4. Sonntag nach Trinitatis, 2. Juli 2023

Der Predigttext für den heutigen 4. Sonntag nach Trinitatis steht im 1. Brief des Petrus im 3. Kapitel:

Endlich aber seid allesamt gleichgesinnt, mitleidig, brüderlich, barmherzig, demütig. Vergeltet nicht Böses mit Bösem oder Scheltwort mit Scheltwort, sondern segnet vielmehr, weil ihr dazu berufen seid, dass ihr den Segen ererbt. Denn »wer das Leben lieben und gute Tage sehen will, der hüte seine Zunge, dass sie nichts Böses rede, und seine Lippen, dass sie nicht betrügen. Er wende sich ab vom Bösen und tue Gutes; er suche Frieden und jage ihm nach. Denn die Augen des Herrn sehen auf die Gerechten, und seine Ohren hören auf ihr Gebet; das Angesicht des Herrn aber steht wider die, die Böses tun«. Und wer ist’s, der euch schaden könnte, wenn ihr dem Guten nacheifert? Und wenn ihr auch leidet um der Gerechtigkeit willen, so seid ihr doch selig. Fürchtet euch nicht vor ihrem Drohen und erschreckt nicht; heiligt aber den Herrn Christus in euren Herzen. Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist, und das mit Sanftmut und Gottesfurcht, und habt ein gutes Gewissen, damit die, die euch verleumden, zuschanden werden, wenn sie euren guten Wandel in Christus schmähen. Denn es ist besser, wenn es Gottes Wille ist, dass ihr um guter Taten willen leidet als um böser Taten willen. Amen.

Das Leben lieben und gute Tage sehen, liebe Gemeinde.

Das Leben lieben und gute Tage sehen – was für ein sprechendes Wort, gerade für die Ferienzeit; um das Leben zu Lieben und gute Tage zu sehen, dafür machen wir Pause vom Alltag, schweifen in die Ferne, besuchen fremde Orte um uns selbst zu finden, wiederzufinden.

Das tut gut, diese Auszeit, dieser Abstand. Man kann sich das Leben kaum ohne vorstellen; auch wenn wir wissen, dass Urlaub und Ferien eher neuere Erfindungen sind. Was uns so selbstverständlich geworden ist, dass wir unseren Kalender danach – also nach den Schulferien – richten, sogar das kirchliche Leben, das wir doch auch lieben, und alles andere danach richten; das hat es bis vor wenigen Generationen gar nicht gegeben. Es gab den Sonntag, die Feiertage, Phasen größerer und geringerer Anstrengung; aber Auszeiten in diesem Umfang und für den größten Teil der Bevölkerung hat es vorher einfach nicht gegeben. Wenn das Leben süß war, dann war es Mühe und Arbeit.

Das hat sich zumindest für die Ferienwochen geändert – aber – und davon soll hier die Rede sein: auch die Ferienwochen setzten das Grundsätzliche, das Prinzipielle, die Fundamente unseres Zusammenlebens nicht außer Kraft. Wir können Erholung finden, für einen Moment Abstand von Mühe und Arbeit gewinnen; aber wir können nicht uns selbst entfliehen, nicht dem entfliehen, wie wir sind; und nicht dem entfliehen, wie wir sein sollen.

Die Grundsätze, die Prinzipien und Fundamente des Zusammenlebens; in unserem Rahmen also des christlichen Zusammenlebens bleiben in Kraft; und werden folgerichtig bei der Betrachtung, das Leben zu lieben und gute Tage zu sehen beleuchtet. Was sind unsere Grundsätze, was unsere Fundamente?

Diese Frage nach den Fundamenten ist ja durch die Fundamentalisten ein bisschen in Misskredit geraten, weil diese oft mit dem ihnen eigenen untrüglichen Blick für das Unwesentliche, nicht über Grundlagen des Glaubens reflektieren, sondern ihn – den Glauben – in einen großen Klotz – ein unbewegliches Fundament – einbetonieren wollen, damit er sich bloß nicht verändere, dass er nicht angreifbar werde, dass er geschützt wäre vor allen möglichen Angriffen. So als ob wir Menschen uns das Fundament unseres Glaubens erst schaffen müssten, anstatt dass wir uns auf unser von Gott gegebenes Fundament verlassen.

Uns soll es jedenfalls um die Grundlagen unseres Glaubens gehen, um die Fundamente unserer Glaubensgemeinschaft, die immer gelten und auch durch keine Ferienzeit außer Kraft gesetzt werden. Da lässt sich vermutlich schnell Verständigung erzielen, was dazu gehört:

Der Inhalt des Glaubensbekenntnisses, das zwar in historisch gebundener Form, aber doch immer noch gültig und relevant den christlichen Glauben auf den Punkt bringt.

Die Ethik der Zehn Gebote, die viel mehr sind als ein universelles moralisches Gesetz, sondern die umfassende, vielleicht auch unerreichbare, und dennoch immer noch normative Beschreibung eines gottgefälligen, gelingenden Lebens.

Das Vaterunser als Modell eines Gebets, eines Gesprächs mit Gott, der uns als Vater nahe kommt und als dessen Kinder wir ihm nahe kommen dürfen.

Die Grundsätze der Gerechtigkeit und der Wahrhaftigkeit, die beide den Realitätsbezug unseres Glaubens sicherstellen sollen und können. Es ist nicht egal, was ich tue und lasse; und es nicht egal, was ich sage oder verschweige; sondern unser Zeugnis soll wahr und unser Handeln gerecht sein. Eine bloße Binnenwahrheit für ein Häuflein Erleuchteter und eine bloße Binnengerechtigkeit für die, die dazugehören, toleriert unser Glaube nicht.

