So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, für die Könige und für alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit. Dies ist gut und wohlgefällig vor Gott, unserm Heiland, welcher will, dass alle Menschen gerettet werden und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, der sich selbst gegeben hat als Lösegeld für alle, als Zeugnis zur rechten Zeit. (1. Timotheus 2,1-6)
Wenn uns auch das Beten abhandengekommen sein mag – wer betet denn noch, wenn er nicht gerade in der Kirche mitbetet; und wer kommt denn überhaupt noch zum Beten in die Kirche? – Wenn uns auch das Beten abhandengekommen sein mag, sind jedenfalls viele von uns gerade noch unter dem Eindruck eines prachtvollen Gottesdienstes für einen König und der glaubensstarken, kraftvollen und authentischen Gebete für ihn: Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, für die Könige und für alle Obrigkeit, genau wie es der Apostelschüler fordert:
Lord, enthroned in heavenly splendour:/ Herr, der du in himmlischer Herrlichkeit thronst:
look with favour upon thy servant Charles our King,/ blicke mit Wohlgefallen auf deinen Diener Karl unseren König
and bestow upon him such gifts of wisdom and love/ und verleihe ihm solche Gaben der Weisheit und der Liebe
that we and all thy people/dass wir und alle deine Völker
may live in peace and prosperity/in Frieden und Wohlstand leben mögen
and in loving service one to another;/und in liebevollem Dienst untereinander
to thine eternal glory,/zu deiner ewigen Ehre
who with the Father and the Holy Spirit/der du mit dem Vater und dem Heiligen Geist
reigns supreme over all things,/über alle Dinge vorherrschst
one God, now and for ever./Ein Gott, jetzt und allezeit.
Amen. (Kollektengebet aus der Krönungsliturgie, die der Erzbischof von Canterbury am 6. Mai in der Westminster Abbey gehalten hat; The Coronation Liturgy: ‘Called to Serve’ | The Church of England)
So müssen Gebete sein: kein Wort zu viel, keins zu wenig, nicht geplappert wie die Heiden, sondern auf den Punkt – au point wie ein gutes englisches Steak; echt, direkt, unmittelbar; Gott wird schon wissen, was gemeint ist und die Zuhörer und Mitbetenden aber auch.
Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, für die Könige und für alle Obrigkeit; die einerseits natürlich zu allen Menschen gehören, aber um ihrer besonderen Aufgabe willen ausdrücklich erwähnt und dadurch hervorgehoben werden. Wie der Apostelschüler macht auch der Erzbischof deutlich, dass das Gebet für den König nicht zuerst als Huldigung und Unterwerfung der Betenden gemeint ist; bzw. nicht als Huldigung des Königs und Unterwerfung unter ihn, sondern, im Gegenteil, den König als Diener unter Gott als höchsten Herrn und König stellen soll. Das Gebet für den König erhöht diesen nicht über die Menschen, sondern erniedrigt ihn unter Gott. Das muss man sich als betender Bischof erstmal trauen und als König erstmal aushalten. Da wird einer auf seinem Thron zum König gekrönt, aber die höchste Krone, die Vorherrschaft – the supreme reign – gebührt Gott allein, dem der in himmlischer Herrlichkeit thront – enthroned in heavenly splendour.
Selbst eingefleischten Atheisten müsste das doch gefallen – uns anderen ja sowieso: Dass ausgerechnet in einem solchen glanzvollen Moment, auf den noch dazu der zu Krönende ein ganzes Leben – 70 Jahre – schon gewartet hat, in allem Pomp und in allen Umständen – „macht euch bloß keine Umstände!“, war jetzt offenkundig die Devise für diese Feier nicht – dass also in einem solchen Moment voller Gold, Glitzer und Trompeten der hohe Herr „Diener“ genannt und an einen höheren Herrn als ihn erinnert wird. In allem Hochgefühl ist das ein Mittel gegen jeden Hochmut des Königs: Berufen ja, aber berufen, um zu dienen: Called to serve, wie es das Motto der erzbischöflichen Krönungspredigt sagt.
