Predigttext für den 1. Sonntag nach Weihnachten, 2. Januar 2022

Was von Anfang an war, was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit unseren Augen, was wir betrachtet haben und unsre Hände betastet haben, vom Wort des Lebens –

und das Leben ist erschienen, und wir haben gesehen und bezeugen und verkündigen euch das Leben, das ewig ist, das beim Vater war und uns erschienen ist -,

was wir gesehen und gehört haben, das verkündigen wir auch euch, damit auch ihr mit uns Gemeinschaft habt; und unsere Gemeinschaft ist mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus.

Und das schreiben wir, damit unsere Freude vollkommen sei. (1. Johannesbrief 1,1-4)

Da scheint einer vor Aufregung zu stammeln. Die Worte, die Satzteile des Johannes, den wir aus seinem Evangelium ganz gut kennen, geraten durcheinander, Wiederholungen reihen sich, Bezüge verwirren sich, Satzteile bleiben in der Luft, noch einmal und noch einmal fängt der Autor an von dem zu reden, was ihm so wichtig ist.

Wer gelegentlich zu reden, vor anderen zu reden hat, kennt das. Dass einem die vielen Gedanken im Kopf, die Worte im Mund in Unordnung bringen. Oder umgekehrt – dass eine komplexe Situation, den Kopf einfach leer macht und unseren Mund ins Stammeln bringt. Da steht einer, und will was sagen – aber es kommt nichts Gescheites raus. Da sitzt einer und will was schreiben – aber die Worte und Satzteile fügen sich kaum zu etwas Sinnvollem.

Merkwürdigerweise wird solche Rede- oder Schreibhemmung nicht selten von bedeutenden religiösen Führern überliefert. Der stotternde Mose brauchte seinen Bruder Aaron um seine Botschaft weiterzugeben. Der Apostel Paulus wir von seinen Gegnern verspottet, wegen seines wenig eindrucksvollen Auftretens und Redens.

Dabei erwartet man doch gerade von Geistlichen, dass sie einigermaßen geradeaus sprechen können, dass sie ihre Botschaft in Worte zu fassen und damit Menschen zu überzeugen in der Lage sind.

Aber es könnte ja sein, dass gerade das Besondere der religiösen Botschaft gelegentlich ihre Botschafter so sehr verwirrt, dass sie hier versagen. Dass die Größe ihre Botschaft nicht mehr in ihren Mund passt. Dass sie schlicht überfordert und überwältigt sind, von dem was sie da weitersagen sollen und weitersagen möchten. Und dass dazu noch die eigene Erwartung und die der Hörer und Leser und der besondere Anlaß ein Übriges zur Einschüchterung und Verwirrung tun.

Umso schöner, wenn dann doch noch etwas einigermaßen Verständliches, Stärkendes, Aufbauendes, Glauben und Zutrauen Weckendes dabei herauskommt. So wie bei unserem Evangelisten und Briefautor Johannes, der bei aller Verwirrung, ganz deutlich macht, um was es ihm geht. Vielleicht ist seine Stammelei ja sogar ein Hilfsmittel, ein rhetorischer Kunstgriff, den er bewusst einsetzt, um Aufmerksamkeit und Erwartung zu wecken. Das, was ich jetzt zu sagen habe, ist so wichtig und bedeutend, da muß ich jetzt erst mal stottern. Das, was ich jetzt sagen möchte, geht mir selbst so nahe, dass es meinen Sprachfluß stört, damit Euer Denken und Glauben neu in Gang kommt.

Das Leben ist erschienen, und wir haben gesehen und bezeugen und verkündigen euch das Leben, das ewig ist, das beim Vater war und uns erschienen ist.

Weihnachtsbotschaft: Gott kommt zu uns, Gott ist mit uns, seine Gegenwart erneuert uns, macht uns heil, schenkt uns Frieden. Das Leben ist erschienen.

Sicherlich meint Johannes hier das ganze Leben und Wirken Jesu, sein Heilen und Verkünden, seine Taten und Worte, sein Versöhnen und Lehren. Ganz besonders aber den Moment, da dieses ewige, göttliche Leben in menschliches Leben trat, als das Wort Fleisch wurde und das Licht in die Dunkelheit kam. So sagt es Johannes ja an anderer Stelle in seinem Schöpfungsbericht, der zugleich Geburtsgeschichte Jesu ist:

Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott.

Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.

In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen.

Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat’s nicht ergriffen.

Das war das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen.

Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn gemacht; aber die Welt erkannte ihn nicht.

Er kam in sein Eigentum; und die Seinen nahmen ihn nicht auf.

Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden, denen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut noch aus dem Willen des Fleisches noch aus dem Willen eines Mannes, sondern von Gott geboren sind.

Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. (Johannes 1,1-14*)

So spricht der Evangelist und Briefautor Johannes, wenn er sich Zeit nimmt für seine Formulierung, wenn er sich die Ruhe nimmt, die er für seine Besinnung braucht, wenn er ganz bei sich ist.

In beiden Fällen – der Gelegenheitsschrift wie dem wohlgesetzten Geburts- und Schöpfungslied – aber ist dasselbe gemeint.

Dass das Leben selbst erschienen ist und nun von ihm gesprochen werden soll.

Dass dieses Leben Jesu in die Gemeinschaft der Kinder Gottes führt.

Und dass dieses neue Leben Freude bereitet; mehr noch, unsere Freude vollkommen macht.

In den Worten des Briefautors Johannes läßt sich der freudige Überschwang noch hören. Die Festfreude, die Ausgelassenheit der gemeinschaftlich Feiernden.

Als immer noch Ergriffener spricht und schreibt Johannes, als einer der die Freude weitergeben geben will, die er selbst empfindet.

Das macht es ja ohnehin viel leichter, Freude weiterzugeben, wenn wir in uns diese Freudespüren. Wenn wir das selbst erlebt haben, wovon wir da sprechen. Wenn wir freudig von Freude sprechen.

Ich bin mir sicher, dass auch wir – dass alle von uns – wieder wahrhaft Weihnachtliches erlebt haben; selbst die, die ihr Fest nicht in berauschter Ausgelassenheit gefeiert haben oder feiern konnten.

Vielleicht war es ein besonders schönes Konzert in einer Kirche oder im Fernsehen.

Vielleicht war es eine Musik, die uns nach langer Zeit wieder aufleben ließ.

Vielleicht die Lieder im Weihnachtsgottesdienst oder im Familienkreis zu Hause.

Vielleicht ein Wort in einer Predigt, das uns erreicht hat.

Vielleicht ein Telefonanruf, ein Brief, ein klärendes Gespräch, eine Aufmunterung, eine Motivation, eine Perspektive.

Vielleicht das Geschenk, mit denen wir ein Kind eine Freude gemacht haben; vielleicht ein Geschenk von jemandem, von dem wir das nicht erwartet hätten.

Vielleicht die Gemeinschaft, die wir beim Essen und Trinken und Erzählen erleben durften.

Vielleicht der Spaziergang, den wir erlebten oder einer, an den wir uns erinnerten.

Vielleicht das bloße Aufatmen nach Tagen der Unruhe.

Ich bleibe dabei, dass ganz gewiß jede und jeder von uns ein solches weihnachtliches Erlebnis gehabt hat – vielleicht brauchen wir nur etwas um das Licht in der Dunkelheit zu finden. Vielleicht aber bracuhen wir ja auch ein bischen Dunkelheit um das wahre Licht im Lichtermeer zu finden.

Und jedes mal wird dieses Freudenereignis mit der Beziehung zu anderen Menschen zu tun gehabt haben, mit Menschen, deren Gegenwart – und sei es die indirekte Gegenwart der Erinnerung oder eines Telefongesprächs – die Gegenwart Gottes in unserer Welt erahnen, vielleicht sogar erleben läßt. Gott will, dass wir ihn in der Nähe eines anderen Menschen wahrnehmen; dass wir Gott im Antlitz unseres menschlichen Gegenübers sehen. Deswegen ist er für uns Mensch geworden.

Und deswegen wird gerade der Evangelist und Briefautor Johannes nicht müde, die Liebe unter den Menschen als Erfahrung Gottes darzustellen. An anderer Stelle unseres Briefes schreibt er: Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.

So hat die Liebe unter den Menschen etwas ganz und gar Weihnachtliches: Denn in der Liebe zwischen Menschen zeigt sich Gott, in der Liebe wird Gott menschlich, kommt zu uns und will bei uns bleiben.

Und wie die Weihnachtsbotschaft vermag ja auch die Liebe bisweilen unsere Sprache in Unordnung zu versetzen, uns ins Stammeln zu bringen.

Das muss sie beide – weder die Liebe noch Weihnachtsbotschaft – schlechter machen.

Hauptsache sie kommen beide von Herzen – und das heißt für Johannes von Gott.