Das alles – Glaubensbekenntnis, 10 Gebote, Vaterunser, Gerechtigkeit und Wahrheit – das alles ist unserem Glauben grundsätzlich und fundamental, ohne das wäre unser Glauben nicht unser Glauben.

Vielleicht ist aber vorher und über allem noch etwas zu nennen; und zwar: Die christliche Nächstenliebe. Und ich meine, dass hier tatsächlich etwas benannt ist, das für viele noch unmittelbarer, noch eindeutiger das wesentlich Christliche benennt. Die christliche Nächstenliebe, also die selbstlose Hilfe für meinen Nächsten, der selbst Fremder – und im Grenzfall sogar Gegner und Feind – sein kann, der meiner Hilfe bedarf; gleichnishaft geworden im Barmherzigen Samariter. Was ist ein Christ? So einer wie der barmherzige Samariter, der einem Fremden hilft, dabei auf eigenen Vorteil nicht sieht und selbst Kosten nicht scheut; der Verzicht leistet, sich selbst zurücknimmt um des anderen willen, der etwas, das ich habe, mehr braucht als ich; der nicht sich selbst in den Mittelpunkt stellt sondern den anderen.

Manche Vertreter der Soziobiologie halten diese – durch Jesus geforderte und bei Christen immer noch verbreitete Form – des Altruismus für den entscheidenden Fortschritt der Evolution, der nur Menschen eignet; wichtiger und entscheidender als Intelligenz und aufrechter Gang. Danach würde das uns zu Menschen machen, was uns über uns selbst hinaus sehen lässt, die Anliegen und Interessen der anderen zum Maßstab, zur Maxime meines Handelns werden lässt. Ob das zutreffende Annahmen über den Menschen sind, vermag ich nicht zu beurteilen; zutreffende Zusammenfassungen des christlichen Kerns sind sie allemal. Christ ist der, der sich selbst zurücknehmen kann, der Interessen von anderen wahrnehmen kann, der auf sein Recht zugunsten anderer verzichten kann, der dabei sogar seinen Feinden gerecht zu werden versucht. Nicht der Ellenbogen sondern die offene Hand ist das Zeichen der Christen.

Ich meine, dass auch unser heutiger Predigttext diese urchristliche Botschaft verkündet. Mitleidig, brüderlich, barmherzig, demütig sollen wir sein. Gewalt nicht erwidernd, sondern unterbrechend; segnend auch die, die uns übel wollen, weil der Segen letztlich nicht aus uns sondern von Gott kommt; besser um der Gerechtigkeit willen leiden, als selbst ungerecht werden; menschenfreundlich sein, und darin Zeugnis ablegend für den menschenfreundlichen Gott; wissend, dass es besser ist, um guter Taten willen zu leiden als um böser Taten willen – denn, wie Petrus den Gedanken unserem Predigttext fortsetzt: „Denn auch Christus hat einmal für die Sünden gelitten, der gerechte für die Ungerechten, damit er euch zu Gott führte.“

So verantworten wir die uns von Gott anvertraute Gerechtigkeit und seine Wahrheit vor den Menschen und vor uns. Dabei mag uns Nächstenliebe, Selbstzurücknahme, Rechtsverzicht als christliche Tugend einleuchten, aber ob sie auch für die Praxis taugt? Wie ist das, wenn wir uns auf etwas gefreut haben und wir müssen darauf verzichten, weil uns die Nächstenliebe in die Pflicht nimmt? Was bleibt von unserer geöffneten Hand, wenn wir gerade mal wieder den Ellbogen der anderen gespürt haben? Wo bleibe ich, wenn ich mich zurücknehme, sonst aber niemand? Warum soll ich eigentlich auf mein gutes Recht verzichten, nur weil es einem, der bedürftig ist, helfen könnte?

Denn: Recht ist Recht. Von Rechtsverzicht steht in den Gesetzbüchern nichts. Wenn ich Vorfahrt habe, brause ich los, komme wer da wolle. Wenn ich an der Supermarktkasse dran bin, mähe ich schon mal eine etwas langsamere Großmutter nieder – nicht mehr ganz so forsch wie früher, bin ja selber Großvater! Wenn ich Recht habe, möchte ich’s auch bekommen. Sollen die anderen helfen. Wenn sich jeder selbst hilft, ist allen geholfen. Liebe Schwestern und Brüdern, das ist der Teufel, der uns das einflüstert; na gut; den gibt es vielleicht nicht, aber dafür kann er noch ziemlich laut und hässlich flüstern.

Dagegen hilft es sich immer wieder die andere, die christliche Botschaft zu sagen und sich sagen zu lassen. Auch die Adressaten des Petrusbriefes werden das alles gewusst haben, was ihnen da geschrieben wird, so wie wir das wissen, was Nächstenliebe ist und was sie uns abverlangt; aber wir wie sie müssen daran erinnert werden, es gesagt bekommen immer wieder; das Grundsätzliche, das Fundamentale stets und von neuem gesagt bekommen: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst; und das ist richtig und gut so, auch wenn es dir niemand dankt. Selbst wenn es dich in Schwierigkeiten bringt, lasse davon nicht ab.

Unsere Versuche der Nächstenliebe werden die Welt nicht verändern: Erfolg ist ausdrücklich kein Maßstab der Nächstenliebe; aber sie wird uns verändern – hin zu einem Leben, dass Gott gefällt – uns doch auch; damit wir das Leben lieben und gute Tage sehen. Auch das wäre ein Erfolg. Amen.