Und es ging hin ein Mann vom Hause Levi und nahm eine Tochter Levis zur Frau. Und sie ward schwanger und gebar einen Sohn. Und als sie sah, dass es ein feines Kind war, verbarg sie ihn drei Monate. Als sie ihn aber nicht länger verbergen konnte, nahm sie ein Kästlein von Rohr für ihn und verklebte es mit Erdharz und Pech und legte das Kind hinein und setzte das Kästlein in das Schilf am Ufer des Nils. Aber seine Schwester stand von ferne, um zu erfahren, wie es ihm ergehen würde. Und die Tochter des Pharao ging hinab und wollte baden im Nil, und ihre Dienerinnen gingen am Ufer hin und her. Und als sie das Kästlein im Schilf sah, sandte sie ihre Magd hin und ließ es holen. Und als sie es auftat, sah sie das Kind, und siehe, das Knäblein weinte. Da jammerte es sie, und sie sprach: Es ist eins von den hebräischen Kindlein. Da sprach seine Schwester zu der Tochter des Pharao: Soll ich hingehen und eine der hebräischen Frauen rufen, die da stillt, dass sie dir das Kindlein stille? Die Tochter des Pharao sprach zu ihr: Geh hin. Das Mädchen ging hin und rief die Mutter des Kindes. Da sprach die Tochter des Pharao zu ihr: Nimm das Kindlein mit und stille es mir; ich will es dir lohnen. Die Frau nahm das Kind und stillte es. Und als das Kind groß war, brachte sie es der Tochter des Pharao, und es ward ihr Sohn, und sie nannte ihn Mose; denn sie sprach: Ich habe ihn aus dem Wasser gezogen. (2. Buch Mose 2,1-10)
Was für ein Wunder: Ein Kind wird errettet, ein Kind wird vor den genozidalen Machenschaften des Pharao gerettet, der alle neugeborenen Knaben der Hebräer töten lässt – denn „das Volk Israel mehrte sich und wurde sehr stark“ (2. Mose 1,20); deshalb „kam die Ägypter ein Grauen an vor den Israeliten“ (1,12) Um Wachstum und Stärke des Volkes Israel zu verhindern, sollen alle männlichen Babys nach der Geburt getötet werden. Was für ein abgrundtiefes Verbrechen. Und was für ein großartiges Wunder, dass das Mosebaby dennoch gerettet wird.
Ein Kind wird errettet. Ein Kind wird gerettet mit dem Verstand und der List kluger Frauen, denen das Leben wichtiger ist als die Macht; für die ein Menschenleben mehr zählt als die Loyalität zum Vater, mehr als die Macht des Königs, mehr als das Geschick des eigenen Volkes. Jedes Leben zählt, und deshalb zählt auch das Leben dieses hebräischen Knäbleins – für die eigene Mutter und Schwester sowieso, aber eben auch für die Tochter des feindlichen Herrschers, die Prinzessin des Feindes, die Tochter des blutdürstigen Pharaos: Hebrew lives matter!
Ein Kind wird errettet. Ein Kind wird gerettet unter Gottes Schutz und Schirm ganz bestimmt; aber eben auch durch Verstand und List und die Fürsorge kluger Frauen; die der Mutter zuerst – wie hält die das eigentlich aus: Trennung vom neugeborenen Kind, das sie in Lebensgefahr im schaukelnden Körbchen auf dem Nil weiß und dann in der Obhut ihrer und seiner Todfeinde; Fürsorge aber auch seiner großen Schwester, die als stille Beobachterin die Vorgänge im Blick behält und zur rechten Zeit auch den Tipp an die Tochter des Pharaos weitergibt, wer das neugeborene Kind stillen könnte, die eigene Mutter natürlich, die hat ja gerade geboren, nämlich den dessen Amme und Leihmutter sie nun sein soll.
