Sonntag Invokavit, 18. Februar 2024

Da wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, damit er von dem Teufel versucht würde. Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn. Und der Versucher trat herzu und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden. Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben (5. Mose 8,3): »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.« Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben (Psalm 91,11-12): »Er wird seinen Engeln für dich Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.« Da sprach Jesus zu ihm: Wiederum steht auch geschrieben (5. Mose 6,16): »Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.« Wiederum führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest. Da sprach Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan! Denn es steht geschrieben (5. Mose 6,13): »Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.« Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel herzu und dienten ihm. (Matthäus 4,1-11)

Einiges spricht dafür, dass die Versuchungen in der Stadt verlockender und die Dämonen dort aktiver, auch attraktiver sind als auf dem Land.

Dennoch führt der Geist Jesus nicht in die Spelunken der levantinischen Hafenstädte – weit waren die nicht und werden noch heute besungen in den unsterblichen Versen des Viktor von Scheffel: „Im schwarzen Walfisch zu Askalon“; dorthin führt der Geist Jesus also nicht, genauso wenig ins teuflische Babylon selbst. Sondern: In der Wüste soll der Gottessohn seinen Gegengott treffen, ganz so wie man an besseren Tagen auch Gott selbst in der Wüste trifft – und Mose, mit dessen Worten Jesus heute dem Teufel widersteht, ja auch Gott dort gelegentlich getroffen hat. Gerade der Mangel an Ablenkung in der Wüste scheint die Konzentration auf die Begegnung mit höheren Wesen aller Art, heute also dem Teufel, zu befördern.

Kein Entschluss oder eigener Wille führt Jesus in die Wüste – hier ganz am Anfang seines Wirkens, die Haare sind noch feucht von der Taufe – sondern der Geist; genauer heißt es dort: „unter dem Geist“ wird Jesus geführt. Eine höhere Macht hat sich seiner bemächtigt und so richtig scheint Jesus nicht zu wissen, wie ihm geschieht; vorbereitet hat er sich jedenfalls nicht, kein Proviant führt er mit, vierzig lange Tage und vierzig noch längere Nächte zieht er durch die Wüste, geführt zwar – aber nicht wissend wohin.

In einer anderen Kultur als der jüdisch-christlich-biblischen finden Schamanen zu Beginn ihres Wirkens den Weg zu Geistern und Dämonen eben so wie Jesus hier durch Einsamkeit, Nacht und Hunger – weit weg von Familie und Freunden, weit weg von anderen Menschen, ohne Ansprache, tagelang, nächtelang isoliert, ohne Schlafplatz, ohne Essen. Die Sicherheit des Alltags, ihre alltägliche Wirklichkeit würde sie blind und taub machen für die jenseitige Realität, die sie suchen. So aber – losgelöst von allem – begegnen sie dem Absoluten, dem Heiligen, dem Mysterium tremendum et fascinosum – als dem Heiligen in seiner Ambivalenz aus Schrecken und Glanz.

Etwa die Jakobsepisoden der Bibel lassen sich nach dieser schamanistischen Interpretation lesen: der nächtliche Traum des jugendlichen Ausreißers ohne Abendbrot ganz allein auf freiem Feld, der Traum von der Himmelsleiter mit den göttlichen Wesen, den Engeln, auf ihr, Gottes Verheißung; oder auch der nächtliche Kampf am Bach Jabbok mit dem Dämon, der ihn verletzt und in dem Jakob am Ende Gott selbst erkennen muss, mit dem man kämpfen, den man aber nicht besiegen kann, dessen Verletzungen noch zum Segen werden.

Jesus begegnet in seiner „schamanistischen“ Episode dem dämonischen Schrecken in seinem ganzen unheiligen Glanz. Vom Geist in die Wüste geführt, 40 Tage und Nächte ohne Essen und Obdach ist er bereit für den Teufel, ihn zu erkennen und ihm zu wehren. Dieser erweist sich als arroganter Angeber, der das Blaue vom Himmel verspricht; als grober Vereinfacher – als Populist, würden wir heute sagen – mit den einfachen Lösungen für die schwierigen Probleme; als Bote der reinen Macht, die um ihrer selbst Willen verehrt werden will.

Das scheinen Menschheitsversuchungen zu sein, denen Jesus ausgesetzt ist, also Versuchungen die uns Menschen, vielleicht alle Menschen, betreffen, nur weil wir Menschen sind. Von solchen Versuchungen mag es mehr als diese drei geben, aber die hier, die der Teufel an Jesus ausprobiert, gehören bestimmt dazu, nämlich: Dass wir uns auf unsere biologischen Lebensfunktionen reduzieren, den Körper optimieren aber den Geist verkümmern lassen; dass wir Dinge ausprobieren und machen, nur weil sie machbar sind, ohne die Bereitschaft, dafür Verantwortung zu übernehmen; dass wir einen Menschen, oder den Menschen verherrlichen, um uns durch ihn zu ermächtigen, und dabei Gottes Herrlichkeit beschädigen.

Die mythologische Sprache der Bibel findet den Teufel als Bild für die Ursache solcher Versuchung. Aber es ist ja klar, dass der Teufel das Symbol gleichzeitig für Gegengott und Gegenmensch ist, also Gegenteil und Antithese zu uns Menschen und zu unserem Gott zugleich ist. Der Teufel predigt den Übermenschen, will uns aus unserer menschlichen Natur befreien und uns unsere Religion nehmen. Das macht ihn so modern. Der modische Transhumanismus hält sich für aktuell, wenn er die uralten faulen Versprechen des Satans wiederholt: Ihr werdet ewig leben, ihr werdet alles wissen, alles ist euch möglich: Ihr werdet sein wie Gott. Was hilft dagegen? Hilft was dagegen?

Die Zeiten sind nicht mehr so, dass es reichen würde, wie Jesus den richtigen Bibelvers vorzuhalten – mal abgesehen davon, dass er uns vermutlich im entscheidenden Moment nicht einfiele. Knoblauch, Rosenkranz und Kruzifix dürften den Teufel und seine Bande ebenfalls kaum noch beeindrucken. Und das ja nicht zuletzt deshalb, weil der entscheidende Angriff gegen unsere Menschlichkeit nicht von außen, sondern von innen, von uns selbst kommt, wenn wir uns über die Jahre eingeredet haben und es zu glauben gelernt haben, dass wir als Menschen doch eigentlich an die Stelle Gottes treten könnten, weil wir selbst so stark, und so weise und so mächtig sind. Wir – viel zu viele von uns – sind allzu bereit und ganz einverstanden, den Verheißungen von ewigem Leben und bis ins Universum reichender Macht zu glauben, wenn sie von den Herrschern dieser Welt – das war mal ein Name für den Teufel! -, den Masters of the Universe, von den strong men autoritärer Staaten oder von den High-Tech-Milliardären geäußert werden. Hilft was? Was hilft?

Es mag sich nicht für jeden anbieten, den Weg des Schamanen in die Wüste ohne Nahrung und Obdach zu gehen, um sich seinen Dämonen zu stellen und darüber Gott zu finden – auch wenn das Angebot der Kirche steht, in den nächsten sieben Wochen ohne etwas, was uns sonst so wichtig erscheint, bis Ostern auszuhalten, und damit den symbolischen Weg in die Wüste in die eigene Wirklichkeit zu ziehen.

Im besten Fall finden wir etwas heraus – über uns selbst, über Gott und die Welt – was uns weiterhilft; etwas, dass wir dem Teufel, in welcher Gestalt er uns auch trifft, entgegenhalten könnten, damit wir ihm nicht mit leeren Händen begegnen.