Höret des HERRN Wort, ihr Herren von Sodom! Nimm zu Ohren die Weisung unsres Gottes, du Volk von Gomorra! Was soll mir die Menge eurer Opfer? spricht der HERR. Ich bin satt der Brandopfer von Widdern und des Fettes von Mastkälbern und habe kein Gefallen am Blut der Stiere, der Lämmer und Böcke. Wenn ihr kommt, zu erscheinen vor mir – wer fordert denn von euch, daß ihr meinen Vorhof zertretet? Bringt nicht mehr dar so vergebliche Speisopfer! Das Räucherwerk ist mir ein Greuel! Neumonde und Sabbate, wenn ihr zusammenkommt, Frevel und Festversammlung mag ich nicht! Meine Seele ist feind euren Neumonden und Jahresfesten; sie sind mir eine Last, ich bin’s müde, sie zu tragen. Und wenn ihr auch eure Hände ausbreitet, verberge ich doch meine Augen vor euch; und wenn ihr auch viel betet, höre ich euch doch nicht; denn eure Hände sind voll Blut. Wascht euch, reinigt euch, tut eure bösen Taten aus meinen Augen, laßt ab vom Bösen! Lernet Gutes tun, trachtet nach Recht, helft den Unterdrückten, schaffet den Waisen Recht, führet der Witwen Sache! (Buch des Propheten Jesaja 1,10-17)
Was für ein Text! Wie ein Herbststurm bläst und pustet er uns an, wie ein Faustschlag in unsere fromm tuenden Gesichter. Da bleibt einem erstmal die Luft und die Spucke weg. Rücksichtsvoll geht anders. Ein bisschen verblümter wäre schon schön. Aber nein: Der Prophet und sein Herr – unser Herr – reden Klartext, unüberhörbar. (Im englischen Fußball spricht man vom Hairdryer-Treatment, mit dem etwa der legendäre Sir Alex Ferguson seine Leute von Manchester United regelmäßig in der Kabine zusammenstauchte, wenn sie sich nicht richtig ins Zeug gelegt hatten. Wäre vielleicht auch etwas für den allzu lieben und selbstverliebten Jogi, um unsere Jungs wieder ans Laufen zu kriegen, aber lassen wir das.)
Gott selbst stellt Feiertag und Gottesdienst lautstark in Frage, bezweifelt ihre Systemrelevanz, fordert den Lockdown. Also nicht erst fürsorgliche Regierungen unserer Zeit, die den Buß- und Bettag für die Pflegeversicherung opfern und Gottesdienste wie im Frühjahr unter Quarantäne stellen, – nicht nur die schließen die Gotteshäuser, sondern Gott selbst sagt: Ich hab es satt! Und er scheint es ernst zu meinen.
Meint er es ernst? Davon sollten wir ausgehen – und nicht zu schnell auf die Gnade des gnädigen Gottes spekulieren, der alles – und noch die größte Missetat – einfach so zudeckt. Das hat Dietrich Bonhoeffer gemeint, wenn er vor der billigen Gnade gewarnt hat.
Rhetorisch brillant zählt Jesaja alles auf, was die Herren von Sodom und Gomorra – also wir – gerne lassen können, das ganze fromme Getue, die gefalteten Hände, den demütigen Blick: Was soll das, wenn wir es ja doch nicht ernst meinen? Und wenn ihr auch eure Hände ausbreitet, verberge ich doch meine Augen vor euch; und wenn ihr auch viel betet, höre ich euch doch nicht; denn eure Hände sind voll Blut.
Bei diesem Wutausbruch belässt es Gott aber nicht. Sondern nutzt die Gelegenheit, um es uns mal wieder mitzuteilen, worum es ihm geht mit uns, nämlich: den Nächsten zu lieben wie sich selbst. Wer ist mein Nächster: der Schwache, der meiner Hilfe bedarf. Im Grunde ist die ganze Bibel ein großes Plädoyer gegen das Recht der Stärke; gegen das Recht des Stärkeren, für die Rücksicht auf die Schwachen: Lernet Gutes tun, trachtet nach Recht, helft den Unterdrückten, schaffet den Waisen Recht, führet der Witwen Sache! Das Tun des Guten zeigt sich biblisch an der Hilfe für die Schwachen.
Und damit sind wir bei dem Thema, bei dem wir gegenwärtig sowieso immer sind. Auch in der Coronakrise muss unser Handeln – und soweit wir da mitreden dürfen, das Handeln in Staat und Gesellschaft – die Schwachen und Anfälligen im Blick behalten. Wir kommen nur so gut durch die Krise wie es unsere Schwächsten tun: die Alten, die Vorbelasteten, auch die Kinder, auch die Armen.
Misstrauen ist angebracht, wenn also zugunsten der „Wirtschaft“ – wer oder was das auch immer sei – die Alten in ihre Häuser und Heime weggesperrt und die Kinder in die Schule zusammengesperrt werden sollen. Abgesehen davon, dass sich kein Jüngerer sicher sein kann, von der Seuche nicht behelligt zu werden, dürfen die Alten nicht unserer Freiheit und unserem Lebensstil geopfert werden.
Ohne den Schutz der Schwächeren, für den wir uns einsetzen sollen, haben unsere Feiern des Glaubens und unsere Feste der Erbauung, unsere Gottesdienste keinen Sinn. Der, an den sie sich richten, hat sie satt: Frevel und Festversammlung mag ich nicht. Spricht Gott der Herr. Amen.