250 Jahre Ludwig van Beethoven (1770-1827): Die Missa solemnis (1824)

Das berühmteste aller Beethoven-Portraits (J.F. Stieler, 1820) zeigt den großen Jubilar mit selbstbewusstem, sinnendem Blick, romantischer Sturmmähne, feuerrotem Tuch und einem Skizzenbuch in der Hand. „Missa solemnis“ steht auf dem Deckblatt. Beethoven selbst nannte sie mehrmals sein „größtes Werk“. Kaum ein Stück hatte ihn über so viele Jahre (1817-1824) in Atem gehalten, noch nicht einmal seine parallel entstandene, ebenso monumentale „Neunte“. Ursprünglich war die „feierliche Messe“ für die Inthronisation des Erzherzogs Rudolph zum Erzbischof von Olmütz 1820 gedacht. Doch der Komponist hielt die Frist nicht ein. Das Projekt wuchs und wuchs und verlangte immer mehr Zeit. Beethoven erklärtes Ziel lag jenseits aller üblichen Zwecke, selbst dem einer Bischofsweihe. Es ging ihm um „wahre Kirchenmusik“. So schrieb er 1821 dem Erzbischof, seinem Freund, Förderer und Schüler: „Höheres gibt es nichts, als der Gottheit sich mehr als andere Menschen nähern, u. von hier aus die Strahlen der Gottheit unter das Menschengeschlecht verbreiten“. Die Missa solemnis hat den Charakter einer Bekenntnismusik, zum eigenen Trost und zum Wohle der
Menschheit.

Dass Beethoven ausgerechnet eine Messe für sein gelungenstes Werk hielt, ist schon bemerkenswert. Denn auf die Institution Kirche war der Komponist nicht immer gut zu sprechen. Seine geistlichen Werke lassen sich an einer Hand abzählen. Er war kein Kirchgänger und spöttelte gern über den Klerus. Als kritischer Geist verfolgte er aufmerksam die Umbrüche seiner Zeit, die Aufklärung, die Französische Revolution, die napoleonischen Kriege. Die alten Autoritäten, ob weltlich oder klerikal, stellte er prinzipiell in Frage und hing doch finanziell von ihnen ab. Zeitgleich lässt sich in Tagebüchern und Briefen eine Hinwendung zur Religion, eine intensive Beschäftigung mit Fragen des Glaubens feststellen. Während der akribischen Arbeit an der Missa solemnis war Beethoven von Krankheit, Geldsorgen und dem Vormundschaftsstreit um den Neffen geplagt und oft am Rande der Verzweiflung. Bei der Musikalisierung des Jahrhunderte alten und schon tausendfach vertonten Messtextes suchte er, taub und isoliert, nach eigenen Antworten. 1824 dann schrieb er, bei dieser Messe sei die „Hauptsache“, „sowohl bei den singenden als Zuhörenden religiöse Gefühle zu wecken und dauernd zu machen.“

Wie so oft bei Beethoven, dem „Titanen“, überschreitet auch die Missa solemnis alle Grenzen des Gewohnten. Zeitgenössische Kritiker suchten verwirrt nach passenden Umschreibungen. Auch heute noch kann sich der Zuhörer halb hingezogen, halb ausgeliefert fühlen, so schnell folgen nach dem „Knall“ des ersten Taktes die gegensätzlichsten Ideen in dem großen, festen Gefüge aufeinander. Kirchenmusikalische Vergangenheit wie
Choräle und Fugen wechseln mit Opernhaftem und Sinfonischem, plötzliche Momente tiefster Innerlichkeit bei den Solisten mit gewaltigen Klangströmen des Chores. Mittendrin fällt überraschend ein sanftes Violinsolo (Benedictus) vom Himmel. Beim „Dona nobis pacem“ erklingt drohende Kriegsmusik mit Blech und Schlagwerk, womit der Rahmen des Liturgischen nun vollends verlassen wird. Der Schluss bleibt absichtlich in der Schwebe. Auch das gehört zu Beethovens persönlichem Bekenntnis.

Konzerttipp: Rheingau Musik Festival, 20.8.2020; CD-Tipp: Einspielungen
unter Frieder Bernius (Carus 2019) und Nikolaus Harnoncourt (Sony 2016).

Anne Sophie Meine