14. Sonntag nach Trinitatis, 1. September 2024, Begrüßung der Konfirmanden

Denn welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder. Denn ihr habt nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet; sondern ihr habt einen Geist der Kindschaft empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater! Der Geist selbst gibt Zeugnis unserm Geist, dass wir Gottes Kinder sind. Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, da wir ja mit ihm leiden, damit wir auch mit ihm zur Herrlichkeit erhoben werden. (Römer 8, 14-17)

„Nimm hin den Heiligen Geist, Schutz und Schirm vor allem Argen, Stärke und Hilfe zu allem Guten, aus der gnädigen Hand Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“

So, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, werden wir euch bei eurer Konfirmation Gottes Segen zusprechen und seinen Geist erbitten, am 1. Juni des 2025, am Sonntag Exaudi, dem Konfirmationssonntag unserer Thomasgemeinde, ungefähr zur selben Uhrzeit wie jetzt gerade, also ziemlich genau neun Monate von jetzt ab; ist das jetzt kurz oder lang?

Kommt darauf an! Kommt darauf an, was für diese Zeit vorgesehen ist. Ungefähr so lange habt ihr und haben wir alle im Mutterleib verbracht, um zu werden, was wir sind; und so lange bleibt uns also gemeinsam, um das zu fühlen, zu denken und zu sagen, was der Psalmbeter auf seine Weise sagt und singt: „Ich danke dir – Gott – dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele. Denn du hast meine Nieren bereitet und hast mich gebildet im Mutterleibe. Es war dir mein Gebein nicht verborgen, da ich im Verborgenen gemacht wurde, da ich gebildet wurde unten in der Erde. Deine Augen sahen mich, da ich noch nicht bereitet war, und alle Tage waren in dein Buch geschrieben, die noch werden sollten und von denen keiner da war.“ (Psalm 139, 14.13.15-16)

Das ist doch wohl aus diesem Geist gesprochen, der uns zu Gottes Kindern macht, uns also glauben lässt, dass wir nicht mehr oder weniger zufällige Produkte eines evolutionären Prozesses sind, nicht unterworfen unter die „Knechtschaft“ der Natur sind, sondern dass im Wunsch unserer Eltern, uns auf die Welt zu bringen, sich – bewusst oder unbewusst – der freie Wille Gottes spiegelt, uns unser Leben zu geben, oder eben in den Worten eines herrlich kitschigen Taufliedes: „Du bist gewollt, kein Kind des Zufalls, keine Laune der Natur, ganz egal, ob du dein Lebenslied in Moll singst oder Dur. Du bist ein Gedanke Gottes, ein genialer noch dazu. Du bist Du.“ (Jürgen Werth 1976, EG+ 60)

Damit wäre eigentlich schon alles gesagt – allein, Ihr habt es schon vermutet – alles gesagt ist erst dann, wenn dem Pfarrer nichts mehr einfällt. Denn auch wenn ich mit der Botschaft – jetzt mal diese Botschaft in den Worten Martin Luthers: „Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen, mit Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält … mit allem, was not tut für Leib und Leben, mich reichlich und täglich versorgt, in allen Gefahren beschirmt und vor allem Übel bewahrt; und das alles aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit, ohn´ all mein Verdienst und Würdigkeit …“; wenn ich auch mit dieser Botschaft ganz und gar einverstanden bin – über Form und Formulierung lässt sich und werden wir reden – stört mich die in unserem Predigttext des Apostel Paulus beinahe selbstverständliche Gegenüberstellung des Geistes der Knechtschaft, den wir hinter uns lassen, mit dem Geist der Kindschaft, den wir empfangen: Denn ihr habt nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet; sondern ihr habt einen Geist der Kindschaft empfangen.

