Solches redete Jesus und hob seine Augen auf zum Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist gekommen: Verherrliche deinen Sohn, auf dass der Sohn dich verherrliche; so wie du ihm Macht gegeben hast über alle Menschen, auf dass er ihnen alles gebe, was du ihm gegeben hast: das ewige Leben. Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen. Ich habe dich verherrlicht auf Erden und das Werk vollendet, das du mir gegeben hast, damit ich es tue.Und nun, Vater, verherrliche du mich bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war. Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Sie waren dein, und du hast sie mir gegeben, und sie haben dein Wort bewahrt. Nun wissen sie, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir kommt. Denn die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, und sie haben sie angenommen und wahrhaftig erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin, und sie glauben, dass du mich gesandt hast. (Johannesevangelium 17,1-8)
Neulich im Konfirmandenunterricht haben wir über die Schöpfung gesprochen, über Gott und den Urknall, über den Beginn von allem und über den Anfang des Alls, darüber dass mit dem allerersten Anfang Raum und Zeit begann, und dass man deshalb auch eigentlich nicht von einem „Bevor“ der Schöpfung, oder eben einem „Bevor“ des Urknalls sprechen kann. „Bevor“ und „Danach“ sind ja Kategorien der Zeit, die nicht auf einen Zustand ohne Zeit angewendet werden können.
Die Bibel selbst hat für diesen Zustand ohne oder außerhalb der Zeit den Begriff der „Ewigkeit“ angewendet, mit der eben nicht eine endlose Zeit gemeint ist – so etwa, wenn wir sagen: das dauert ja ewig; so also eigentlich nicht – sondern ein Zustand ohne Zeit gemeint ist: die Ewigkeit dauert ja gerade nicht ewig, wenn „dauern“ eine lange Zeit bezeichnet. Ewigkeit dauert nicht, nicht einmal ewig, sie ist zeitlos. (Insofern wird man das überaus lustige Wort des großen Woody Allen aus theologischen Gründen zurückweisen müssen, der bekanntlich gesagt hat: Die Ewigkeit dauert lange, besonders gegen Ende.)
Den Faden dieses wie immer sehr anregenden Gesprächs mit unseren Konfirmanden möchte ich heute aufnehmen im Nachdenken über unseren Predigttext, in dem sich Jesus von seinen Jüngern aus der Zeit in Gottes Ewigkeit verabschiedet; er und sie – wie wir ja auch am Beginn der Karwoche – gehen auf das Ende seines irdischen, menschlichen Lebens zu. Gerade beim Evangelisten Johannes wird das katastrophische menschlich-irdische Ende Jesu, sein gewaltsamer Tod am Kreuz, als Eingang – oder Rückkehr – in Gottes Herrlichkeit gedeutet und daher treffend Erhöhung genannt. Bei Johannes wird Jesus nicht erst in seiner Auferstehung zu Gott erhöht, sondern schon in Tod und Kreuz erhöht; und darin von Gott verherrlicht.
Jesus verabschiedet sich von seinen Jüngern mit Reden über Gott und die Welt und einem Gebet, dessen Anfang wir heute hören und das durch zwei Schlüsselbegriffe geprägt wird, die mehrfach wiederholt werden: „verherrlichen“/ „Herrlichkeit“ – gleich sechsmal – und „ewig“ – zweimal genannt aber dreimal gemeint. Beide beschreiben, was nun mit Jesus geschieht; vor allem aber kennzeichnen sie, wer oder wie Gott ist.
Herrlichkeit ist das Wesen Gottes, mit der er die Welt erfüllt. „Heilig, heilig, heilig ist der Herr, alle Lande sind seiner Ehre voll – eigentlich seiner Herrlichkeit voll“ heißt es beim Propheten Jesaja (Jesaja 6,3). „Herrlichkeit“ bezeichnet den Lichtglanz Gottes, den Lichtglanz, in dem Gott lebt, der ihn umgibt und der von ihm ausstrahlt, der also nach den Worten des Jesaja auf seiner ganzen Schöpfung liegt. Gott wohnt im Licht – Licht ist göttlich– Licht ist Leben – ohne Licht kein Leben; das Licht hat die Menschen seit jeher über alle Maße fasziniert – und noch heute sind es die faszinierenden Eigenschaften des Lichts – seine Geschwindigkeit, seine Struktur, seine Wirkungen – denen die Forscher nachgehen, um die innersten Geheimnisse der Natur zu ergründen.
Wenn also unser Text gerade diesen Lichtglanz und diese Herrlichkeit hervorhebt, geht es ihm zunächst genau darum, den Lichtglanz, und zwar den Lichtglanz Gottes auf Jesus den Sohn zu lenken, der zu Gott im Gebet spricht: Verherrliche deinen Sohn, auf dass der Sohn dich verherrliche! Ihnen beiden, Gott Vater und Gott Sohn, soll unsere ganze, ungeteilte Aufmerksamkeit gelten, sie sollen ins Scheinwerferlicht getaucht werden, das die Finsternis unterbricht und erhellt. So beginnt ja schon das Johannesevangelium, mit seiner ganz eigenen Geburtsgeschichte: „Das Licht scheint in der Finsternis“ (Johannes 1,5), „Das war das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet“ (V.9), „und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit, als des eingeborenen Sohnes vom Vater“ (V.14).
