Und der Herr redete mit Mose und sprach: Sage Aaron und seinen Söhnen und sprich: So sollt ihr sagen zu den Israeliten, wenn ihr sie segnet: Der Herr segne dich und behüte dich; der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der Herr hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden. So sollen sie meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne. (4. Buch Mose 6,22-27)
Alles wird gut: Andrá tutto bene – So haben wir es gelernt in dieser Zeit, als sich Menschen in Not und Verzweiflung gegenseitig Mut zusprachen. Die die alles noch besser wissen, haben gleich gemault, dass das doch ein bisschen platt wäre, so etwas Heile-Gänschen-haftes hätte, eigentlich gar nicht alles gut würde, selbst wenn dieses Krise vorbei wäre, denn die nächste käme bestimmt: Nach der Krise ist vor der Krise. Stimmt schon, aber nicht ganz.
Andrá tutto bene: Den Weichherzigen oder wenn man so will Rührseligen – wie mir – ging das direkt ins Herz, erstens weil in Italienisch vieles gleich viel bedeutender und herzlicher klingt als es sich in unserer teutonischen Muttersprache anhört und zweitens, weil wir es ja von den Menschen hörten und sahen, die wir sonst im Urlaub besuchen in dem Land, in das wir uns hinsehnen, besonders dann, wenn unseres mal kalt und hässlich ist oder uns doch so scheint. („Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn,/Im dunkeln Laub die Goldorangen glühn,/Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,/ Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht/ …“)
Als das schöne Wort gesagt und auf die Balkone gemalt wurde, hatte sich gerade unser Urlaubstraum in einen Albtraum der Seuche verwandelt, das gelobte Land war in Chaos zurückversetzt, das Schöpfungsversprechen und Gottes Urteil: „Und siehe, es war alles sehr gut!“ scheinbar zurückgenommen, Segen in Fluch verwandelt, so musste es scheinen. In dieser Situation durfte und darf man das „Alles wird gut“ als Glaubenszeugnis gegen den Augenschein verstehen, als Hoffnungswort, dass Gottes Segen weiterhin gelten möge, dass Gott eben nicht sein Antlitz von uns Menschen abwendet, seine Augen nicht verdunkelt und sein Gesicht nicht vor uns verbirgt.
Segen und Segenswunsch verlieren ihre Wahrheit nicht, wenn sie der Verzweifelte ausspricht. Vielleicht wird der Segen sogar noch bedeutender, wenn ich vom Fluch weiß, den Segen also nicht für eine Selbstverständlichkeit halte und einfach so mit ihm rechne. (So – als banale Selbstverständlichkeit – kann man das andrá tutto bene auch hören, aber dann wäre es – glaube ich – falsch.)
Es wäre zwar sicherlich gotteslästerlich, Gott als gleichmäßig Segen und Fluch austeilenden gleichsam neutralen Schöpfer zu zeichnen (so wie es gotteslästerlich ist, die Seuche für Gottes Fluch zu halten; oder noch gotteslästerlicher, einen angeblich fluchend-zornigen Gott im Alten Testament dem liebevoll-segnenden Gott im Neuen Testament gegenüberzustellen: „Christus aber hat uns losgekauft von dem Fluch des Gesetzes, da er zum Fluch wurde für uns – denn es steht geschrieben: »Verflucht ist jeder, der am Holz hängt« –, 14 auf dass der Segen Abrahams zu den Heiden komme durch Christus Jesus und wir den verheißenen Geist empfingen durch den Glauben.“ Galater 3,13f.) Gottes Handeln ist Segen.
Aber dass sich Segen vor dem Hintergrund des Fluchs konturiert, stimmt nicht nur sprachlich. Wo Licht ist, ist auch Schatten, bzw. erst die umgebende Dunkelheit zeigt das Licht. (Je heller es ist, desto stärker muss das Licht sein, um es zu sehen; deshalb sehen wir tagsüber die Sterne nicht und nachts nur, wenn wir es nicht zu hell machen.) Zumindest biblisch stimmt das auch, denn Gottes Segen spendende Schöpfungstätigkeit, die die große biblische Erzählung eröffnet, erleuchtet im ersten Akt der Schöpfung das finstere Chaos mit dem Urlicht: „Und die Erde war wüst und leer (Tohuwabohu), und Finsternis lag auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser. Und Gott sprach [als erstes schöpfungswirksames Segenswort]: Es werde Licht! Und es ward Licht.“ (1. Mose 1) (Unbedingt nachhören bei Haydn: Die Schöpfung!)
