2. Sonntag im Advent, 8. Dezember 2024

Die Wüste und Einöde wird frohlocken, und die Steppe wird jubeln und wird blühen wie die Lilien. Sie wird blühen und jubeln in aller Lust und Freude. Die Herrlichkeit des Libanon ist ihr gegeben, die Pracht von Karmel und Scharon. Sie sehen die Herrlichkeit des Herrn, die Pracht unsres Gottes. 

Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! Sagt den verzagten Herzen: »Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.«

Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. Dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch, und die Zunge des Stummen wird frohlocken. Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande. Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein. Wo zuvor die Schakale gelegen haben, soll Gras und Rohr und Schilf stehen.

Und es wird dort eine Bahn sein und ein Weg, der der heilige Weg heißen wird. Kein Unreiner darf ihn betreten; nur sie werden auf ihm gehen; auch die Toren dürfen nicht darauf umherirren. Es wird da kein Löwe sein und kein reißendes Tier darauf gehen; sie sind dort nicht zu finden, sondern die Erlösten werden dort gehen. Die Erlösten des Herrn werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.
(Buch des Propheten Jesaja 35, 1-10)

„Jauchzet! frohlocket!“ – Fordert es in dieser Zeit allüberall, auch aus unserem Predigttext.

Aber:Es ist ein Wort, ein Wörtchen nur, liebe Schwestern und Brüder, das mir und vielen den Jubel beschwert: Ich meine das Wort „Rache“; vielleicht geht es Ihnen genauso. Frohlocken, Jubel, Lust und Freude, Pracht und Herrlichkeit, Jauchzen und Wonne; das ist doch, worum es gehen soll – gerade in dieser Zeit: „Jauchzet! frohlocket!“ Aber mittenhinein in die Galerie der Jubelworte setzt der Prophet „Rache“ und „Vergeltung“ – und vergilt uns die Freude. Sollten nicht „Rache“ und „Vergeltung“ zu Unwörtern der Bibel erklärt werden? Aber hier stehen sie und machen uns die Freude am Jubel und dem Ausleger das Auslegen schwer.

Wir erleben es an diesem Jubeltext, wie wir es so oft in den Geschichten der Bibel erleben, dass uns der Jubel im Halse stecken bleibt. Erst neulich als ich mit meinen Schülern das Heilsereignis der Bibel schlechthin, den Auszug der Israeliten aus der ägyptischen Gefangenschaft besprochen habe, also wieder mal besprochen habe, beschrieben in der Bibel, besungen im Lied des Mose und dem noch ursprünglicheren Lied seiner Schwester Mirjam: „Hoch erhaben ist der Herr, Ross und Reiter warf ins Meer“; auch ein Jubellied, vielleicht das erste und älteste der Bibel; aber auch in diesem Jubellied ist von der Vergeltung durch Gott und vom Untergang der Feinde die Rede. Muss das so sein? Haben sich auch die Schülerinnen und Schüler gedacht und gefragt. Muss das so sein?

Und sie fragen natürlich weiter – und zurecht weiter – wie das damals mit Noah und der Sintflut war – um nur ein besonders krasses Beispiel zu nennen -Noah und die Sintflut und der Vernichtung allen Lebens auf der Erde zur Vergeltung für die bösen Taten ihrer Bewohner. Man muss das nicht für einen historischen Bericht aus uralter Zeit halten, um sich an der Gewalt der Geschichte zu stören. Geht’s nicht auch anders? Jubel ohne Vergeltung. Einfach nur Frohlocken, Jubel, Lust und Freude, Pracht und Herrlichkeit, Jauchzen und Wonne – uneingeschränkt, ungestört, ohne Reserve, ohne Hintergedanken.

Für meine Schüler naheliegend – und für viele naheliegend zu allen Zeiten – ist die Erklärung, dass sich hier ein Gott der Rache offenbart, der rachsüchtige Gott einer Religion der Vergeltung, die das Aug um Auge zu ihrem Prinzip gemacht hat. Kaum einen Schritt weiter liegt dann die Behauptung, dass das eben der Unterschied sei zwischen Altem Testament und Neuem Testament, einem Gott des Hasses und dem Gott der Liebe, zwischen dem Gott der Juden und Jesus Christus, überhaupt: zwischen Juden und Christen. Aus der naheliegenden Erklärung entsteht – schwupps – das wohlfeile antijüdische Klischee, dessen sich noch heute Antisemiten aller Art bedienen.

