Aber die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie beschieden hatte. Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten. Und Jesus trat herzu, redete mit ihnen und sprach: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und lehret alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende. (Matthäusevangelium 28,16-20)
Noch bei den vertrautesten Texten wie diesem hier mit dem Taufbefehl erleben wir Überraschungen. So oft haben wir das als Gemeinde schon gehört und je nach Aufgabe im Gottesdienst gesprochen – bei jeder Taufe nämlich, also sicherlich ein paar 100 Mal pro Pfarrer in all den Dienstjahren; aber meistens ohne den einen Einleitungssatz, über den ich diesmal stolpere: einige aber zweifelten.
Zweifel? Wie kann das sein an dieser Stelle, die doch Gewissheit verlangt und Vertrauen fordert: von dem Täufling, der in der Taufe seinen Glauben bekennt; von denen die als Zeugen und Paten mit und für den Täufling ihren Glauben bekennen und seinen Glauben Versprechen; und natürlich vom Taufenden, der doch wissen muss, was er tut, und viel mehr noch, der dem glauben und vertrauen muss, auf dessen Namen er tauft: nämlich auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Einige aber zweifelten: Es mag Gelegenheiten geben, in denen der Zweifel – also das Wackeln in der Festigkeit des Glaubens erlaubt ist („Wackeln ist erlaubt“ wie unsere Online-Gymnastiktrainerin im Lockdown nicht müde wurde zu verkünden); das mag in Glaubensdingen sogar insgesamt erlaubt und unvermeidlich sein, weil es ja etwas betrifft, was man hofft und was man nicht sieht. Gerade wir in der Thomasgemeinde sind schon namenshalber Experten des Zweifels und berufen uns auf Thomas den Zweifler, der erst sozusagen auf dem zweiten Bildungsweg zum Glauben an der Auferstandenen gefunden hat. Gerade wir Evangelische erkennen mit Martin Luther den existentiellen Zweifel der Anfechtung, in der der Glaube erschüttert aber letztlich – durch die Anfechtung hindurch – gestärkt wird, so gestärkt wird, wie es ein bloß glückliches aber letztlich taubes Erleben nie könnte (so wie erst beim gymnastischen Wackeln die Tiefenmuskeln gestärkt werden: Zweifel stärken die Faszien des Glaubens!). Nur ein in seinen Überzeugungen einbetonierter Fundamentalist kannte keinen, kennt keinen und wird keinen Zweifel kennen.
Aber nun Zweifel ausgerechnet im Zusammenhang der Taufe, der Lehre, der Mission, des abschließenden Vermächtnisses Jesu, als beinahe letztes Wort über die Jünger: einen unpassenderen Ort für den Zweifel scheint es nicht zu geben; wann, wenn nicht hier, brauche ich Gewissheit, Überzeugung und Überzeugungskraft, die über alle Zweifel erhaben sind. Dennoch steht da: einige aber zweifelten. Und dabei ist diese Übersetzung des Theologen der Anfechtung, also Martin Luthers, noch zu milde, beinahe schönfärberisch, denn das griechische Original macht gar keine zahlenmäßige Einschränkung und Milderung. Statt einige aber zweifelten, was dann heißen könnte, nein heißen müsste, dass andere, sogar die Mehrheit der Jünger nicht zweifelte; stattdessen muss es wohl heißen: sie aber zweifelten. Der zweifelnde Thomas also nicht als Ausnahme sondern als Regel; die Jünger begegnen ihrem Jesus und hören ihn bei der letzten Gelegenheit und bei Entgegennahme des letzten Auftrags, dem Tauf- und Missionsbefehl insgesamt als – Zweifelnde, wie kann das sein?
Vielleicht so: Das Symbol des Wassers der Taufe kann uns einen Hinweis geben, zumal die einzige andere Stelle, an der Matthäus genau diese Vokabel „zweifeln“ verwendet, eine Wassergeschichte und zwar der berühmte missglückte Seewandel des Petrus ist; dieser kann zunächst seinem Meister Jesus über das Wasser nachgehen, aber als er daran zweifelt, versinkt er im Wasser. Petrus zweifelt und seine Zweifel lassen ihn im Wasser versinken, in demselben Wasser, das ihn vorher im Glauben getragen hat.
Wenn auch das „Auf dem Wasser Wandeln“ eher eine Spezialdisziplin der Nachfolger Petri, also dann wohl der Kirchenleitung, sein mag und auch dort eher eine Randerscheinung geblieben sein soll, begegnet der Zusammenhang von Glauben, Zweifel und Wasser jedem, der Schwimmen lernen will. Denn was ist eigentlich der entscheidende Schritt vom Nichtschwimmen zum Schwimmen? Erst kürzlich in einem Radiofeature zum ausgefallenen Schwimmunterricht in Zeiten der Pandemie, konnte man hören und erfahren, dass der eigentliche Durchbruch im Schwimmunterricht nicht die Technik ist, die man lernt und auch nicht das Training der richtigen Muskeln, die man aufbaut, obwohl beide, Kraft und Technik, natürlich superwichtig und unerlässlich sind. Sondern das Entscheidende – so die bestimmt namhafte Schwimmforscherin im Radio, deren Namen ich leider vergessen habe – das Entscheidende ist die Überwindung meiner Wasserangst und die Erfahrung, dass das Wasser – das bekanntlich keine Balken hat – mich dennoch trägt.
