Geht hinein durch die enge Pforte. Denn die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der zur Verdammnis führt, und viele sind’s, die auf ihm hineingehen. Wie eng ist die Pforte und wie schmal der Weg, der zum Leben führt, und wenige sind’s, die ihn finden!
Seht euch vor, vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig sind sie aber reißende Wölfe. (Matthäusevangelium 7,13-15)
„Zwei Wege boten sich mir dar, / Ich nahm den, der weniger begangen war, / und das veränderte mein Leben“ –
So wie hier ein berühmtes amerikanisches Gedicht endet – „Two roads diverged in a wood, and I -/ I took the one less traveled by,/and that has made all the difference“;
so wie dieses Gedicht endet, beginnt manchmal das Herumirren in einem finstern Wald auf schlecht markierten Trampelpfaden. Es muss nicht immer die richtige, die weise Entscheidung sein, in unbekanntem Terrain den breiten, ausgetretenen Weg zu verlassen und sich stattdessen auf engem Pfad durch die Büsche zu schlagen.
In meiner Familie bin ich längst als falscher Prophet der Wanderkarte bekannt und meine berühmten „Abkürzungen“ – „Wieviel länger wird diese ‚Abkürzung‘ werden, Papa?“ – sind, nun ja, berüchtigt; der gewohnheitsmäßigen Versicherung „nennenswerte Steigungen sind nicht zu erwarten“ wird wenig bis kein Vertrauen geschenkt; aber die Erleichterung am Ziel über ein Leben diesseits des Waldes überstrahlt noch jedes Mal die Erschöpfung nach einer Wanderung.
Bei dieser Gelegenheit könnt ihr euch, liebe Konfirmanden, – bei allem, was euch entgangen ist in diesem ungewöhnlichen Konfirmandenjahr und was wir beklagen – wenigstens dessen glücklich schätzen, dass euch das Schicksal einer meiner früheren Konfigruppen erspart blieb, mit der ich – damals noch im schönen Odenwald – bei Schnee und Finsternis – einer falschen Eingebung und also einem Weg folgend, der gar nicht begangen war, außer von uns – verloren gegangen bin – verirrt und frierend wie die Wölfe ohne Schafspelz – uns alle beinahe – beinahe – in die Verdammnis geführt habe und wo wir uns mit letzter Kraft in ein Wirtshaus – noch nicht ganz im Spessart aber halt im falschen Ort – retten konnten, aus dem uns dann nach einer heißen Schokolode für die Konfis und etwas Geistlichem für den Geistlichen eine barmherzige eingeborene und gänzlich unbekannte Konfirmandenmutter per SUV-Staffel ins Landschulheim zurückgefahren hat – Taxis gab´s dort nämlich nicht im winterlich nächtlich finstern Odenwald, dem Wald Odins des Wanderers.
„Auf halbem Weg des Menschenlebens fand/ Ich mich in einen finstern Wald verschlagen/ Weil ich vom graden Weg mich abgewandt“ – so ist es schon größeren als unsereinem gegangen, und deshalb beginnt der diesjährige Jubilar Dante seine Göttliche Komödie mit eben diesen Worten (mein altitalienisch ist noch ein bisschen schlechter als mein modernes italienisch, wenn das überhaupt möglich ist, denn auch das ist erbärmlich): „Nel mezzo del cammin di nostra vita/ mi ritrovai per una selva oscura/ ché la diritta via era smarrita“. Das jetzt nur so nebenbei, weil letztens jemand in der Gemeinde darüber geklagt hat, Dante würde nicht mehr gelesen. Stimmt also nicht, wir lesen Dante, sogar im altitalienischen Original, und seien es drei Zeilen.
Man kann davon ausgehen, dass sowohl der amerikanische wie der italienische Dichter auch Bibelstellen wie unseren Predigttext im Ohr hatten, wenn sie vom Leben als Lebensweg sprachen. Und so wie es bei Dante die ersten drei berühmten Zeilen sind, so sind es bei Robert Frost die letzten drei Zeilen, die viele kennen, diese oft zuerst (wie ich) aus dem großartigen Film „Der Club der Toten Dichter“ mit dem noch großartigeren Komödianten Robin Williams – Gott hab ihn selig! -, der seinen Schülern im Film zeigt, wie überaus lebendig die vermeintlich toten Dichter sind, und der uns Unterrichtenden zeigt, wie lebendig Unterricht sein kann. So müssten wir das auch hinkriegen – natürlich ohne die hollywoodmäßigen Übertreibungen und ohne das tragische Ende. So wünschte ich mir selbst unseren Unterricht über das überaus lebendige Wort Gottes – nichts ist lebendiger als die Worte der Bibel, wenn wir sie unserer Einbildungskraft anverwandeln – dass Gottes Wort also leben möge in euch und euch begleiten möge, auf eurem Lebensweg, auf dem die Konfirmation eine nicht unbedeutende Wegmarke darstellt: aus der Kindheit heraus in das Heranwachsen hinein.
