Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. Vor dir freut man sich, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt. Denn du hast ihr drückendes Joch, die Jochstange auf ihrer Schulter und den Stecken ihres Treibers zerbrochen wie am Tage Midians. Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt.
Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er’s stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des Herrn Zebaoth. (Buch des Propheten Jesaja 9, 1-6)
Jauchzen und Seufzen,
Frohlocken und Klagen
Laut Rufen und ganz zart Reimen:
Alles zwischen O du Fröhliche und Stille Nacht, alles zwischen Fröhlichkeit und Besinnung, das gehört alles gleichermaßen zu unserem Weihnachtsfest dazu: Alle Jahre wieder, alle Jahre wieder neu! Heute klingt lauter Jubel, große Freude über den neugeborenen Messias an, Jauchzet, Frohlocket! – und mitten hinein auch Seufzer und Klage über Welt und Zeit.
Heute bekommt unsere Freude einen Namen, viele Namen: Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst – klingende, singende, vielfach jubelnd besungene Namen des neugeborenen Kindes, des zukünftigen Herrschers, des Messias! Namen voller Versprechen und Hoffnung, voller Zuversicht und Stärke; alles was der Prophet und sein Volk noch vermissen, schmerzlich vermissen müssen, scheint hier in diesen Namen hineingesteckt zu sein. Mit einem, der so heißt, soll endlich alles, alles gut werden. Namen als Programm, als Diagnose aber auch.
Wie kommen wir zu unseren Namen? Und wie geben wir als Eltern eigentlich unseren Kindern Namen? Schön klingen sollte er, eine vorteilhafte Bedeutung sollte er haben, wichtiger noch ist vielleicht eine Person als Beispiel, die diesen Namen erfolgreich trägt oder trug, verbunden mit der Hoffnung, dass der vorbildliche Namensträger seine Kräfte auf den Nachfolger überträgt. Umgekehrt schließen manche Beispiele die Verwendung ihres Namens aus, sei es, dass er uns damals in der Schule geärgert oder sei es, dass er gleich ganze Völker massakriert hätte; Schulhofbullies wie Diktatoren geben keine guten Namensvorbilder ab.
Nicht zu häufig sollte der Name sein, aber auch nicht gar zu selten. Frühere Generationen hatten es scheinbar leichter, wenn der Namenstag des Tagesheiligen oder der Name des Vorfahren die Wahl des Namens bestimmte. Keine Frage, dass unser überaus verdienstvoller und gut katholischer Mitarbeiter Andras am 29. November (am Andreastag!) geboren ist – und bei Knaben mit dem klingenden Namen Friedrich Wilhelm wäre eine Verbindung zum preußischen Königshaus zumindest nicht völlig abwegig. Aber damit ist natürlich auch die Freiheit bei der Namensgebung eingeschränkt.
Unser Prophet lässt seiner Phantasie jedenfalls ungehemmt freien Lauf, was den Namen des Erlösers angeht, ohne dass sich seine Kreationen durchgesetzt hätten. Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst haben insgesamt keine Verwendung durch werdende Eltern gefunden; keine direkte jedenfalls, aber von der Idee her vielleicht schon:
In der heute als Namen überaus populären Sophia – der göttlichen Weisheit – mag man etwas vom Wunder-Rat hören, in der gleichfalls beliebten Mathilda – der mächtigen Kämpferin – den Gott-Held; beim Ewig-Vater weiß ich nicht so recht, der Name Abraham, ist ja selten geworden; aber schon der Friede-Fürst wieder klingt sowohl im hebräischen Salomo wie im deutschen Friedrich unmissverständlich an. Weisheit, Mut, Kreativität und die Fähigkeit zum Frieden sprechen die Namen dem neugeborenen Herrscher zu. Die wird er brauchen.
Denn wie diese Namen des Messias sein Programm umreißen, stellen sie auch indirekt eine Diagnose – jetzt also nicht des Namensträgers wie bei dem bösen Wort über unglückliche Schüler mit dem falschen Namen, vielleicht aber auch bloß mit dem falschen Lehrer – sondern eine Diagnose der Weltzeit, in die er hineingeboren wird: Ein dunkles Zeitalter, Dark Ages, finsteres Land, in dem Dummheit, Grausamkeit und Krieg herrschen: drückendes Joch, dröhnender Stiefel, blutige Kleidung, verzehrendes Feuer.
