Als aber Jesus nach Kapernaum hineinging, trat ein Hauptmann zu ihm; der bat ihn und sprach: Herr, mein Knecht liegt zu Hause und ist gelähmt und leidet große Qualen. Jesus sprach zu ihm: Ich will kommen und ihn gesund machen. Der Hauptmann antwortete und sprach: Herr, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst, sondern sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund. Denn auch ich bin ein Mensch, der Obrigkeit untertan, und habe Soldaten unter mir; und wenn ich zu einem sage: Geh hin!, so geht er; und zu einem andern: Komm her!, so kommt er; und zu meinem Knecht: Tu das!, so tut er’s. Als das Jesus hörte, wunderte er sich und sprach zu denen, die ihm nachfolgten: Wahrlich, ich sage euch: Solchen Glauben habe ich in Israel bei keinem gefunden! Aber ich sage euch: Viele werden kommen von Osten und von Westen und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen; aber die Kinder des Reichs werden hinausgestoßen in die Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern. Und Jesus sprach zu dem Hauptmann: Geh hin; dir geschehe, wie du geglaubt hast. Und sein Knecht wurde gesund zu derselben Stunde. (Matthäus 8,5-13)
Nicht nur in diesen pandemischen Zeiten, in denen sich so ziemlich alles um Gesundheit und Krankheit dreht, kommt der gesundheitlichen Aufklärung ein besonderer Wert zu – und gerade darum hat sich die sogenannte Rentner-Bravo, alias Apotheken-Umschau seit nunmehr 66 Jahren Verdienste erworben, die kaum abschätzbar sind.
Mein lieber Vater – Gott hab ihn selig – hat sie im Alter vierzehntäglich durchgearbeitet und konnte dann beim nächsten Arztbesuch ordentlich glänzen, also dem staunenden Doktor haarklein erklären, was ihm fehlt und was zu tun sei. Und nur in den Fällen, in denen der behandelnde Arzt noch nicht auf dem gleichen Kenntnisstand war, konnte es zu unerfreulichen Diskussionen kommen, die nicht durchweg dem Heilungsprozess förderlich waren.
Der Hauptmann von Kapernaum folgt der gegensätzlichen Strategie und erstaunt mit seinem unerschütterlichen Vertrauen und ohne jedes medizinische Vor-Urteil den sich wundernden Jesus: Sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund! Er leitet sein Vertrauen aus dem ihm als Militär vertrauten Lebenszusammenhang von Befehl und Gehorsam ab: ich bin ein Mensch, der Obrigkeit untertan, und habe Soldaten unter mir; und wenn ich zu einem sage: Geh hin!, so geht er; und zu einem andern: Komm her!, so kommt er; und zu meinem Knecht: Tu das!, so tut er’s. Ob das mal so gestimmt hat; es gab ja auch immer schon Deserteure – wie den kürzlich hochbetagt verstorbenen Hardy Krüger – gegen die böse und um der guten Sache willen.
Zumindest scheint – nebenbei gesagt – eine nicht unähnliche Hoffnung noch heute bei manchen dazu zu führen, in medizinischen Krisen wie der gegenwärtigen Pandemie militärischem Fachpersonal – keinem Hauptmann bloß, sondern einem General! – ihre Lösung anzuvertrauen und zuzutrauen. Höchst merkwürdig, aber wir kennen das. Im Kleinen haben viele von uns das auch schon erlebt, ich meine natürlich die Begegnungen mit den Bundeswehrsoldaten im Impfzentrum, in deren Obhut man sich gleich etwas sicherer vor dem Virus gefühlt hat. Aber ich schweife ab.
Als kurze lebenspraktische Zwischenbilanz wäre an dieser Stelle festzuhalten, dass sich – wie so oft im Leben – ein Mittelweg für den Umgang mit der eigenen Gesundheit empfiehlt: allgemeinverständliche Hintergrundinformationen und Empfehlungen zur Lebensweise gerne aus der Apotheken-Umschau, bei Konkreterem fragen wir unseren Arzt oder Apotheker. Noch der schlechteste Arzt dürfte unendlich viel bessere medizinische Kenntnisse haben als wir – womit dann auch zur Impffrage alles gesagt ist.
Für das Verständnis unseres Predigttextes ergibt sich, dass es weniger um ein Heilungswunder als um ein Glaubenswunder geht – nicht medizinische und therapeutische Fragen stehen im Vordergrund sondern solche des Glaubens und des Vertrauens: Solchen Glauben habe ich in Israel bei keinem gefunden!
Dabei ist doch auch und gerade der hier vorgestellte und von Jesus gelobte unerschütterliche, von keinem Zweifel gestörte Glaube, der sich Gott wie einen General gegenüber den Mächten der Natur denkt, höchst fragwürdig und mindestens erklärungsbedürftig; kein Wunder, dass Jesus solchen Glauben in Israel bei keinem gefunden hat, denn Israel leitet seinen Glauben ja nicht aus Praxis und Psychologie seiner Militärs ab, sondern aus seinen jahrhundertelangen Erfahrungen mit Gott; aus der Geschichte und den Geschichten des Heils; von Adam und Eva oder mindestens von Abraham und Sara her. Solcher Glaube findet sich in Israel.
