Predigttext für den 1. Sonntag nach Trinitatis, 6. Juni 2021

Es geschah das Wort des Herrn zu Jona, dem Sohn Amittais: Mache dich auf und geh in die große Stadt Ninive und predige wider sie; denn ihre Bosheit ist vor mich gekommen.

Aber Jona machte sich auf und wollte vor dem Herrn nach Tarsis fliehen und kam hinab nach Jafo. Und als er ein Schiff fand, das nach Tarsis fahren wollte, gab er Fährgeld und trat hinein, um mit ihnen nach Tarsis zu fahren, weit weg vom Herrn. Da ließ der Herr einen großen Wind aufs Meer kommen, und es erhob sich ein großes Ungewitter auf dem Meer, dass man meinte, das Schiff würde zerbrechen. Und die Schiffsleute fürchteten sich und schrien, ein jeder zu seinem Gott, und warfen die Ladung, die im Schiff war, ins Meer, dass es leichter würde. Aber Jona war hinunter in das Schiff gestiegen, lag und schlief. Da trat zu ihm der Schiffsherr und sprach zu ihm: Was schläfst du? Steh auf, rufe deinen Gott an! Vielleicht wird dieser Gott an uns gedenken, dass wir nicht verderben. Und einer sprach zum andern: Kommt, wir wollen losen, dass wir erfahren, um wessentwillen es uns so übel geht. Und als sie losten, traf’s Jona. Da sprachen sie zu ihm: Sage uns, um wessentwillen es uns so übel geht? Was ist dein Gewerbe, und wo kommst du her? Aus welchem Lande bist du, und von welchem Volk bist du? Er sprach zu ihnen: Ich bin ein Hebräer und fürchte den Herrn, den Gott des Himmels, der das Meer und das Trockene gemacht hat. Da fürchteten sich die Leute sehr und sprachen zu ihm: Was hast du da getan? Denn sie wussten, dass er vor dem Herrn floh; denn er hatte es ihnen gesagt. Da sprachen sie zu ihm: Was sollen wir denn mit dir tun, dass das Meer stille werde und von uns ablasse? Denn das Meer ging immer ungestümer. Er sprach zu ihnen: Nehmt mich und werft mich ins Meer, so wird das Meer still werden und von euch ablassen. Denn ich weiß, dass um meinetwillen dies große Ungewitter über euch gekommen ist. Doch die Leute ruderten, dass sie wieder ans Land kämen; aber sie konnten nicht, denn das Meer ging immer ungestümer gegen sie an. Da riefen sie zu dem Herrn und sprachen: Ach, Herr, lass uns nicht verderben um des Lebens dieses Mannes willen und rechne uns nicht unschuldiges Blut zu; denn du, Herr, tust, wie dir’s gefällt. Und sie nahmen Jona und warfen ihn ins Meer. Da wurde das Meer still und ließ ab von seinem Wüten. Und die Leute fürchteten den Herrn sehr und brachten dem Herrn Opfer dar und taten Gelübde. Aber der Herr ließ einen großen Fisch kommen, Jona zu verschlingen. Und Jona war im Leibe des Fisches drei Tage und drei Nächte. Und Jona betete zu dem Herrn, seinem Gott, im Leibe des Fisches und sprach:

Ich rief zu dem Herrn in meiner Angst, und er antwortete mir. Ich schrie aus dem Rachen des Todes, und du hörtest meine Stimme. Du warfst mich in die Tiefe, mitten ins Meer, dass die Fluten mich umgaben. Alle deine Wogen und Wellen gingen über mich, dass ich dachte, ich wäre von deinen Augen verstoßen, ich würde deinen heiligen Tempel nicht mehr sehen. Wasser umgaben mich bis an die Kehle, die Tiefe umringte mich, Schilf bedeckte mein Haupt. Ich sank hinunter zu der Berge Gründen, der Erde Riegel schlossen sich hinter mir ewiglich. Aber du hast mein Leben aus dem Verderben geführt, Herr, mein Gott! Als meine Seele in mir verzagte, gedachte ich an den Herrn, und mein Gebet kam zu dir in deinen heiligen Tempel. Die sich halten an das Nichtige, verlassen ihre Gnade. Ich aber will mit Dank dir Opfer bringen. Meine Gelübde will ich erfüllen. Hilfe ist bei dem Herrn.“

Und der Herr sprach zu dem Fisch, und der spie Jona aus ans Land.