Ich habe mich lange gefragt, ob das Jesuswort von den beiden Wegen und den beiden Pforten, vom breiten und vom schmalen Weg und von der weiten und von der engen Pforte eine so gute Wahl für die Konfirmation ist – mal abgesehen davon, dass es ausdrücklich für die Konfirmation vorgesehen und seit Generationen den Konfirmanden gepredigt wird. Es kann ja doch als Drohung gehört werden und das wäre so ziemlich das letzte, was wir wollen, euch drohen. Auch eine allzu dringliche Warnung könnte kontraproduktiv wirken, denn Angst vor dem Leben sollen wir – trotz allem, trotz Seuche, Tod und Teufel, die euch und uns allesamt fernbleiben mögen – Angst sollen wir nach Gottes Willen gerade nicht haben: Fürchte dich nicht – sagt Gott – ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.
Aber ich glaube, Jesus möchte uns mit seinen Worten vom Weg und der Pforte aufmerksam machen, dass das Leben und unsere Entscheidungen bei aller jugendlichen Leichtigkeit, auf die gerade ihr, liebe Konfirmanden, jedes Recht habt, und die wir gemeinsam schmerzhaft entbehren – unendlich wichtig sind. Leben und Lebensentscheidungen verdienen unsere ganze Aufmerksamkeit, alle Wachheit, derer wir fähig sind, auch allen Eifers und aller Liebe für das, was uns wichtig ist; für das, was wichtig ist: „Carpe diem“, noch so ein Satz aus dem genannten Film, bringt es überaus missverständlich, geradezu riskant aber dennoch treffend auf den Punkt. „Nutze, Pflücke den Tag“, soll wenigstens in seiner christlichen Aneignung nicht den maximalen Lustgewinn fordern, wie ursprünglich vom lebendig toten Dichter Horaz gemeint und wie es die Spaßgesellschaft durch ihre falschen Propheten der in Wirklichkeit unerträglichen Leichtigkeit des Seins bis heute predigt; sondern „Carpe diem“, „Pflücke den Tag“ soll uns der Einzigartigkeit jedes einzelnen Tags unseres Lebens, jedes einzelnen Meters – was sage ich: Zentimeters – unseres Lebensweges erinnern. Wir haben nur dieses eine Leben hier – auch die Auferstehung wird uns nicht in dieses Leben zurück- sondern aus diesem Leben zu Gott bringen! – und es ist nicht egal, was wir aus diesem irdischen Leben machen, das uns Gott gegeben hat. Jede Entscheidung, jede Wendung kann einen Unterschied machen, macht einen Unterschied – makes all the difference; verändert unser Leben, wie der Dichter uns mitteilt.
Das kann jetzt schon ein bisschen einschüchtern, soll es aber nicht. Es gehört zur religiösen Mündigkeit, die Konfirmierten zugesprochen wird, dass wir uns dieser facts of life bewusst werden. Die Sache wird übrigens dadurch noch ein bisschen komplizierter, dass wir – anders als unser Predigttext aber auch das Dichterwort zu sagen scheinen – „Zwei Wege boten sich mir dar,/ Ich nahm den, der weniger begangen war,/ und das veränderte mein Leben“ ; dass wir in den Entscheidungssituationen unseres Lebens – also täglich – nicht ohne weiteres wissen, was der breite und was der enge Weg ist, welcher der ausgelatschte, vor dem gewarnt wird, und welcher der empfohlene, der weniger begangen ist. Nicht jeder Weg trägt einen Wegweiser! Und es stellt die ziemlich überraschende Pointe des Gedichts von Robert Frost dar, dass für ihn erst der Rückblick auf den Lebensweg darüber entscheidet, was überhaupt der Weg ist, der weniger begangen war, der sich gelohnt hat, der der richtige war und der den Unterschied gemacht hat. An der Entscheidungssituation selbst, an der Weggabelung können beide ziemlich gleich aussehen. Klingt kompliziert? Ist kompliziert! So wie das Leben.
Was kann uns da helfen, was kann uns leiten? Gott selbst natürlich, ohne den wir unseren Lebensweg nicht gehen müssen: „Der Wolken Wind und Regen gibt Wege Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann“ Wenn wir ganz genau auf diesen Liedvers hören, sagt er nicht nur, dass es einen Weg für mich – und gerade für mich – geben wird – was schon mal gut ist – sondern dass es eine Vielzahl von Wegen gibt, die sich je und je ergeben und je und je verändern. Der Vielzahl solcher Wege assoziiert der Dichter, Paul Gerhard übrigens, die Veränderlichkeit von Wetterphänomenen. Wenn es Gott hinbekommt – so die dichterische Logik – im chaotischen System Wetter den Überblick zu bewahren, wird er auch uns nicht im Regen stehen lassen, also: auf unseren verschlungenen Pfaden durchs Leben nicht aus den Augen verlieren. Nicht wir allein suchen uns unsere Wege, sondern Gott wird sie uns finden: Gott gewährt uns freies Geleit durchs Leben.
Und so sei diese Predigt voller toter Dichter mit einem Vers aus der lebendigsten aller Gedicht- und Liedersammlungen beendet, dem Buch der Psalmen:
Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn, er wird’s wohl machen. Amen.