7. Sonntag nach Trinitatis, 23. Juli 2023

Die nun sein – des Petrus, aber eigentlich Gottes – Wort annahmen, ließen sich taufen; und an diesem Tage wurden hinzugefügt etwa dreitausend Menschen. Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet. Es kam aber Furcht über alle, und es geschahen viele Wunder und Zeichen durch die Apostel. Alle aber, die gläubig geworden waren, waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam. Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nachdem es einer nötig hatte. Und sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel und brachen das Brot hier und dort in den Häusern, hielten die Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen und lobten Gott und fanden Wohlwollen beim ganzen Volk. Der Herr aber fügte täglich zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurden. (Apostelgeschichte des Lukas 2,41-47)

3000 waren es nicht ganz, aber beinahe 30 Kinder und Erwachsene, die sich haben taufen lassen, das Wort annahmen und der Gemeinde Jesu Christi hinzugefügt wurden; ja und eine Mahlzeit mit Freude und gewiss lauterem Herzen und Würstchen und Brezeln und Eis hielten wir auch, lobten Gott mit Unterstützung von Ako Karim und seiner Band – und fanden damit durchaus Wohlwollen beim Volk, noch tags drauf spricht mich die Fischverkäuferin im Supermarkt darauf an, wie schön es war und dass so Kirche immer sein sollte: Ich rede natürlich vom Wiesbadener Tauffest am vergangenen Sonntag im Kurpark um den Weiher herum, dessen Idee es war, Taufe als fröhliches Fest des Ursprungs erfahrbar zu machen und gleichzeitig den anwesenden schon Getauften ihre Taufe als wunderbaren Anfang in Erinnerung zu rufen. Ich bin getauft, was für ein Wunder und was für eine Freude! Der Fischverkäuferin ist unbedingt recht zu geben: So sollte Kirche immer sein.

Geschichten und Legenden vom Anfang – oft über Generationen zurück – verfolgen ihren Zweck der Stärkung der Gegenwärtigen, indem sie die Anfänge durch ihre Vorstellungskraft verklären; durchaus Mühsale und Beschwernisse nicht verschweigen, aber nach deren Überwindung ein Goldenes Zeitalter zeichnen, perfekte Harmonie, glückliche Verhältnisse, die Vorväter und -mütter einmütig und fröhlich – mit dem deutlich vernehmbaren Seufzer, dass es doch wieder so sein möge, wie es nie gewesen ist. Denn dass es so nie gewesen ist, lässt sich eben doch nicht ganz verschweigen oder verbergen, noch nicht einmal von unserem Chronisten Lukas, wenn er in seinem Geschichtswerk – entgegen aller Harmoniebehauptungen – Fälle antiker Kirchensteuerhinterziehung in der Affäre um Hananias und Saphira, die tödliche Ausgrenzung des Stephanus oder das bittere Zerwürfnis der Erzapostel Petrus und Paulus berichtet und somit dunkle Flecken auf das rosarote Bild frühkirchlicher Eintracht kleckst.

Den Liebeskommunismus, wie Lukas ihn beschreibt – Alle aber, die gläubig geworden waren, waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam. Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nachdem es einer nötig hatte. – wird es eher nicht, oder jedenfalls nicht flächendeckend gegeben haben, aber doch Theorie und Praxis einer Armenfürsorge, die wenige Beispiele in der antiken Welt hatte und nicht wenig zur Attraktivität dieser Glaubensgemeinschaft beigetragen hat, die in kurzer Zeit von der obskuren jüdisch-orientalischen Sekte zur Staatsreligion des Imperium Romanum geworden ist. Als soziales Projekt, als utopisches Experiment wäre ihr das kaum gelungen – als dynamische, flexible, integrative Körperschaft öffentlichen Rechts und göttlicher Gerechtigkeit, die in sich solche erzählte Utopie überliefert, hat sie sogar das römische Reich überdauert, bis heute, wie lange noch?

Na vielleicht so lange es ihr gelingt, trotz allem solche Gelegenheiten zu schaffen der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet, trotz allem gemeinsame Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen zum Lobe Gottes und unter dem Wohlwollen der Menschen zu feiern; kurz also, trotz allem Kirche zu sein, wie sie sein sollund zwar wohl wissend und anerkennend, dass diese Kirche oft genug, viel zu oft anders ist und sich anders zeigt: Wenn es wie damals Streit um das Geld gibt, wenn wie damals Ausgrenzungen passieren, wenn wie damals die reine Lehre der Apostel längst nicht überall und selbstverständlich gilt.

