Meine Zeit steht in Gottes Händen – Psalm 31

Nach einem wunderschönen Urlaub und am Ende herrlich langer Ferien kommt die Jüngste des Hauses eines Abends nicht zur Ruhe, weint bitterlich und klagt, „dass die Zeit, dass alles so schrecklich schnell vergehe“. Nicht etwa nur Urlaub und Ferien, woran das Problem aber deutlich, ja unvermeidlich wird, sondern eben alles und wir dann doch wohl auch werden vergehen, so schnell. Wie kann man sie trösten?

Tränen und Klage, dass „die Zeit so schrecklich schnell vergehe“ erwartet man eher von 80jährigen als von einer Achtjährigen. Aber auch schon ein Kind kann über das Bedauern über das Ende der Ferien hinaus, diesen metaphysischen Schmerz empfinden, dass alles ein Ende hat, auch unser Leben. Vielleicht ist das Empfinden und das Erschrecken über diese Erkenntnis beim ersten Mal sogar am schrecklichsten, wenn es unsere Gewissheit einer stabilen Harmonie der Welt erschüttert: Nein, es wird nicht immer so sein, wie es jetzt ist; nein, das Leben geht nicht weiter, immer so weiter – zumindest für den nicht, der das jetzt denkt und empfindet und darüber schon als Kind in Tränen ausbrechen kann. Was kann uns trösten?

Erstmal so leicht nichts; und wir sollten uns davor hüten, uns und andere zu vertrösten. Das metaphysische Übel der Endlichkeit (Leibniz) des natürlichen Lebens ist genauso schlimm, wie es sich in den Wahrheitsmomenten unseres Lebens anfühlt, und es ist unheilbar. „Alles Fleisch ist wie Gras“, sagt die Bibel, sagen Jesaja und Petrus, und wer wissen will, wie das gemeint ist, hört nach bei Brahms – oder besser noch, singt gemeinsam in einem Chor das Brahms-Requiem und erlebt dann doch – gemeinsam singend – jenen nicht geringen Trost, den die Kunst und den die solidarische Gemeinschaft der Sterblichen vermittelt.

Gemeinsam den Zumutungen unseres Lebens begegnen und sie womöglich in Kunst zu verwandeln – oder sie wenigstens als Kunst zu genießen: beide Verfahren der Schicksalsbewältigung haben sich bewährt, aber eben nur soweit bewährt, wie unter Menschen möglich. Trotz anderslautender Gerüchte machen uns weder die Liebe noch die Kunst unsterblich, auch wenn beides, die Liebe den Tod des Liebenden und die Kunst den des Künstlers, überlebt. Aber Goethe und Mozart sind tot, Romeo und Julia auch, wir werden folgen. Was kann uns trösten?

Die Bibel und der christliche Glaube machen uns ein Angebot, das wir nicht leichtfertig ausschlagen sollten. Sie behaupten nicht, dass Gott unser Leben verlängert oder nach dem Tod zurückgibt. (Beides ist mit Auferweckung und ewigem Leben gerade nicht gemeint!) Gott belässt es bei unserer Sterblichkeit, aber er lässt uns unser Leben in einem neuen Licht sehen. Er schlägt uns einen Perspektivenwechsel vor. Nicht von uns aus sollen wir auf unser Leben schauen sondern von Gott aus. Ja, „alles Fleisch ist wie Gras und alle Herrlichkeit der Menschen wie des Grases Blume. Das Gras ist verdorrt und die Blume abgefallen; aber des Herrn Wort bleibt in Ewigkeit“ (Jesaja 40; 1. Petrus 1).

Meine Zeit steht in Gottes Händen. Unsere menschliche Lebenszeit ist eingebettet von Gottes Ewigkeit. Wir Menschen wohnen in Gottes Ewigkeit. Wir können uns an Gott halten, weil er uns hält. Dann und so gehalten können wir uns nach dem metaphysischen Schrecken über das Ende von allem wieder der Herrlichkeit des menschlichen Lebens zuwenden. Die steht nicht für sich – sondern in Gottes Händen.

Klaus Neumann, Pfarrer der Thomasgemeinde