Viele Religionen haben die Möglichkeit, diese zwei Aspekte und viele weitere Aspekte Gottes auf unterschiedliche Gottheiten zu verteilen, in für Außenstehende komplizierte und phantasievolle Götterwelten ausgeweitet , und damit gemacht, was im christlichen Glauben, der aus dem jüdischen hervorging, nicht geht. Wir glauben an einen – und nur einen! – Gott. Aber das Christentum ist weitergegangen als die anderen Ausprägungen ihrer Religionsfamilie (also dem Judentum, dem Christentum, dem Islam; die bisweilen die abrahamitischen Religionen genannt werden; s.o. das Zitat aus dem Galaterbrief.) um die Vielfalt göttlichen Wirkens und die Beziehung Gottes in sich selbst zu bedenken und auszudrücken.
Gott als Vater, Sohn und Heiliger Geist, also dreieinig zu verehren und als seine Trinität zu bedenken, ist ein kühner, geradezu verwegener Versuch, Gottes Wirken als Segen zu verstehen und dabei die innergöttlichen Beziehungen – auch Spannungen – mitzudenken. Das kann eigentlich nur schiefgehen: Wie sollten wir Menschen in Gott hineinschauen – wo wir ihn doch schon von außen nicht ansehen können („Niemand hat Gott je gesehen.“ 1. Johannes 4,12). Das kann überhaupt nur gelingen, wenn Verehrung, Anbetung, Lobpreis den Bemühungen Gott „nach-zudenken“ vorausgehen. Gott ist immer größer als meine Gedanken über ihn! („Gott ist nicht nur ein grosses, weites Wesen, das die Welt füllt und über sie hinausragt, gleich als ob ein Strohsack voll Stroh steckt. Aber Gott ist nicht ein solches ausgerecktes, langes, breites, dickes, hohes oder tiefes Wesen, sondern ein übernatürliches, unerforschliches Wesen. Er ist zugleich ganz und gar in jedem kleinen Korn und dennoch in allen und über allen und ausser allen Kreaturen. … Nichts ist so klein, Gott ist noch kleiner. Nichts ist so gross, Gott ist noch grösser, nichts ist so kurz, Gott ist noch kürzer, nichts ist so lang, Gott ist noch länger. Nichts ist so breit, Gott ist noch breiter, nichts ist so schmal, Gott ist noch schmaler. Es ist ein unaussprechliches Wesen, über und ausser allem, das man nennen oder denken kann.“ Martin Luther, Vom Abendmahl Christi. Bekenntnis 1528; oder in meinem Lieblingskindergartenlied: „Gottes Liebe ist so wunderbar:/ So hoch, was kann höher sein?/ So tief, was kann tiefer sein?/
So weit, was kann weiter sein? So wunderbar groß!“)
Gott ist immer größer als meine Gedanken über ihn. Und gleichzeitig kommt mir Gott näher als ich mir selbst nahe kommen kann. (Augustinus: deus interior intimo meo) Das beides möchte die Trinitätsvorstellung zusammendenken. Gott bleibt nicht bei sich, irgendwo über den Wolken in seiner ganzen einsamen herrlichen Herrlichkeit; sondern er kommt mir näher als ich mir selbst nahe zu kommen vermag. Deshalb hat der christliche Glauben und das christliche Denken, Jesus Christus und den Heiligen Geist als göttlich, als zu Gott gehörig geglaubt und gedacht – ohne die Einzigkeit und die Einheit Gottes aufzugeben. Im christlichen Glauben hat Gott eine Geschichte, an deren Ende Jesus Christus die Herrschaft an Gott den Vater übergibt (1. Korinther 15,24: „das Ende, wenn er das Reich Gott, dem Vater, übergeben wird, nachdem er vernichtet hat alle Herrschaft und alle Macht und Gewalt.“) damit Gott eins und einer und alles in allem sei ( „Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge.“ Römer 11, 36).
Am Ende ist alles gut (und wenn es noch nicht gut ist, dann ist es noch nicht das Ende!). Am Ende ist alles gut – Andrá tutto bene: das bezeichnet die christliche Hoffnung, das am Ende Gott alles in allem sei, dass alles Böse, alles Schreckliche, alles Übel, alle Krankheit, auch diese blöde und gemeine Seuche überwunden ist; dass Gott durch sein Licht alle Finsternis überwunden hat; dass sein Segen über allem liegt (uns so sein Schöpfungsversprechen einlöst: „Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe , es war sehr gut.“ 1. Mose 1, 31).
Daran erinnert uns sein Segenswort, das am Ende alles gut sein wird, das wir teilhaben an der „unmittelbaren Gegenwart des ganzen ungeteilten Daseins“ (Friedrich Schleiermacher nach der Formulierung seines norwegischen Freundes Henrik Steffens). Und manchmal können wir es schon jetzt sogar erkennen, erahnen, im Lächeln unser Liebsten, im Lachen unserer Kinder, im Gesang der Vögel am frühen Morgen, wenn die Sonne aufgeht über einer Landschaft wie dem Rheingau. Auch bei uns ist es beinahe italienisch schön: Andrá tutto bene:
Der Herr segne dich und behüte dich;
der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig;
der Herr hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.
Klaus Neumann, Pfarrer