Generationen von Kindergottesdienstkindern haben von dieser Geschichte der Rettung des Mose als Baby gehört und gelesen, haben sie gespielt und besungen, gemalt und gestaltet. Weithergeholt und leicht nachvollziehbar zugleich für uns Stadtkinder des 20. Jahrhunderts. Ist doch klar, dass dieses Baby gerettet werden muss. Wie es sich gefühlt haben wird ganz allein in seinem Körbchen? Ob es sich müde geweint hat? Kalt wird es nicht gewesen sein im Schilf auf dem Nil; aber vielleicht allzu sehr der Sonne ausgesetzt am Tag in seinem handgebastelten Brutkästchen aus Schilf, und dann vielleicht doch gefroren in der finsteren ägyptischen Nacht. Aber vielleicht ging ja auch alles recht schnell, die Stelle an der er ins Wasser gelassen wurde, war ja ganz nahe der Badestelle der Königstochter – es kommt ein Schiff geladen. Verständlich jedenfalls, dass die sich gleich für die teure Fracht interessiert. Wem würde das nicht so gehen, dass wir uns interessieren für die Babys in unserer Nähe, ein neues Leben in unserer Mitte, jedes von ihnen ein Wunder – ein feines, schönes Kind.
Generationen haben die prekäre Geburtsgeschichte des Mose mit der nicht minder prekären Geschichte Jesu verbunden; der – wie es Lukas erzählt – fern von seinem Dorf, seiner Heimat geboren wird, unvorbereitet, ohne die weisen Frauen um Mutter und Kind, die sonst wohl in jener Zeit die Geburt begleiteten; fernab vom richtigen Zuhause, in Stall oder Krippe, aber immerhin ordentlich in Windeln gewickelt; allerdings – wie es Matthäus erzählt – gleich dem Moseknaben von Geburt an bedroht von einem eifersüchtigen Herrscher, der ihm nach dem Leben trachtet und der nicht zurückschreckt vor Kindermord; zur Flucht gezwungen nach Ägypten, ins Geburtsland des Mose, sicher für Kleinkinder ist es auch da nicht, wie wir heute lernen.
Auf ihre zynische Weise haben die neidisch, eifersüchtigen Herrscher, die diesen Kindern nach dem Leben trachten natürlich recht – so wie die Tyrannen und Terrorfürsten in Russland, in Gaza und an so vielen Orten der Welt auf ihre zynische Art recht haben mit ihren Vernichtungszügen gegen die, die sich gegen ihre Gewalt wehren. Denn von diesen Gotteskindern geht Gefahr für ihre ungerechte, gewalttätige Herrschaft aus. Diese sind von Gott gesandt und eingesetzt, Recht und Gesetz wieder aufzurichten, Gnade und Barmherzigkeit zu üben, den Frieden Gottes zu bereiten.
Die Geburtsgeschichten von Mose und Jesus zeigen überdeutlich, dass die Weihnachtsbotschaft mehr ist und mehr sein will, als der Zuckerguss auf unseren Zimtplätzchen und der Puderzucker auf dem Christstollen; also mehr als die stimmungsvolle Dekoration unsere Ansprüche nach Gemütlichkeit und Festtagsstimmung. Die Botschaft der Engel ist ernst gemeint und wörtlich zu verstehen: „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden, den Menschen seines Wohlgefallens“, will sagen: Wer den Frieden unter Menschen verletzt, entehrt Gott und kann nicht mit seinem Wohlgefallen rechnen.
Auch wenn wir einsehen und eingestehen müssen, dass wir auf diese Weise die weihnachtliche Friedensbotschaft um einiges teurer machen, wenn im Grenzfall das Eintreten für den Frieden auch der Kampf gegen das Böse und die Bösen einschließt – verstörend genug! – bleibt die Weihnachtsbotschaft Friedensbotschaft. Denn das lässt sich doch auch an unserer Mosegeschichte heute lernen, dass das Böse mit allen aber eben auch mit unterschiedlichen Mittel zu bekämpfen ist, und dass bisweilen Ausweichen und List eher zum Ziel führen als widerstehende Gewalt. Was hätte es dem Mose geholfen, wenn ihn die Seinen mit Waffen verteidigt hätten gegen einen übermächtigen Gegner? Genau, gar nichts. Mit ihrer lebenserhaltenden List aber retten ihn Mutter und große Schwester vor dem Schwert des Pharao.
Und auch die vorübergehende Flucht der Heiligen Familie weicht dem übermächtigen Herodes aus, um ihren Jesus weiterleben zu lassen. Er hat noch so viel zu sagen, das zum Beispiel:
„Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen.“