(Buch des Propheten Jona 1-2*)

Und der Herr sprach zu dem Fisch: Mit Walen kann man reden, Gott kann das nach Meinung unseres Autors, und wir könnten es auch, wenn wir ihre Sprache kennten, denn Wale kommunizieren, sie reden miteinander, was sage ich, sie singen miteinander: Das Evangelium der Wale. Und wenn die Not groß ist, und die Wale von Gott freundlich angesprochen, womöglich angesungen werden, dann können sie Menschen retten, wie Jona gerettet wird: Wo Wale singen, tauch´ hernieder, böse Wale kennen keine Lieder.

Mit etwas Phantasie sind Wale sogar geeignet und geneigt, die Welt zu retten – mit ihrem Gesang die Welt zu retten – wie im Weltraumabenteuer „Zurück in die Gegenwart“ des Raumschiff Enterprise mit Captain Kirk und Commander Spock und den anderen Helden unserer Fernsehkindheit, wenn die nämlich alt und dick geworden – das kennen wir – in höchster Gefahr auf die Erde zurückkommen ins Aquarium des Meeresforschungsinstituts in San Francisco und sich dort mal eben kurz einen Wal, einen Buckelwal, ausleihen, um mit seinem Gesang die gute alte Erde zu retten. Save the whales – save the world!

Etwas realistischer, aber nicht weniger wunderbar geht es im Ozeaneum in Stralsund an der Ostsee zu: Ganz unten im Bauch dieses Meeresaquariums ist der Saal der Wale, in dem man nach einem Besuch der Meerestiere und ihrer Lebensräume in den oberen Stockwerken – all den Fischen und Säugern, den Quallen und Seepferdchen, den Seegurken, Seeanemonen, Korallen und Schwämmen – in den man dann tief hinabtaucht zu den Walen, sich dort niederlässt, sich an das Halbdunkel gewöhnt mit den lebensgroßen Modellen an der Decke und den Aufnahmen ihres Gesangs hört, sich berühren lässt von diesen Wunderwesen der Tiefe – im Vergleich zum Wunder solcher wirklicher Wesen ist das märchenhafte Wunder, das Jona erlebt – ganz zu schweigen vom Raumschiff Enterprise – geradezu läppisch. In solchen Hallen sollen schon Kinder ihre Walverwandschaft gefühlt und die Berufung zur Meeresbiologin gehört haben.

Eine solche Berufung würde der des Jona ähneln, weil die so Berufene sich unweigerlich zusammen mit der Biologie der Meere eben auch mit ihrer prekären Ökologie, den gefährdeten Lebensbedingen, den schwindenden Lebensräume auseinanderzusetzen hätte – so wie die Meeresbiologie das ja längst tut, auch indem sie den World Ocean Day begeht, jedes Jahr am 8. Juni, also übermorgen, was für ein Zufall, dass wir gerade heute über Jona und den Wal hören – aber Zufälle gibt es ja nicht, oder?

Am World Ocean Day geht es um Aufmerksamkeit für die zerbrechliche Schönheit der Natur der Ozeane und um – ja! – um die „Bosheit“ der Menschen – nicht nur von Ninive, schon beim alten Jona steht diese Stadt für alle Städte, Ninive ist überall, Niniviten sind wir ja alle. Jona und seinen Zeitgenossen war die Natur insgesamt eher gefährlich als gefährdet, sie galt den Alten noch lange als unermesslich und unerschöpflich, des Ozeans unendliche Weiten, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat und ihre Bewohner, unbekannte Lebensformen, die großen Fische, die Wale – so genau nahm man es zu diesen Zeiten noch nicht, wer nun säugte und wer nun Eier legte – sie galten als Ungeheuer, hießen Behemoth und Leviathan, noch uns Heutigen sind das Namen von mythischen Gefahren und Mächten. Der Wal in unserer Geschichte stellt zunächst auch eine Bedrohung dar – und erweist sich erst im weiteren Verlauf als Retter.