Das Gottesbild unseres Hauptmanns ist hingegen mit gutem Recht kritisiert worden als das von einem „General, der seine Truppen sieht, obgleich sie ihn nicht oder selten sehen. Er befiehlt, sie gehorchen; bei ihm laufen alle Fäden zusammen. Er ist der große, männliche Herrscher, der Chef, der Manager, der, der den Überblick hat und für alles zeichnet.“ Dieser General-Gott hat uns, wenn wir ihm denn anhängen – nach Meinung des Theologen Dietrich Ritschl – im Griff, sogar unsere Gedanken, ein General, „der uns zwingt, alles umzuinterpretieren: Leiden in verstecktes Glück, Tod in vermeintlichen Sinn, Diffamierung und Unterdrückung in gottgeplantes und -gewolltes pädagogisches Planen – Satan-Gott, wirklich! Ein Gott zum Hassen. Oft sind die Gläubigen wirklich so unterwürfig gewesen, dass sie bereit waren, alles umzuinterpretieren, das Leid, den Tod, den totalen Sinnverlust, die Liebe Gottes – alles waren sie bereit umzuinterpretieren, solange sie ihr Generalsbild von Gott aufrechterhalten konnten, die abstrakte Idee von seiner Allmacht.“ (Dietrich Ritschl, Auf der Suche nach dem verlorenen Gott, 1988)
Demgegenüber sollte es – ebenso nach Ritschl – darum gehen, solchen Glauben, wie er in Israel gefunden wurde und wird, neu zu hören und neu hören zu lassen; sich hineinzustellen in die Geschichten und die Geschichte von Gott und den Menschen. „Hineinschlüpfen müssten wir nachträglich in diese Geschichte Gottes mit Israel, Jesus und mit den frühen Christen, so sehr sie auch geirrt haben und so wenig vorbildlich sie auch gewesen sein mögen.“ (ebd.)
Apropos Irrtum: Was wäre, wenn wir es hier bei unserem Predigttext gleich mit einem doppelten Irrtum zu tun hätten; also zum ersten mit dem Irrtum des Hauptmanns von Kapernaum, der sich Gott als gleichsam stärkere Ausgabe seiner selbst denkt, als kosmischen General, der über die Kräfte des Kosmos befiehlt – aber eben einem produktiven Irrtum, der durch die Barmherzigkeit Jesu nicht beschämt wird, nicht bloßgestellt wird – wie es schlechte Lehrer mit unseren Irrtümern machen; sondern die Wahrheitsmomente unter allem Irrtum hervorheben, wie es die guten Lehrer machen, die nicht die Fehler bewerten sondern das, was richtig ist. Wahr wäre am Irrtum des Hauptmanns, dass er und wir uns auf Gott verlassen können, dass er über Kräfte der Heilung verfügt, von denen wir nichts ahnen und von denen noch nicht einmal die Apotheken-Umschau weiß. Wahr am Irrtum des Hauptmanns ist sein enthusiastischer, naiver, forscher, fordernder Glauben, alles von Gott zu erbitten, „denn er wird´s wohl machen“ (Psalm 37).
Und dann ist da noch der zweite Irrtum, den Jesus leider nicht mehr wie den ersten ausbügeln konnte, weil ihn seine Jünger und Biografen erst posthum notiert haben; der so stehen geblieben ist und nun durch unsere – hoffentlich nicht selber allzu irrtümliche – Deutung zurechtgebogen werden muss: ich meine die hässlichen, antijüdisch klingenden Worte vom Austausch des Gottesvolkes, vom Hinausst0ßen der Kinder des Reichs, also der Kinder Israels in die Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern. Ich will nicht glauben, dass Jesus selbst das gesagt hat und schon gar nicht, dass er es selbst so gemeint haben könnte; wie hätte er nur als geborener und jüdisch lebender Jude.
Viel eher dürfte er sich hier auf die uralte, alttestamentlich-jüdische Hoffnung der Völkerwallfahrt zum Zion, zur heiligen Stadt Jerusalem beziehen, wenn er verheißt: Aber ich sage euch: Viele werden kommen von Osten und von Westen und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen. Von diesem Glauben war in Israel schon seit Jahrhunderten die Rede; jeder dort dürfte von diesem Glauben in Israel gehört haben:
„Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des HERRN Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben, und alle Heiden werden herzulaufen, und viele Völker werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns auf den Berg des HERRN gehen, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des HERRN Wort von Jerusalem.
Und er wird richten unter den Heiden und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.“ (Sowas hören Generäle nicht gerne; damit es nicht überhört werden kann, zur Sicherheit gleich doppelt überliefert: Jesaja 2,2-4; Micha 4,1-5)
Und das wäre dann auch Pointe und Evangelium unseres Predigttextes: Alle können zu Gott, niemand wird abgewiesen; jeder kann sich in die Geschichte seines Volkes stellen und seine Geschichten hören; alle können zu Gott aus allen Ländern dieser Erde – mit ihrem Glauben und mit ihren Irrtümern; und noch unsere größten Irrtümer vermag Gott in Glaubenswahrheit zu verwandeln. Gott beschämt niemanden, der zu ihm kommt.
Oder mit den Worten unserer Jahreslosung: „Jesus Christus spricht: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen“ (Johannes 6,37).