Meine Augen haben deinen Heiland gesehen, das Heil, das du bereitet hast vor allen Völkern. (Lukasevangelium 2,30-31)

Als Großvater freue ich mich am Anblick meiner Enkelin, nicht nur weil sie natürlich die weitaus schönste Vierjährige landaus, landein ist, die klügste und begabteste ohnehin. Sondern ich freue mich, dass das Leben weitergeht, mit ihr auch etwas von meinem Leben dann in der übernächsten Generation weitergeht, Erzählungen, Gewohnheiten, Werte, etwas und manches, dass mir wichtig war und mich ausmachte. Und dabei weiß ich, dass wir damit unseren Kindern und Kindeskindern manches Gepäck aufladen, an dem sie schwer zu tragen haben, Irrtümer, Macken oder auch gravierende Lebensfehler, die nicht nur die Verantwortlichen selbst in ihrer Generation belasten, sondern auch die nachfolgenden, die damit eigentlich nichts zu tun haben. So falsch war die Rede von der „Erbsünde“ nicht (ohne deshalb richtig gewesen zu sein!). Aber allzu sehr trübt das meine Freude an meiner Enkelin nicht, denn mit den vererbten Lasten hat sie ja dennoch alle Möglichkeiten eines eigenen, eigenständigen und selbstverantwortlichen Lebens. Ein Enkel setzt dem Wunder des eigenen Kindes noch eins obendrauf:

Das Projekt geht weiter! Als Großvater meine ich daher, den großväterlichen Simeon verstehen zu können, der sich hochbetagt über den Anblick dieses Kleinkindes Jesus freut, ihn auf den Arm nimmt und sein Segenswort spricht: Meine Augen haben deinen Heiland gesehen, das Heil, das du bereitet hast vor allen Völkern – sehr zum Wunder seiner Eltern, und zwar nicht so sehr des Hochhaltens wegen (was heutige Eltern vermutlich am meisten gestört hätte: Hoffentlich lässt der Greis das Kind nicht fallen!), sondern vor allem wegen seiner Worte, die doch mit ihren hohen Erwartungen weit über jedes erwartbare Lebensziel hinausschießen, als da wäre: glänzende Karriere, bedeutende Beiträge zur Entwicklung der Menschheit, Olympiasieg oder Nobelpreis – mag ja alles angehen, aber das Heil der Völker, das Licht der Heiden überspannt den Rahmen doch um einiges, oder nicht?

Als Leser heiliger Geschichten wundert uns natürlich gar nichts, Wunder sind zu erwarten; wir haben ja schon einiges über gebärende Jungfrauen und jubelnde Engel auf dem Felde in den an dieser Stelle noch nicht abgeschlossenen ersten beiden Kapiteln des Lukasevangeliums gelesen, was die hypertrophe Zuschreibung eines vielleicht schon leicht verwirrten älteren Herrn einsortieren hilft: Der alte Narr hat einen Narren gefressen an dem Kinde! (Was ich neulich beim Versteckspielen auch über mich gedacht habe, mit vollem Einsatz unter dem Bett, unter dem ich nur unter größter Mühe und Aufbietung aller mir verbliebenen Kräfte wieder hervorkriechen konnte, aber eben maßlos stolz über das fachkundige Urteil des Kindergartenkindes: Das war ein gutes Versteck! Und übrigens besser als das der um eine Generation näheren Mitspieler: Zum Narren gemacht, mit Staub bedeckt, aber mit Ruhm bekleckert.)

Was mich am meisten beeindruckt an dieser Szene mit dem alten Simeon und dem kleinen Kind ist das – natürlich mit der Bürgschaft Gottes versehene – unbedingte Zutrauen des Alten zum Jungen. Hier trifft kein nörgelnder Boomer auf einen Jammerlappen der Gen-X. Sondern ein Greis, dessen Lebenserfahrung und dessen Glauben an den Gott, bei dem alles möglich ist, gibt diese Möglichkeitszuschreibung (vulgo: Optimismus!) an den Jüngeren weiter. Nichts und niemand macht so viel möglich, wie einer – ob Großvater, Mutter, ein Lehrer oder eben Gott – der einem dieses Zutrauen zuspricht. Und damit dürften wir – zugegebenermaßen über manche Umwege – zum Sinn unseres Weihnachtsglaubens gekommen sein: Die Verkündigung ungeahnter Möglichkeiten an uns durch Gottes Sohn.

Klaus Neumann