Und er fing an, zu ihnen in Gleichnissen zu reden: Ein Mensch pflanzte einen Weinberg und zog einen Zaun darum und grub eine Kelter und baute einen Turm und verpachtete ihn an Weingärtner und ging außer Landes. Und er sandte, als die Zeit kam, einen Knecht zu den Weingärtnern, damit er von den Weingärtnern seinen Anteil an den Früchten des Weinbergs nähme. Da nahmen sie ihn, schlugen ihn und schickten ihn mit leeren Händen fort. Abermals sandte er zu ihnen einen anderen Knecht; dem schlugen sie auf den Kopf und schmähten ihn. Und er sandte einen andern, den töteten sie; und viele andere: die einen schlugen sie, die andern töteten sie. Da hatte er noch einen, den geliebten Sohn; den sandte er als Letzten zu ihnen und sagte sich: Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen. Sie aber, die Weingärtner, sprachen untereinander: Dies ist der Erbe; kommt, lasst uns ihn töten, so wird das Erbe unser sein! Und sie nahmen ihn und töteten ihn und warfen ihn hinaus vor den Weinberg.Was wird nun der Herr des Weinbergs tun? Er wird kommen und die Weingärtner umbringen und den Weinberg andern geben. Habt ihr denn nicht dieses Schriftwort gelesen (Ps 118,22-23): »Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden. Vom Herrn ist das geschehen und ist ein Wunder vor unseren Augen«? Und sie trachteten danach, ihn zu ergreifen, und fürchteten sich doch vor dem Volk; denn sie verstanden, dass er auf sie hin dies Gleichnis gesagt hatte. Und sie ließen ihn und gingen davon. (Markusevangelium 12,1-12)
„sono un umile lavoratore nel giardino di Dio“ – wenn Sie das jetzt nicht gleich verstanden haben, kann das an meinem oder an ihrem Italienisch liegen; oder daran dass ich das Bayrisch- Italienisch unseres verstorbenen Papstes in der Version des immer noch sehr lebendigen Satirikers Gerhard Polt sehr unvollkommen nachgeäfft habe. Dieser zitiert sich und Papst Benedikt XVI in einem Zeitungsinterview letzte Woche: Ich bin nur ein demütiger Arbeiter im Garten Gottes.
„sono un umile lavoratore nel giardino di Dio“ – sagt Polt – „hat Papst Benedikt XVI. am Anfang seiner Papstkarriere auf Bayrisch-Italienisch gesagt. In seinem Singsang. Er wollte die Schädlinge aus dem Weinberg des Herrn entfernen. Wenn jemand so etwas sagt, muss man vorsichtig sein“ – soweit Polt (NZZ vom 3.3.23). Und damit sind wir doch schon beim Thema unseres Predigttexts; auch unser Text und sein Thema können gefährlich werden und sind es lange Zeit gewesen; Vorsicht ist geboten!
Wenn nämlich – wie Jahrhunderte geschehen – die bösen und die guten Weingärtner auf „böse Juden“ und „gute Christen“ gedeutet und so festgelegt werden, ist das interpretatorische Unheil schon angerichtet und wird seinen Lauf nehmen. Was es auch hat. Unser Text von den bösen Weingärtnern, die die Boten des Herrn misshandeln und töten und am Ende selbst getötet werden, war einer der biblischen Kronzeugen für die Verfolgung, die Misshandlung, den Mord an den Juden durch Christen. An ihm wurde Schuld und Strafe des Gottesvolkes belegt; dessen Ablösung als Auslöschung durch die Christen begründet. Was läuft da schief?
Zuerst natürlich die große und grundsätzliche Bereitschaft unseren Text wie andere Texte der Bibel in dieser Weise und in dieser Richtung – nämlich antijüdisch und alsbald antisemitisch – zu verstehen. Das antisemitische Potential im Christentum scheint ungeheuerlich. Aus der anfänglichen Konkurrenz zwischen Ursprungsreligion und Neugründung bis zur viele hundert Jahre unbestrittene Dominanz des Christentums im Grunde bis heute scheint sich zwangsläufig die Abwehr alles Jüdischen und die Verfolgung von Juden zu ergeben – und dann eben auch gerne als Kampf der vorgeblich guten gegen die bösen Weingärtner des Herrn: unser Text mittendrin und ganz vorne dabei.
Eine weitere Voraussetzung für die Instrumentalisierung unseres Textes in diesem schlechtesten aller möglichen Sinne, war die definitive Festlegung der Rollen, also wer mit den bösen und wer mit den guten Weingärtnern gemeint sein musste. Gleichnistheoretisch geschieht der antisemitische Sündenfall durch das Missverständnis einer Gleichniserzählung als Allegorie, in der jedes Motiv einer Geschichte auf eine und nur eine ganz bestimmte Bedeutung in der Wirklichkeit gedeutet und damit festgelegt wird. Damit verliert das Gleichnis seine grundsätzliche Offenheit, seine Fähigkeit, unsere Augen zu öffnen, sein Potential eine Pointe zu bilden, die eben nicht das bestätigt, was wir schon immer zu wissen gemeint haben, sondern uns etwas Neues zu sagen vermag.
Eine Allegorie ist wie ein Rätsel, dass, wenn es einmal entschlüsselt ist, jeden Reiz verliert; ein Gleichnis hingegen hat eine Pointe, die unberechenbar bleibt und eigentlich nicht langweilig werden kann. Noch der demütigste Arbeiter – gerade der – im Weinberg möchte die unbestimmte Vielzahl der Bedeutungen, die er als Schädlinge betrachtet, bekämpfen, gleichsam ausrupfen; und seinen Garten eingrenzen und umzäunen, abteilen und beherrschen. Das Gleichnis aber braucht Freiheit, will wuchern, sich ausbreiten – über Zäune und Mauern hinweg.