Es kostet so viel Mühe – und ist gleichzeitig kinderleicht – darauf hinzuweisen, dass das Gottesbild im Alten Testament komplex ist, aber dass schon das Alte Israel an den allmächtigen als liebenden und barmherzigen Gott glaubt, dass im Alten Testament zuerst das Liebesgebot formuliert und die Nächstenliebe gefordert wird – kurz: dass die Liebesreligion Jesu ganz und gar alttestamentlich-jüdisch geprägt ist; wie auch nicht, Jesus war eben Jude.

Und man muss fragen, ob nicht die legitime Komplexität des alttestamentlich-jüdischen Gottesbildes durch Vereindeutigungen und Verharmlosungen zu seinem Schaden reduziert wurde; ob nicht durch diese Vereindeutigungen und Verharmlosungen, die aus dem allmächtigen irgendwann nur den lieben Gott gemacht haben, dabei die Wirklichkeit Gottes – aber auch die Wirklichkeit der Welt, die sich nicht ohne weiteres harmonisieren lässt – verloren ging; kurz: Muss nicht auch der „liebe Gott“ stark genug gedacht und geglaubt werden, um die Bösen abzuwehren und zu bestrafen?

Wenn nicht jeder Schurke zum Wohltäter umerzogen werden kann, wovon auszugehen ist, muss ihm Einhalt geboten werden. Unrecht muss wiedergutgemacht werden. Zukünftiges Unrecht muss verhindert werden. Beim biblischen Konzept der Vergeltung geht es nicht um die Befriedigung niederer Instinkte, sondern die nötigenfalls gewaltsame Umkehrung von Unrechtssituationen in Rechtsverhältnisse. Und so wendet sich das Opfer von Gewalt, das sich aus Schwäche nicht selbst helfen kann, an seinen Gott, der ihm helfen soll.

Wie in unserem Jubeltext zum Advent erheben in der Bibel die Opfer von Gewalt, Krieg und Verschleppung die Stimme. Sie rufen zu Gott und erbitten sich Hilfe von Gott gegen ihre Feinde. Hier sind es die Exulanten, die das Ende ihrer Verbannung schon absehen können; die sich schon auf den Weg gemacht haben, auf dem Weg sind durch die Wüste, die in ihren Vorstellungen zu blühen beginnt: Die Wüste und Einöde wird frohlocken, und die Steppe wird jubeln und wird blühen wie die Lilien. Sie wird blühen und jubeln in aller Lust und Freude.

Aber noch ist keineswegs sicher, wie das hier ausgehen wird. Es gibt ja noch Feinde, die jederzeit zu Gewalt bereit sind. Denen ist Einhalt zu gebieten. Im Hinblick auf diese immer noch lauernde Gefahr ermutigt und tröstet der Beter die Fliehenden: »Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.«

Unter der Voraussetzung der starken Hilfe eines starken Gottes soll tatsächlich Erlösung geschehen und die Wüste blühen, soll alles heil und gut werden: Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. Dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch, und die Zunge des Stummen wird frohlocken. Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande. Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein. Wo zuvor die Schakale gelegen haben, soll Gras und Rohr und Schilf stehen.

Dieses zunächst einmalige Erlösungsgeschehen ist mit den Jahren und Jahrhunderten zum Beispiel und zum Vorbild für die Hoffnung auf Gottes Hilfe und Erlösung an anderen Orten und zu anderen Zeiten geworden. Noch aus verzweifelten Lagen soll Gott uns erlösen, wie damals das Volk Israel aus dem Exil in Babylon: Die Erlösten des Herrn werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.

Die Rede ist hier vom lieben Gott – wie denn nicht? – aber vom lieben Gott, der stark genug ist, sich für uns durchzusetzen. Darüber: „Jauchzet! frohlocket!“