Predigttext für den 24. Mai 2020, 6. Sonntag nach Ostern, Sonntag „Exaudi“, Konfirmation

Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen, nicht wie der Bund gewesen ist, den ich mit ihren Vätern schloss, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägyptenland zu führen, mein Bund, den sie gebrochen haben, ob ich gleich ihr Herr war, spricht der Herr; sondern das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der Herr: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein.Und es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: »Erkenne den Herrn«, denn sie sollen mich alle erkennen, beide, Klein und Groß, spricht der Herr; denn ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken. (Buch des Propheten Jeremia 31,31-34)

Binden, band, gebunden:

Zu den verständlichen und doch abwegigen Anliegen von Gemeinden, gehört der Wunsch, ihre Gemeindejugend, also auch die ehemaligen Konfirmanden „einzubinden“. Mein Kollege aus einer anderen Gemeinde erzählte auf seine ganz eigene Weise von der Vision, die sich seinem stets hellwachen Geist daraufhin unweigerlich einbildete: Er sieht ein Bündel Jugendlicher, gefesselt und geknebelt in einem dunklen Verlies hungernd und dürstend wie der Graf von Monte Christo im Chateau D´If vor Marseille – das müssen wir uns mal wieder anschauen nach Corona, aber von außen – also gefesselt und geknebelt irgendwo tief unter der Kirche – eingebundener in die Gemeinde geht’s nicht.

Zum Bund gehört Freiheit, sowohl beim Bundesschluss als auch im Bund selbst: Der große Theologe Karl Barth deutet die Bundeschlüsse zwischen Gott und den Menschen in der Bibel so: „Gott bindet sich in freier Liebe an den Menschen“. Barth meint, dass Gott ja auch ganz anders könnte, dass er aber auf seine absolute Freiheit verzichtet und sich um der Liebe zu den Menschen willen an sie bindet – mit allen Konsequenzen: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben“ (Johannes 3,16). Barth hat recht. (Auch wenn er das mit der gebundenen Freiheit in seinem eigenen Ehebund nicht so ganz hingekriegt hat. Fragt Eure Eltern, wie das geht mit dem Ehebund und der Freiheit, die sich in Liebe bindet und dabei so viel – nicht nur Euch! – auch Freiheit gewinnt.)

Die Bibel berichtet von einer Reihe von Bundeschlüssen Gottes mit den Menschen – Noah, Abraham, Mose, Jesus – und spricht dabei auch im Alten Testament immer wieder vom Neuen Bund. (Das ist erklärungsbedürftig: Die Begriffe Altes Testament und Neues Testament übersetzen und bezeichnen – durchaus missverständlich – alten und neuen Bund; missverständlich deshalb, weil es in der Bibel, wenn es um Bund geht, nicht um das geht, was wir heute unter einem Testament verstehen, und weil alt und neu weder auf die beiden Teile der Bibel anzuwenden und zu verteilen ist, noch im Sinne von veraltet und ungültig einerseits und aktuell und gültig andererseits zu verstehen ist. Ein neues Testament bei uns ersetzt das alte; das ist mit den Begriffen Altes Testament und Neues Testament für die beiden Teile der Bibel genau nicht gemeint – außer man missversteht sie, vielleicht sogar absichtlich, was leider immer und immer wieder und immer noch passiert, vgl. den unfassbaren Berliner Streit um das Alte Testament vor ein paar Jahren, als ein Theologieprofessor der Humboldt-Universität behauptete, das Alte Testament – also Schöpfung, Noah, Abraham, Jakob, Mose, Jesaja, die Psalmen …! – gehöre nicht zum christlichen Glauben.)

Der Prophet Jeremia spricht jedenfalls eindeutig im Alten Testament vom neuen Bund, durch den Gott die Beziehung – die Bundesbeziehung – zu seinem Volk erneuern will: Ohne – und das ist nun echt wichtig! – ohne den „alten“ Bund aufzuheben, richtet Gott einen „neuen“ Bund auf. Der Prophet bezieht sich auf den „alten“ Bund mit Mose am Sinai, mit den Zehngeboten und dem ganzen Rest. Der ist von seinem Volk gebrochen worden – so wie ja auch von uns: durch Lügen und Betrügen, durch Stehlen und Begehren, in der Liebe und in der Religion immer und immer wieder gebrochen worden. Jetzt geht es Gott durch seinen Jeremias darum, die Beziehung trotz allem zu erneuern, zu bekräftigen, zu bestärken, zu revitalisieren!

Das Alte bewahren und das Neue ermöglichen! Was sich anhört wie der mittelmäßige Werbespruch einer wohlmeinenden aber etwas einfallslosen Volkspartei im ländlichen Raum – denken wir an Eckernförde oder Wanne-Eickel – fasst die prophetische Botschaft ganz gut zusammen. Das Alte bewahren und das Neue ermöglichen!

Und Jeremia gibt dazu drei ganz entscheidende Hinweise, die seiner Meinung nach das Neue des neuen Bundes ausmachen (ob die jeweils wirklich neu sind gegenüber dem Sinaibund mit Mose, sei dahingestellt). Bei der Gelegenheit, kann man ja gleich mal schauen, ob unser Konfiunterricht zu diesen Hinweisen passt.