Im Gegensatz zur allegorischen Festlegung – die, also ihr, seid die Bösen, und die, also wir, sind die Guten – lädt das Gleichnis zum gedanklichen Rollentausch ein. So wie im Gleichnis vom verlorenen Sohn die Geschichte immer lebendiger wird, je mehr ich mich in den unterschiedlichen Rollen ausprobiere – der jüngere Sohn, der Vater, der ältere Sohn; so werde ich erst dann in unsere heutige Geschichte hineingezogen, wenn ich ihr und mir wechselnde, fließende Identifikationen erlaube – die bösen und die guten Gärtner, die Gesandten, der Besitzer, der sich ja auch wandelt vom schöpferischen Gärtner, zum fernen Regenten, zum Richter und Rächer – die sind ja alles ich.
Nur wenn ich etwa mich in beiden Gruppen wiederfinde, den bösen und den guten Gärtnern, entfällt die einfältige aber bösartige Zuordnung, dass die Bösen jedenfalls die anderen sind und ich dann ja wohl zu den Guten gehören muss. Weit gefehlt, wie die Vorlage unseres Gleichnisses aus dem Alten Testament, die wir als Lesung gehört haben und als Kritik am eigenen Volk, an der eigenen Religion und also an sich selbst gerichtet ist, zeigt. Denn selbstverständlich haben noch die besten, die demütigsten Gärtner im Garten des Herrn die Tendenz zum Bösen, zur Faulheit, zur Eigenmächtigkeit, zur Selbstgefälligkeit, zur Verblendung – etwa zu der, sich selbst für unfehlbar zu halten, zur Selbstvergrößerung – wer sich selbst für unentbehrlich hält, ist es bestimmt nicht; zur Habgier, und wohl auch zur Gewalt.
Auch das so ein irritierender, eher abstoßender Zug unserer Geschichte: die Gewalt. Könnten die Gärtner und Boten nicht etwas zivilisierter miteinander umgehen? Muss man immer gleich draufhauen? Das griechische Original ist erstaunlich und zugleich abstoßend kreativ in der Bezeichnung, was die Handelnden da anstellen: schinden, schlagen, auf den Kopf schlagen, durch Faustschläge ins Gesicht misshandeln, entehren, beschimpfen, töten, hinauswerfen, zugrunde richten. Die Vielfalt der Ausdrücke lenkt unsere Aufmerksamkeit darauf, dass Gewalt viel mehr ist als bloßes Mittel, viel mehr als reines Werkzeug zur Herbeiführung von Unrechtsverhältnissen, sondern auch – in sich! – Machtdemonstration, Tabubruch, Verletzung der Würde, Entehrung – und zwar beider, der Opfer und der Täter. In den Nachrichten lässt sich gerade jeden Abend nachvollziehen, was hier gemeint ist: kriminelle und kriegerische Gewalt, die im Falle des russischen Gewaltherrschers in eins fällt, als Angriff auf die Zivilisation, als Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Erst Aussicht und Einbruch höherer Gewalt – im Sinne der Gewalt eines Höheren, Größeren – beendet die Gewalt, wenigstens in unserer Geschichte, wenigstens in der religiösen Fiktion, die freilich auf unsere Wirklichkeit abzielt und sie verändern möchte. Allerdings spricht nichts dafür, dass nach einem historischen, relativen Ende von Unrecht und Gewalt, nicht wieder neues entstehen könnte, etwa indem sich die guten in böse Arbeiter wandeln. Also etwa so wie im Hollywoodfilm sich der wildeste Streit löst oder noch die widerborstigsten Liebenden im Happy End zwar finden, es aber eigentlich keinen Grund gibt anzunehmen, dass die auf der Leinwand unerzählte Nachgeschichte den ganzen Schlamassel nicht von Neuem aufrollt. Oder eben in der historischen Wirklichkeit, wenn ein mühsam errungener Frieden den Keim zu neuem Unrecht und zu neuer Gewalt schon in sich trägt. Erst ein absolutes Ende unserer verwirrten, gewaltvollen menschlichen Verhältnisse, an das Jesus und die seinen als „Einbruch der Gottesherrschaft“ glaubten, würde daran etwas grundsätzlich verändern.
Ohne in die allegorische, historische Falle zu tappen, lässt sich unsere Erzählung nur schwer auf Jesus und sein Geschick hindeuten. Aber gemeint ist doch wohl, dass hier einer, der unter den historischen Bedingungen menschlicher Gewaltverhältnisse gelitten und durch sie zu Tode gekommen ist, eine Umkehr eingeleitet hat, die selbst nicht mehr umzukehren ist: Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden. Das Opfer unserer menschlichen Gewalt soll zum Maßstab neuer Verhältnisse der Gewaltlosigkeit werden. Der, dessen Geschichte durch unsere, menschliche Gewalt beendet wurde, beendet unsere Gewaltgeschichte. Was gegenwärtig noch als reines Wunder – mit den bekannten Glaubwürdigkeitsproblemen – quer zu unserer Wirklichkeit liegt, wird Gott sichtbar, wirklich und machtvoll herbeiführen. Und diese gegenwärtige Wirklichkeit, aber, voller Gewalt, sollen wir für veränderlich, für endlich und irgendwann für beendet halten, um zu sagen: Vom Herrn ist das geschehen und ist ein Wunder vor unseren Augen. Und vielleicht, darauf spekulieren Gleichnis und Erzähler, kann schon diese Idee uns zum Besseren verändern. Amen.