn der Autor unserer Zeilen also davon spricht, dass Jesus Christus Frieden machte durch sein Blut am Kreuz, erhält der Satz seine Geltung und seine Wahrheit ausschließlich im Zusammenhang eines religiösen Opfers; und zwar in diesem Fall des Opfers Jesu Christi am Kreuz und das nur wenn wir – im Glauben – nachvollziehen, dass Jesus eben nicht nur victim, Gewaltopfer, sondern auch und eigentlich sacrifice, religiöses Opfer zum Zwecke der Versöhnung, ist. Nur als solches und in dieser Deutung vermag es Frieden zu machen. Wenn wir Jesus dagegen ausschließlich als Gewaltopfer eines brutalen Besatzungsregimes und seiner groben Justiz sehen, erkennen wir weder Versöhnung noch Frieden.
So wird es den Anhängern Jesu zunächst gegangen sein, als Trauernde und Leidtragende verzweifelt und ratlos über sein Blut am Kreuz, überdies erschreckt und aufgewühlt „voll Furcht und Zittern“ angesichts der Erscheinungen und der Botschaft vom Auferstandenen, denen sie kaum glauben konnten. Aber nach einem Moment des Schreckens haben die ersten Christen den religiösen Sinn produziert, der für sie, für uns im Kreuzesgeschehen liegt. Innerhalb kürzester Zeit, innerhalb weniger Jahren formulieren sie unter dem Eindruck der Auferstehung und unter Rückgriff auf die Bibel Alten Testaments Summen ihres Glaubens, kurze zusammenfassende Texte in gebundener, dichterischer Sprache, die ihren Glauben auf den Punkt bringen, und damit auch der Sinnlosigkeit einer Hinrichtung den religiösen Sinn, nämlich den eines stellvertretenden, versöhnenden Opfers geben.
Auf solche von der Forschung „Christushymnen“ genannte Überlieferungsstücke, greifen Paulus und seine Schüler in ihren Briefen immer wieder zurück, so auch hier der Autor des Kolosserbriefes:
Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes,
der Erstgeborene vor aller Schöpfung.
Denn in ihm wurde alles geschaffen,
was im Himmel und auf Erden ist,
das Sichtbare und das Unsichtbare,
es seien Throne oder Herrschaften oder Mächte oder Gewalten;
es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen.
Und er ist vor allem,und es besteht alles in ihm.
Und er ist das Haupt des Leibes, nämlich der Gemeinde.
Er ist der Anfang,der Erstgeborene von den Toten,
auf dass er in allem der Erste sei.
Denn es hat Gott gefallen,
alle Fülle in ihm wohnen zu lassen
und durch ihn alles zu versöhnen zu ihm hin,
es sei auf Erden oder im Himmel,
indem er Frieden machte durch sein Blut am Kreuz.
Durch diese Deutung verändert sich der Sinn des Kreuzestodes völlig – bzw. erst durch diese Deutung erhält der an sich nur sinnlose, schreckliche, brutale Tod am Kreuz einen Sinn. Der Gekreuzigte ist nach dieser Deutung Mensch und Ebenbild Gottes. Er ist Schöpfungsmittler, der vor aller Schöpfung und während der Schöpfung bei Gott war und nach allem Weltgeschehen alles versöhnen wird und bei Gott sein wird. Dieser wahre Mensch und wahre Gott hat den Tod auf sich genommen, um ihn zu überwinden. Wer, wenn nicht er, kann den Tod mit seinem Tod überwinden. Deshalb sollen sich die, die an ihn glauben, an ihn hängen, um mit ihm den Tod zu überwinden, um sich von ihm durch den Tod tragen lassen, sich den Frieden geben lassen durch sein Blut am Kreuz.
Man könnte unserem Text, bzw. denen, die ihn für den Karfreitag ausgewählt haben, den Vorwurf, machen, dass er zu wenig karfreitaglich und zu sehr schon österlich wäre, indem er die Ansicht des Gekreuzigten nicht für sich zeichnet – uns also kaum Zeit gibt, „die Leiden zu bedenken“, wie es ihm Passionslied heißt-, sondern ihn, den Gekreuzigten, vor dem überwältigenden kosmischen Panorama der Allversöhnung in üppigen Farben malt.
An solchen Bedenken gegen einen Vorgriff auf Ostern ist was dran. Das ist ein bisschen so, also wolle man in den gewaltsam überstreckten Armen unserer Kreuzesdarstellung hier in der Thomaskirche nicht die Darstellung von Ohnmacht und Qual sehen sondern das Siegeszeichen, das Victory-Zeichen erkennen, was aber der Absicht des Bildhauers Jürgen Weber, dem wir unser Kreuz verdanken, widerspricht: „Bei meinem Kruzifix ist die gequälte, von Gott getrennte Fleischlichkeit gemeint. Das ist ein Erlebnis und eine Bestätigung des ´Eli, Eli, lama asabthani´, das aus der Gegenwart stammt… das Thema einer Kreuzigung ist, was den Körper des Gekreuzigten anbelangt, von anstößiger Fleischlichkeit; darauf sollte dieses Kruzifix den Betrachter stoßen.“ (Jürgen Weber in der Wochenzeitschrift „Die Zeit“, 1965).
Andererseits hat es etwas Künstliches, so zu tun, als ob wir nicht wüssten, dass in zwei Tagen Ostern ist, jede Feier des Karfreitags immer schon von Ostern beleuchtet wird. Ohne Ostern würden wir Karfreitag gar nicht feiern. Denn dann wäre ja Jesu Kreuzestod bloßes Ereignis eines – sicher längst vergessenen – grausamen Todes, bloßes victima, und nicht sacrificium, also nicht Darstellung eines Versöhnungsgeschehens, das uns hier und heute betrifft. So sehr Karfreitag die Voraussetzung von Ostern ist, so sehr erfordert der Kreuzestod die Auferstehung zu ihrer Deutung.
Auch unser Bildhauer hat weitere Werke geschaffen, die noch stärker als unseres einen österlichen Schein auf das Kreuz legen. In seinem Lebensbaum -Kruzifix im Magdeburger Dom, das ursprünglich für eine Braunschweiger Kirche geschaffen worden war, verbindet Jürgen Weber das Kreuzes- mit dem Lebensbaummotiv. Die abermals gewaltsam überstreckten Arme des Gekreuzigten verbinden sich mit dem Baum, an dem er hängt. Neues Leben aus altem Tod. Versöhnung aus seinem sterblichen Leib. Amen.