Da sie nun das Mahl gehalten hatten, spricht Jesus zu Simon Petrus: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr, als mich diese lieb haben? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Lämmer! Spricht er zum zweiten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe! Spricht er zum dritten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Petrus wurde traurig, weil er zum dritten Mal zu ihm sagte: Hast du mich lieb?, und sprach zu ihm: Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe! Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wo du hinwolltest; wenn du aber alt bist, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hinwillst. Das sagte er aber, um anzuzeigen, mit welchem Tod er Gott preisen würde. Und als er das gesagt hatte, spricht er zu ihm: Folge mir nach! (Johannesevangelium 21,15-19)
und führen, wohin du nicht willst – so hat der seinerzeit weit bekannte Theologe Helmut Gollwitzer den Bericht seiner Erlebnisse in Krieg und Kriegsgefangenschaft in der Sowjetunion 1945-49 überschrieben. Trotz seiner – in der Gegenwart wieder schrecklich aktuellen – Erfahrungen als Gegner und Gefangener einer russischen Armee und eines russischen Machthabers hat er sich zeitlebens für die Aussöhnung mit dem einstigen Feind, für den Frieden über Feindesgrenzen hinweg und insbesondere gegen die Atombewaffnung eingesetzt und ist so zu einem Wortführer und Symbol eines pazifistischen Protestantismus geworden, dessen Wahrheit nun spätestens seit zwei Monaten schal geworden zu sein scheint. Ist sie das wirklich?
und führen, wohin du nicht willst – bringt für Gollwitzer den Verlust von Autonomie in Gefangenschaft und Verschleppung zum Ausdruck, aber auch schon den Verlust von Autonomie durch Teilnahme an einem ungerechten Krieg und der Beteiligung an den Verbrechen seines Volkes. Für Gollwitzer stellt der weitgehende Verlust der Selbstbestimmung in Krieg und Kriegsgefangenschaft aber keinen Grund dar, die Verantwortung für das eigene Leben und das eigene Handeln abzuweisen. Denn genau darum geht es ihm: die Möglichkeiten des richtigen Lebens im ganz und gar falschen Leben aufzuzeichnen. Noch im Gulag – falscheres, schlimmeres, fremdbestimmteres Leben lässt sich kaum denken – findet sich Leben.
Auch die Quelle seines Buchtitels, und führen, wohin du nicht willst, die wir heute als Predigttext besichtigen, meint den Verlust von Autonomie – nämlich des Petrus – in einer späteren Lebensphase. Man könnte das Jesuswort für eine allgemeingültige Beschreibung des fremdbestimmten Lebens im Alter halten und ihm darin zustimmen: Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wo du hinwolltest; wenn du aber alt bist, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hinwillst. So ist es ja und jeder kann sich das jetzt schon anschauen im Seniorenheim, in das die wenigsten von uns geführt werden wollen, lange bevor es einen selbst treffen mag. Und natürlich wird hier zuerst ein altersbedingter Mangel beschrieben, der den Alltag beschwerlich macht; noch beschwerlicher allerdings für den, der niemanden hat, zu dem er seine Hände ausstrecken kann, der ihn gürtet und führt.
Aber sicherlich ist hier an unserer Bibelstelle konkreter der fremdbestimmt-selbstbestimmte Märtyrertod des Petrus gemeint, von dem der Autor des Johannesevangeliums dann wohl schon gewusst hat: Das sagte er aber, um anzuzeigen, mit welchem Tod er Gott preisen würde. Auch wenn – oder gerade weil! – hier etwas vorhergesagt wird, was schon eingetreten ist, wird man aber am Martyrium des Petrus in Rom – anderes als frühere Generationen – historisch nicht zweifeln müssen. Dieses römische Martyrium hat zu seiner besonderen Wertschätzung in der Erinnerung der frühen Christen beigetragen und natürlich zum Anspruch des römischen Bischofs als seines Nachfolgers.
Dabei sind die Erinnerungen an Petrus überaus ambivalent. Dreimal verleugnet Petrus seinen Heiland, lässt darüber einen Hahn heiser werden, und wohl deshalb fragt ihn Jesus diesmal dreimal, ob er ihn liebe. Sicher kann er sich dessen nicht mehr sein; wer einmal lügt, dem glaubt man nicht; und wer einmal die Solidarität verweigert, hat schnell sein Ansehen verspielt. Der Kummer des Petrus über die wiederholte, vergewissernde Frage Jesu – Petrus wurde traurig, weil er zum dritten Mal zu ihm sagte: Hast du mich lieb?, und sprach zu ihm: Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, dass ich dich lieb habe. – ist einerseits verständlich – wer wird schon gerne an sein Versagen erinnert? – aber durchaus unberechtigt, denn Jesus möchte eben ganz genau wissen, auf was für einen wackeligen Felsen er seine Kirche baut.
Immerhin gibt Jesus ihn nicht auf, sondern fragt und beauftragt ihn nun eben dreimal – für jedes Leugnen eine Frage – seine Lämmer, seine Schafe zu weiden; also Hirte, Pastor seiner Kirche zu werden. Ob Petrus in Zukunft verlässlich sein wird, bleibt offen, ob sich Jesus auf ihn verlässt, nicht. Der Verlassene verlässt ihn nicht. Trotz seiner Fehler, die unsere Fehler sind, wird Petrus in die Verantwortung berufen; trotz unserer Verkrümmungen sollen wir für uns und andere geradestehen.
Helmut Gollwitzer bringt diese Bestimmung des Menschen durch Gott in einem anderen seiner vielgelesenen Werke auf den Punkt: „Krummes Holz – Aufrechter Gang“ lautet der sprechende Titel. Es mag sein, wie ein ehemaliger Kirchenvorsteher immer mal wieder bei passender Gelegenheit bemerkte, dass man aus einem Ochs kein Rindfleisch machen kann, aber Gott wenigstens will uns trotz unserer Verkrümmungen mit aufrechtem Gang durchs Leben gehen sehen; noch der feige, unsolidarische und leugnende Petrus soll sich wieder aufrichten, bekommt eine zweite Chance, eine geöffnete Tür, eine Brücke in ein Leben der Verantwortung für sich selbst und andere: „Krummes Holz – Aufrechter Gang“
Auch Helmut Gollwitzer und die von ihm zeitlebens geforderte Aussöhnung unter Feinden verdient eine relecture, eine zweite Chance. Es ist unbedingt richtig, den angegriffenen Menschen im überfallenen Land mit allen verantwortbaren Mitteln in ihrer Selbstverteidigung zu helfen. Vielleicht geht da noch mehr, „um dem Rad in die Speichen zu fallen“, also – in einer Wendung Dietrich Bonhoeffers – auch militärisch Widerstand zu leisten. Aber es erscheint mir nicht richtig – bitte korrigieren sie mich – mit dem Angreifer ein ganzes Volk, seine Kultur zu dämonisieren und seine Bekämpfung zu rechtfertigen. Auch mit Feinden wird Frieden zu schließen sein, angesichts der Zerstörungen und des Leids besser heute als morgen.
„Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen“ sagt Jesus an anderer Stelle und begründet damit den christlichen Pazifismus, der nun über Nacht falsch geworden sein soll, wo doch eigentlich nur die Mittel, Frieden zu sichern, sich als untauglich erwiesen haben. Bleibt zu hoffen und alles daran zu setzen, bessere Mittel zu finden, den Frieden zu stiften und dann zu erhalten, denn Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.