Und dennoch – trotz ihrer unerforschten Unerschöpflichkeit und ihrer Gefährlichkeit – konnte den Alten die Welt selbst als gefährdet und bedroht scheinen, gefährdet und bedroht durchaus von der „Bosheit“ der Menschen, wie etwa die Sintflutgeschichte zeigt. Darin – auch darin! – ähnelt die antike Gefühlslage unseren heutigen Befindlichkeiten. Wir Menschen bedrohen unsere Welt. Der Klimawandel und die Verschmutzung der Ozeane durch Plastik und anderem Müll lassen sich als Folge menschlicher „Bosheit“ verstehen – also als Folge von Gier und Rücksichtslosigkeit und Ungerechtigkeit. Gegen die soll der Prophet seine Stimme erheben: Mache dich auf und geh in die große Stadt Ninive und predige wider sie; denn ihre Bosheit ist vor mich gekommen.

Und Jona reagiert genauso wie die meisten von uns: Er entzieht sich diesem Auftrag durch Flucht in die Verantwortungslosigkeit, will keine Scherereien auf sich nehmen, will nicht derjenige sein, der den Zorn der Bösen über ihre aufgedeckte Bosheit abbekommt. Und er weiß bestimmt auch, dass er selbst nicht frei von Bosheit ist, wir ja auch nicht. Natürlich bin ich gegen die Vermüllung der Ozeane, aber wenn ich eine eigene Tüte auf dem Markt vergessen habe, lasse ich mir eine aus Plastik geben, darauf kommts bestimmt nicht an; falsch! Genau darauf kommt es an. Abgesehen davon, dass meine eigene Gedankenlosigkeit mich persönlich zwar unglaubwürdig macht aber keineswegs das Anliegen verfälscht. Ich setze mich damit ins Unrecht aber nicht die Sache. Auch Jona hat im Epilog unserer Geschichte mit einem Glaubwürdigkeitsproblem zu kämpfen – der Sache mit dem Rizinusstrauch – an der er seinen gekränkten Stolz auslässt.

Darüber – über Jonas und unseren Zorn und Feigheit – geht Gott einfach hinweg, er hat wichtigeres zu tun. Es geht hier um mehr als um unsere Unzulänglichkeiten und um unsere instabilen Emotionen, auf denen rumzureiten sich nicht lohnt. Gott will die Welt retten – und uns in ihr, wie den Jonas und wie die Niniviten; nicht weil die, nicht weil wir uns das verdient hätten – das ja gerade nicht, wie wir sehen – sondern weil er das so will, weil es seine göttliche Art ist, unser Unglück zu wenden – aus lauter Gnade und Barmherzigkeit.

Noch in der tiefsten Tiefe ist es genau des Jonas unerschütterlicher Glaube an Gottes Gnade und Barmherzigkeit, die ihn aus der Tiefe herauf – de profundis – beten lässt: Du warfst mich in die Tiefe, mitten ins Meer, dass die Fluten mich umgaben. Alle deine Wogen und Wellen gingen über mich, dass ich dachte, ich wäre von deinen Augen verstoßen, ich würde deinen heiligen Tempel nicht mehr sehen. Wasser umgaben mich bis an die Kehle, die Tiefe umringte mich, Schilf bedeckte mein Haupt. … Aber du hast mein Leben aus dem Verderben geführt, Herr, mein Gott!

Das Amt des Propheten Jona uns gegenüber ist es, uns aufmerksam zu machen für unsere Verantwortung für die Bewahrung der Schöpfung, für unsere Schuld an Umweltzerstörung, unsere „Bosheit“ wie es im Text heißt; aber eben nicht so, dass es ein unabwendbares Verhängnis wäre, an dem unser Verhalten eh nichts ändern könnte, dass uns also so oder so die Sintflut verschlingen würde; sondern so, dass unser Verhalten alles ändern kann.

In Anlehnung an das wunderbare Buch von Patrik Svensson „Das Evangelium der Aale“ wäre mit Jona „Das Evangelium der Wale“ zu verkünden, dass wir uns wie der Prophet mitnehmen lassen von den Walen in ihre Welt der Ozeane, dass wir unsere Lebensgeschichten miteinander verbinden, dass wir uns einfühlen in ihr Leben – und ihr Sagen und Singen; dass wir ihre Sprache und ihre Lieder und ihre Gebete lernen; dass wir sie mitsingen in der Tiefe und aus der Tiefe herauf. Amen.