Warum steht hier nicht, warum stellt Paulus nicht den Geist der Freiheit gegen den der Knechtschaft? Warum scheint uns Gott aus der Knechtschaft der natürlichen Zwänge in die elterlichen Zwänge der Kindschaft zu „befreien“ – und nicht gleich und nicht richtig in die erwachsene Freiheit freier Menschen? Gerade für Jugendliche geht es doch um neu zu gewinnende Freiheit aus der Kindlichkeit heraus. Konfirmation ist doch eigentlich als ein erster Schritt in die Freiheit der Erwachsenen gemeint, oder etwa nicht? Wie attraktiv wäre die Botschaft zur Konfirmation, jetzt für immer Kind zu sein und zu bleiben?

Diese Fragen sind umso berechtigter, da Paulus an anderer Stelle – genauer: immer wieder und an zahlreichen Stellen seiner Korrespondenz – die Freiheit von uns Christenmenschen beschreibt und geradezu der Apostel der Freiheit genannt zu werden verdient: „Wo der Geist Gottes weht, da ist Freiheit“; „Zur Freiheit hat uns Christus befreit“ „Alles ist erlaubt“.

Gerade dieses Wort „Alles ist erlaubt“, das man vielleicht nicht in der Bibel vermutet hätte – es ist zu erwarten, dass wir in den kommenden neun Monaten lauter unerwartete Entdeckungen in der Bibel machen werden – gerade das paulinische „Alles ist erlaubt“ klingt zunächst eher nach Willkürfreiheit als verantwortlicher Gottesrede. Zu der wird es aber sogleich, wenn der Apostel ergänzt und entgegensetzt: „Alles ist erlaubt – aber nicht alles ist zuträglich“. Er führt uns sofort die Ambivalenzen und die Dialektik der Freiheit vor, z.B. dass die Freiheit der Stärkeren die Unfreiheit der Schwächeren bedingt, dass umso größere Freiheit in umso größere Unfreiheit führen kann, dass also Freiheit zu begrenzen sei, weil meine Freiheit durch deine Freiheit immer schon begrenzt ist; dass aber umgekehrt Grenzen und Regeln nur insoweit berechtigt sind, als dass sie Freiheit ermöglichen. Solange es niemanden juckt, drehe ich meine Musik auf und fahre, so schnell ich kann – sonst eben nicht.

Um Mensch zu sein, zum Menschsein gehört es dazu, gemeinsam freiheitsermöglichende Regeln des Zusammenlebens zu finden und sie zu befolgen. Falls das stimmen sollte – und ich meine natürlich, dass da was dran ist – wird allerdings der Begriff „Autonomie“, also „Selbstgesetzlichkeit“ oder „Eigengesetzlichkeit“ ganz problematisch. Er taugt viel besser für die Leute, die „Autonomen“ halt, die früher am 1. Mai Innenstädte verwüstet und Polizisten verhauen haben, als zum scheinbaren Inbegriff der Menschenwürde, zu dem es höchste Gerichte jüngst gemacht haben – unter völliger Missachtung, dass mein Wunsch und Wille keineswegs durchweg meinem besten eigenen Interesse entspricht, wie schon – na wer schon – Paulus erkannte: „Das Gute, das ich will, das tue ich nicht; aber das Böse, das ich nicht will, das tue ich“.

Freiheit ist schön – macht aber viel Arbeit. Und Autonomie und Selbstbestimmung führen nur dann Richtung Menschenwürde, wenn wir diese menschliche Fehlbarkeit – die Theologen früher Sünde genannt haben – mit einrechnen und sie gemeinsam – im gemeinsamen Gespräch bearbeiten, auch im Gespräch am Donnerstagnachmittag zur Konfizeit; und auch mit denen, die uns als Väter und Mütter des Glaubens vorangegangen sind, Paulus etwa.

Zu entdecken wäre dabei, dass für Christenmenschen kein Widerspruch darin bestehen muss, die eigene Selbstbestimmung in Gottes Willen begründet zu sehen, meine und aller Menschen Würde: „Ich danke dir – Gott – dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele.“