Dieses Licht auf Jesus Christus ist das Licht Gottes; es dient dazu, diesen Menschen Jesus als Gottes Sohn, als Gott zu identifizieren, ihn zu verherrlichen, ihn zu vergöttlichen: „Ich und der Vater sind eins“ (Johannes 10,30), sagt Jesus, und an anderer Stelle: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (Johannes 8,12)
Wer sich zu Jesus in das göttliche Licht stellt, wird mit dem Sohn mitverherrlicht und hat so Anteil an der Ewigkeit Gottes; Jesus wird von Gott in seinen Lichtstrahl gestellt, um auch uns zu erleuchten: auf dass er ihnen alles gebe, was du ihm gegeben hast: das ewige Leben. Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen.
Immer und immer wieder spricht Jesus im Johannesevangelium davon, dass der Glaube an Jesus Christus, an Gottes Sohn das ewige Leben ist; also jetzt schon ist; nicht erst zukünftig durch ihn sein werde oder erworben würde, sondern wie gesagt: schon ist: „Wer glaubt, hat das ewige Leben“ (Johannes 6,47, und öfter). Leuchtet uns das ein? Erhellt uns das? Trifft uns ein Strahl des göttlichen Lichts?
Man muss an dieser Stelle die Worte Jesu und die Lehre des Johannes nicht unnötig komplizieren. Trotz der häufigen Verwendung von Vokabeln der Erkenntnis und der Weisheit – auch hier in unserem Textabschnitt ist von „wahrhaftigem Erkennen“ die Rede – geht es glaube ich nicht um komplizierte Spekulationen oder Geheimlehren (wie lange angenommen wurde), sondern eher um das Verstehen als Geistesblitz oder, dass uns ein Licht aufgeht; es geht nicht so sehr um die Anstrengung des Denkens sondern um die Leichtigkeit des einen, aber entscheidenden Gedankens; nicht um die Erkenntnis als mühevolles Werk sondern als Gabe und Geschenk.
Wir kennen das aus unseren eigenen Erfahrungen des Verstehens, das natürlich mit Mühe und Anstrengungen verbunden ist – sonst müssten wir ja nicht 13 oder mehr Jahre die Schulbank drücken – aber das uns in den raren Momenten der Erkenntnis mühelos erscheinen kann; wenn uns einmal doch der Groschen gefallen und das Licht wie angeschaltet aufgegangen sein sollte, dann liegt das Ergebnis vor uns, es bietet sich als offensichtlich dar, als könne esgar nicht anders sein.
In den Jesusgeschichten – insbesondere aus der Hand des Johannes – erleben wir immer wieder diesen Vorgang des plötzlichen Verstehens – wie auch den des dauerhaften Nichtverstehens. Auch darüber macht sich Johannes und sein Jesus keine Illusionen, dass es nämlich Menschen gibt und geben wird, die im Dunkeln bleiben und denen kein Licht aufgeht. Aber es gibt eben auch die, auf die das Licht trifft, die mitverherrlicht werden durch den Lichtglanz Gottes in Jesus Christus – und darin das ewige Leben haben.
Wer nämlich dieses Licht auf unserer Welt und in seinem Nächsten erkennt; wer wahrnimmt, dass die Natur nicht nur sinnloser Zufall ist, sondern Gottes Schönheit an sich trägt – noch unter dem Elektronenmikroskop oder im Teilchenbeschleuniger an sich träg; und wer im menschlichen Gegenüber Gott selbst erkennt – nach dem Johanneswort: „Gott ist Liebe. Und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm“ (1. Johannesbrief 4,16), der lebt „ewig“, wie Johannes und sein Jesus es hier meinen. Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen.
Nochmal: Wer in der Welt und im Nächsten Gott erkennt, der erlebt jetzt schon „Ewigkeit“; wer in diesem Sinne glaubt, der hat das „ewige Leben“, der weiß sich von Gott geborgen. Wer weiß, dass Gott da ist, der weiß, dass Gott für ihn da ist; auch in den Stunden des Leidens und Sterbens wird Gott für uns da sein; auch dann wenn die Mächte der Finsternis ihr menschenfressendes Haupt erheben.
Diese Zuversicht trotz aller Bedrängnis strahlt Jesus hier kurz vor seinem Tod aus. Gott, da ist er sich sicher, lässt ihn nicht im Tod, sondern erhöht ihn zu sich, hat das schon getan, wie er sagt: „Ich bin nicht mehr in der Welt; sie aber sind in der Welt, und ich komme zu dir.“ (Johannes 17,11). Mit dieser Zuversicht wollen wir mit ihm in diese Woche gehen.