Bei aller Verklärung der Anfänge und aller Sehnsucht danach, dass es wieder so schön sein soll, wie es nie gewesen ist – lassen sich auch durch die verklärende Erzählung des Lukas hindurch die vermutlich unvermeidlichen Umstände und Missstände kirchlichen Lebens erkennen, heute wie damals. Kirche unter den Bedingungen der Wirklichkeit heißt Kirche unter der Sünde, aber auch für die Kirche darf gelten, dass sie Sünderin und gerechtfertigt zugleich ist, simul justa et peccatrix. Dass die Kirche so oft ihren eigenen Auftrag verfehlt, soll uns empören, aber es darf uns nicht überraschen.

Für mich folgt daraus zweierlei: das Misstrauen zu pflegen gegenüber den eigenen maßlosen Ansprüchen, die sich auch in den Verklärungen einer angeblich perfekten Vergangenheit zeigen; und gleichzeitig die Erinnerung wachzuhalten an die durch Gott gesetzten Anfänge. Letztlich geht es um die Unterscheidung von Kirche und Gottes Reich. Die Kirche hat die Aufgabe an Gottes Reich zu erinnern aber nicht die Kraft, es herbeizuführen. Andernfalls überheben wir uns, werden überheblich, drohen zu zerbrechen.

„Jesus hat das Reich Gottes verkündet – gekommen ist die Kirche“ – in diesem berühmten Wort (des katholischen Theologen Alfred Loisy, 1857-1940) schwingt gleichermaßen Enttäuschung und Kritik mit; Enttäuschung darüber, dass das Reich Gottes, von dem Jesus sagte, dass es nahe herbeigekommen sei, bisher ausgeblieben ist, ja also nun schon eine ganze Weile ausgeblieben ist und nach menschlichem Ermessen auch in absehbarer Zeit ausbleiben wird, was die Hoffnung auf sein Kommen nicht wenig trübt. Soweit die Enttäuschung. Gleichzeitig formuliert das kluge Wort – übrigens eines katholischen Theologen! – eine Kritik gegen die Selbstverwechslung der Kirche mit dem Reich Gottes, mit allen bekannten verheerenden Implikationen. Wer sich selbst für heilig hält oder erklärt, kann seine Fehler nicht eingestehen und die Verbrechen, die unter seinem Dach geschehen, nicht aufklären. Die heilige Kirche ist Gegenstand des Glaubens und der Hoffnung, nicht der Anschauung und Erfahrung.

Bestenfalls bietet die Kirche einen Rahmen, in dem das Wort Gottes und seines unaufhaltsamen Reiches ausgesprochen und in ihren Sakramenten gefeiert wird. Die Kirche ist die Bedingung der Möglichkeit eines richtigen Lebens im falschen, wobei das richtige Leben nie vollständig, nie nachhaltig, nie in Reinform zu haben ist und gelebt wird, sondern immer bruchstückhaft, in kostbaren Momenten – Wunder und Zeichen – und dabei nie so eindeutig, dass es alle – etwa uns, immer? – überzeugen könnte – noch im verklärenden Blick zurück des Lukas sind die Tausenden Getauften eine Minderheit und das Wohlwollen des ganzen Volkes nicht dessen Bekehrung. Anders war Kirche nie.

Anstatt der eigenen Glaubensmüdigkeit nachzugeben, wollen wir daher heute unsere 30 Getauften für die 3000 des Lukas nehmen, das fröhliche Fest am vergangenen Sonntag für ein Wunder und Zeichen halten, mit dem uns Gott bestärkt und das Wohlwollen des Volkes genießen, solange es uns gewährt wird – ich bilde mir ein, dass meine freundliche Fischverkäuferin diesmal besonders schöne Stücke abgewogen und mitgegeben hat, was ich auf ihr Lob beziehe, das ihr und mir selten und daher kostbar war. Jede Freundlichkeit unter uns Menschen verweist auf die Menschenfreundlichkeit unseres Gottes. Amen.