Das alles Entscheidende beim Schwimmen ist also das Vertrauen in den Auftrieb des Wassers. Deshalb können Säuglinge von Geburt an Schwimmen, nämlich weil sie noch keine Wasserangst ausgebildet haben; für sie ist es ja eine Rückkehr ins vertraute, gerade erst verlassene Element. Ohne Praxis verlernen sie das Schwimmen bloß recht bald wieder, um es irgendwann neu und mühsam lernen zu müssen. Auch in späteren Phasen, etwa bei der Verfeinerung der Schwimmtechnik kommt es immer darauf an, den Auftrieb des Wassers – wie ein Fisch im Wasser – vertrauensvoll erst ganz bewusst, dann selbstverständlich und ohne darüber weiter nachzudenken, zu nutzen; die Schwimmzüge, die Atmung, die Wasserlage nach den Gesetzen von Verdrängung und Auftrieb aquadynamisch zu optimieren. Das Gegenteil dazu ist, wenn ich in Angst und Wasserzweifel gegen das Element ankämpfe, es wild trete und schlage und dann darin unweigerlich versinke.
Wir müssen nicht annehmen, dass Jesus und die Seinen über die Zusammenhänge des Schwimmerwerbs grübelten; aber das hindert uns nicht, solches Wasserwissen für den Glauben zu nutzen und dabei die feine Logik ausgerechnet des Zweifels im Zusammenhang mit der Taufe zu durchschauen. Mit dem Hinweis auf den Zweifel der hörenden Jünger – einige, besser: sie aber zweifelten – wird uns angezeigt, dass der Moment der Taufe nicht einen der felsenfesten Gewissheit markiert, sondern dass die Taufe den fließenden Übergang vom Zweifel zum Glauben in Szene setzt, ihn zeigt, darstellt, und darin feiert – also den Moment inszeniert, in dem wir – bildlich gesprochen – das Schwimmen lernen. Zum Glauben, den wir in der Taufe feiern, gehört keine einfache Zweifellosigkeit des Glaubenden und keine schlichte Unbezweifelbarkeit des Glaubensgegenstandes – wer hat denn mehr Zweifel auszuhalten als Gott selbst – sondern zum Glauben gehört die Überwindung des Zweifels und das Leben-Können mit dem wiederkehrenden Zweifel: Glauben ist eigentlich das immer wieder zum Glauben Kommen.
Getauft sein, heißt, ich habe gezeigt, ich habe es mir gezeigt, ich habe es mir durch Gott zeigen lassen, dass ich schwimmen, also dass ich glauben kann. Deshalb hat es Sinn, mich in Zeiten des Zweifels und der Anfechtung dieses Moments zu versichern, so wie Luther, der von Anfechtungen berichtet, in denen er sich vom Teufel bedroht sah und diesem ein trotzig gewisses „Ich bin getauft“ entgegengeschleuderte; ungefähr so wie man sich vor dem Sprung ins tiefe Wasser ein kräftiges „Ich kann schwimmen“ sagt.
Es spricht nur für unsere Analogie, dass sowohl bei der Taufe als auch beim Schwimmenlernen die Säuglinge eine gewisse Sonderrolle einnehmen; eigentlich können sie schon von Anfang an, was sie später wieder lernen müssen, was Unterricht auf der einen und Tauffeier auf der anderen Seite überflüssig erscheinen lassen. Ich erinnere mich an heiße Diskussionen mit unserem lieben Gemeindeglied und Kirchenvorsteher Hartmut Visbeck – Gott hab ihn selig – der vehement die Kindertaufe abgelehnt hat, nicht etwa wegen eines „noch nicht“ (wie bei den Baptisten, die sagen, dass Kinder noch nicht über ihren Glauben entscheiden können) sondern wegen eines „schon längst“ und eines „viel mehr“; seiner Meinung hatten Kleinkinder schon längst und viel mehr davon, was ihnen in der Taufe erst noch zugesprochen wird.
Von unserer Schwimmanalogie könnte man nun entgegnen, dass gerade die Säuglingstaufe den besonderen Moment einer starken Ursprungsgewissheit – das Urvertrauen – nutzt, um uns im Rückblick und durch die Erinnerung umso besser gegen die unvermeidlichen Stürme und Fluten des Zweifels zu schützen, um also dem Teufel in allen seinen Verkleidungen entgegenzuschleudern: Ich bin getauft! Ich weiß Gott von Anfang an auf meiner Seite.
Dieses Bekenntnis: Ich bin getauft! ist die kurze Antwort auf ein langes – ein lange und weit reichendes – Versprechen: Siehe ich bin euch alle Tage bis an der Welt Ende. Amen.