Im Grunde zeigen alle Regalien, Insignien und herrscherlichen Symbole der Krönungsfeier diesen dialektischen Herrschaftsauftrag zur Herrschaft als Dienst unter Gott, besonders der berühmte, geheimnisumwitterte, umstrittene „stone of scone“, der für die Krönung in den Thron gelegt wird und auch vergangene Woche gelegt wurde und der – so will es die mutige und abenteuerliche Legende – der Stein von Jakobs Nachtlager unter der Himmelsleiter sei und damit also an einen reichlich unrühmlichen Moment des biblischen Patriarchen erinnert, als der vor seiner Familie geflohen und von allen guten Geistern verlassen in einer Vision diese Leiter sieht, auf der Engel zwischen Himmel und Erde wandeln. Darin wird Jakob sein Platz – nämlich ganz unten – gezeigt, aber auch seine Hoffnung und Aspiration – ganz oben im Himmel. Nebenbei bemerkt: Es ist eine unerfindbare Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet der seinen königlichen Allerwertesten in diesem Moment auf diesen Stein setzt, dessen Söhne in bitterem Bruderzwist getrennt sind – genauso wie Jakob und dessen Bruder Esau. Aha, auch der König ist nicht ausgenommen von den Plagen und Streitereien, die alle von uns belasten können.
Das Gebet für den König erinnert diesen an seinen Dienst vor Gott und an seinen Dienst für die Menschen,damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit, wie es der Apostelschüler sagt und ebenso der Erzbischof meint und ausführt: that we and all thy people/ dass wir und alle deine Völker/ may live in peace and prosperity/ in Frieden und Wohlstand leben mögen. Auch in diesem Aspekt ist das Gebet für den König keine Ergebenheitsadresse von Untertanen, sondern weit eher Erinnerung an seinen Auftrag und Forderung, ihn zu erfüllen. König und Obrigkeit dürfen dann und genau dann mit Gottes Gnade rechnen, sich also dann und nur dann auf Gottesgnadentum berufen, indem sie dieser Bitte entsprechen: wenn sie sich für Frieden und Wohlstand der ihnen anvertrauten Menschen einsetzen.
Und gilt das jetzt eigentlich auch für uns glanzlose Republikaner, uns nüchterne Demokraten, uns monarchieferne Trockenbrötchen? Aber ja, denn auch wenn unsere Regierenden weder König noch Obrigkeit im alten Sinne sind, so kann und so würde ihnen nicht schaden, an eine höhere Instanz verwiesen zu werden, vor der auch sie sich zu verantworten haben. Solche höheren Instanzen sind Gesetz, Verfassung und Volk zuerst, keine Frage – aber eben auch und noch viel mehr der König der Könige.
Es ist merkwürdig und schade zugleich, dass nur die wenigsten der uns in unserem Land Regierenden beim Eid die Gottesformel verwendet haben – und es ist umso bemerkenswerter, dass ausgerechnet die freisinnigen Liberalen das im Gegensatz zu den anderen mehrheitlich dann doch sagten: „So wahr mir Gott helfe“ – desto inniger verdienen sie alle unser Gebet, und dass unser Anliegen auch für sie hörbar vor Gott gebracht wird; das Anliegen, dass Gott ihnen „solche Gaben der Weisheit und der Liebe verleihen möge, damit wir in Frieden und Wohlstand leben“.
Das Gebet für die Regierenden überhöht sie nicht, sondern begrenzt sie. Der Verweis unserer Gebete auf die Herrlichkeit Gottes – „Denn ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit“ – soll sie vor Selbstherrlichkeit schützen. Jede Regierung hat das Recht auf diese Begrenzung menschlicher Macht durch Gott hingewiesen zu werden; und wir Christen haben die Pflicht, uns und sie durch das Gebet zu erinnern, dass sie nicht autonom, und nicht autokratisch das Geschick der ihnen anvertrauten Menschen bestimmen wollen. Damit ist das Gebet der Gläubigen eine staatstragende Handlung, ein staatsermöglichender Akt. Und alles andere – wenig ist das nicht – legen wir im Gebet in Gottes Hand. Amen.