1. Gott spricht: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben. „Learning by heart“ und „Knowing by heart“ – das heißt: etwas auswendig lernen und dann wissen. Man braucht also kein Buch mehr oder eine Computer-Cloud, um etwas zu wissen: sondern man hat es im Herzen geschrieben stehen. Es ist kein äußerliches Wissen mehr, sondern es gehört ganz tief zu einem da drin. Paradoxerweise ist ja gerade das die Kritik und der Grund, wieso wir nicht mehr die Konfirmanden auswendig lernen lassen: Das sei dann eben gerade nicht innerliches zu Herzen gegangenes Wissen, sondern plapperndes Papageiengeschwätz, pädagogisch nichts wert, schon gar nicht die mühevolle Aneignung. Ob wir uns da mal nicht täuschen. Ich z.B. bin kein guter Auswendiglerner, habe mich in der Schule immer vor dem großen Balladenaufsagen gedrückt, verhaspel mich wenn ich Pech habe und aufgeregt bin (und das bin ich im Gottesdienst immer) sogar beim Vaterunser oder beim Segen, aber was ich bei den Pfadfindern, im Kirchenchor, als Student – und merkwürdigerweise auch als Schüler in England: learning by heart – an Texten und Liedern gelernt habe, das sitzt tief und fest im Herzen und gehört jetzt zu mir. Es ist verinnerlicht – so ist das hier gemeint und gewollt beim Propheten Jeremia. Da müsst ihr also was nachholen, liebe Konfirmandinnen. (0:1 gegen unseren Konfiunterricht. Können wir das aufholen, den Anschlusstreffer erzielen, das Spiel noch umdrehen.)

2. Es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: »Erkenne den Herrn«, denn sie sollen mich alle erkennen, beide, Klein und Groß, spricht der Herr . Das Herzenswissen, das Gott in seinem neuen Bund in unsere Herzen legt, ist kein Herrschaftswissen. Auch das ist auf eine überraschende Weise zutreffend. Es gibt kein Weisheitsprivileg für Alter und Erfahrung; das alberne Ausflugslied von den blauen Bergen und dem um keinen Deut klügeren Lehrer als seine Schüler bewahrheitet sich jederzeit tagtäglich in Schule und Gemeinde. Es kann einem als Pfarrer passieren, dass einem morgens der Knirps im Kindergarten etwas erklärt – von der Güte Gottes oder der Liebe einer Mutter – was der akademische Ruheständler auch im 100. Treffpunkt Theologie abends nicht begreifen wird. In den nicht so schwierigen Themenfeldern wie Quantenmechanik, Astrophysik oder Mikrobiologie mag das Schüler-Lehrer-Verhältnis gerechtfertigt sein; bei den wirklich wichtigen Dingen des Lebens – Wahrheit, Gerechtigkeit, Erbarmen und Liebe – gibt es andere Übertragungswege, die uns noch viel unbekannter sind als die einer Virusinfektion. Es könnte also für reine Anmaßung gelten, wenn wir uns im Konfiunterricht als Lehrer aufspielen und die anderen für unsere Schüler halten. Zumal wir es ja immer wieder erleben, dass die Lehrer von den Schülern mehr gelernt haben als umgekehrt. (Oje, 0:2, „Hoch werd mas nimma gwinnen“ – „Hoch werden wir das Spiel nicht mehr gewinnen“ – das waren die unsterblichen Worte des österreichischen Fußballers Anton Pfeffer beim Qualispiel gegen Spanien 1999 in der Halbzeitpause, als es 0:5 gegen unsere österreichischen Freunde stand; er sollte recht behalten, am Ende gabs ein 0:9, eine Jahrhundertklatsche. Wird es uns auch so gehen? Gemach, einer geht noch!)

3. (Wir sind immer noch bei den Hinweisen des Jeremias zum neuen Bund: 3.) Und letztens: Gott spricht: „Ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken“ Glück gehabt! Gott vergibt den ärgsten Sündern, also sogar seinen Dienern. Wie im Fußball werden Tore nicht einfach gezählt sondern gewichtet; manche Treffer zählen mehr. Die Big Points! Und so ist das auch mit Gottes Gnade, die allemal mehr zählt als unsere Verfehlungen. An den eigenen Ansprüchen gescheitert, haben wir doch gewonnen, wenn Gott auf unserer Seite ist.

Es waren die Propheten des Alten Israel, die das entdeckt haben, was man das Erbarmensgesetz nennen kann und das Jesus später in das Zentrum seiner Verkündigung gestellt hat: Schon dass Gott einen Bund mit seinem Geschöpf schließt, ist ja reine Gnade; dass er uns Menschen durch menschenfreundliche Gebote Lebensmöglichkeiten gibt, Räume eröffnet, auch durch menschengemäße gute Regeln, ist schon Barmherzigkeit: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, wie es Mose überliefert hat und Jesus aufnimmt.

Aber dass Gott – wie hier beim Propheten Jeremias – die Vergebung zum Prinzip seines Handelns macht uns zum Vorbild, lässt ganz zu Recht von einem neuen Bund sprechen. Weil ich auf die Vergebung Gottes hoffen kann, bin ich frei – so frei, dass ich anderen ebenfalls vergeben und sie dadurch befreien kann. So sollen wir ja beten: Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern! Weil Gott mich von meinen Verfehlungen freispricht, bin ich nicht mehr an meine Vergangenheit gefesselt – und kann andere von ihren Vergangenheiten lösen.

Höchste Zeit also, die Jugendlichen aus den Kellerverliesen der Kirchen zu befreien, mit der Fackel in der Hand die Finsternis zu erleuchten, die Fesseln falscher Vorstellungen über Gott und die Welt zu lösen – und in die Welt zu entlassen, nach und nach.

Umso schöner wenn wir uns dann und wann, gerne bald mal – freiwillig! – wiedersehen. Auf Wiedersehen in der Freiheit der Kinder Gottes!

Klaus Neumann, Pfarrer