Der Prophet Jesaja malt mit sprechenden – was sage ich: schreienden! – Bildern und schockierendem Detail den ganzen Schrecken seiner Zeit, jeder Kriegszeit in unsere Vorstellungskraft, Imaginationen der Gewalt, von der wir annahmen – wie konnten wir das annehmen? – dass sie überwunden sei.
Auf die Seufzer des Propheten hören wir – durch seine Jauchzer hindurch; auch auf einen anderen Kriegs-Angst-Seuffzer, den des Dichters Johan Hildebrand, der 1645, 31jährig nichts anderes als Krieg kannte und erlebt hatte, lasst uns heute hören. Er schreibt damals und berührt damit noch uns – mit seiner Not über seine Zeit und mit seiner Hoffnung auf den Gott des Friedens:
„Ach Gott! Wir haben´s nicht gewusst, was Krieg für eine Plage ist. Nun erfahren wir es leider allzu sehr, leider, leider allzu sehr, dass Krieg eine Plage über alle Plagen ist. Denn da gehet Gut weg, da gehet Mut weg, da gehet Blut weg, da gehet alles weg, alles weg. Da muss man sein Brot mit Sorge im Elende essen. Da muss man sein Wasser mit Beben trinken. Da höret man nichts als auf allen, allen Straßen: Weh! Weh! Ach! Ach! Wie sind wir so verderbet.
O du Gott des Friedens, gönne uns doch wieder deinen himmlischen Frieden. Lass Kirchen und Schulen nicht zerstöret, lass den Gottesdienst und gute Ordnung nicht vertilget werden. Hilf uns mit deinem ausgestreckten Arm. Beschere uns ein Ortlein, da wir bleiben, ein Hüttlein, darinne wir uns aufhalten, ein Räumlein, da wir sicher sein und deinem Namen dienen können, dass wir in Friede deinen Tempel besuchen, in Friede dich loben und preisen, in Friede selig, selig, selig sterben mögen.“ (Johann Hildebrand 1614 – 1684: V. Kriegs-Angst-Seufftzer 1645)
Auch beim Propheten Jesaja reimen sich Jubel und Klage auf die Anrufung des Friedens: sie teilen ihre Pointe, setzen denselben Ton: auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er’s stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit.
Zwei Bedingungen des Friedens höre ich da heraus. Eine, die wir uns selben sagen könnten und die andere, die uns gesagt werden muss, von außen, von oben.
Eigentlich selbst sagen können wir uns, dass Recht und Gerechtigkeit zugleich Ursache und Folge des Friedens sind, wie er hier gemeint und gewollt ist. Dass also ungerechte Friedlichkeit zwar sicherlich meistens besser als offene Gewalt ist, aber eben noch kein Frieden, wie er hier gemeint ist. Welche Ungerechtigkeit auszuhalten und welche zu bekämpfen ist, wann genau – mit den Worten Bonhoeffers – „dem Rad in die Speichen zu greifen“ ist, bleibt der persönlichen Entscheidung des Gewissens, dem gesellschaftlichen Diskurs und dem politischen Willen der gewählten Verantwortlichen vorbehalten. Wen immer wir im nächsten Jahr für diese Aufgabe wählen, es wird aber keiner sein, den wir Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst nennen müssten und der uns den ewigen Frieden brächte. Was keine Kritik der gewählten Person, sondern eine unserer Erwartung an ihn ist.
Und zweitens hören wir, dass der wahre, ewige, güldene Frieden ein himmlischer Frieden ist und aus Gott sein wird: Der große Gottesfrieden, der aus dem Himmel kommt und alle Menschen und die ganze Schöpfung umschließt – kleiner sollten wir vom Frieden nicht denken; der uns aber jetzt schon – gerade heute – verkündet wird, also keine vage Hoffnung sondern Gewissheit ist, vom Propheten verkündet und den Engeln – im jubelnden Chor – gesungen:
Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden, den Menschen seines Wohlgefallens.