3. Sonntag nach Trinitatis, 25. Juni 2023

Als aber Gott ihr Tun sah, wie sie umkehrten von ihrem bösen Wege, reute ihn das Übel, das er ihnen angekündigt hatte, und tat´s nicht.
Das aber verdross Jona sehr, und er ward zornig und betete zum Herrn und sprach: Ach, Herr, das ist’s ja, was ich dachte, als ich noch in meinem Lande war. Deshalb wollte ich ja nach Tarsis fliehen; denn ich wusste, dass du gnädig, barmherzig, langmütig und von großer Güte bist und lässt dich des Übels gereuen. So nimm nun, Herr, meine Seele von mir; denn ich möchte lieber tot sein als leben. Aber der Herr sprach: Meinst du, dass du mit Recht zürnst? Und Jona ging zur Stadt hinaus und ließ sich östlich der Stadt nieder und machte sich dort eine Hütte; darunter setzte er sich in den Schatten, bis er sähe, was der Stadt widerfahren würde. Gott der Herr aber ließ einen Rizinus wachsen; der wuchs über Jona, dass er Schatten gab seinem Haupt und ihn errettete von seinem Übel. Und Jona freute sich sehr über den Rizinus. Aber am Morgen, als die Morgenröte anbrach, ließ Gott einen Wurm kommen; der stach den Rizinus, dass er verdorrte. Als aber die Sonne aufgegangen war, ließ Gott einen heißen Ostwind kommen, und die Sonne stach Jona auf den Kopf, dass er matt wurde. Da wünschte er sich den Tod und sprach: Ich möchte lieber tot sein als leben. Da sprach Gott zu Jona: Meinst du, dass du mit Recht zürnst um des Rizinus willen? Und er sprach: Mit Recht zürne ich bis an den Tod. Und der Herr sprach: Dich jammert der Rizinus, um den du dich nicht gemüht hast, hast ihn auch nicht aufgezogen, der in einer Nacht ward und in einer Nacht verdarb, und mich sollte nicht jammern Ninive, eine so große Stadt, in der mehr als hundertzwanzigtausend Menschen sind, die nicht wissen, was rechts oder links ist, dazu auch viele Tiere? (Buch des Propheten Jona 3,10; 4,1-11)

Am 14. Juni 2014 erschüttert eine gewaltige Detonation durch Truppen des islamischen Staats (IS) die menschenleere Stadt Mosul, in deren Mitte die Ruinen der riesigen assyrischen Hauptstadt Ninive liegen und legt das Wahrzeichen der Stadt, die altehrwürdige Nebi-Yunus-Moschee mit dem Grab des auch im Islam hochverehrten Propheten Jona – also des Nebi Yunus – in Schutt und Asche. Nicht zum ersten Mal wird Ninive zerstört: Im Jahr 612 v. Christus, also vor gut 2600 Jahren, ging das assyrische Großreich im Sturm von Medern und Babyloniern unter und mit ihm die Hauptstadt Ninive, die belagert, eingenommen und gründlich niedergebrannt wurde – und trotz aller Zerstörung reiche Kunst- und Kulturschätze unter den Trümmern hinterließ. Auch um deren endgültige Zerstörung als Götzenbilder ging es bei dem Angriff auf Mosul vor 9 Jahren durch die islamistische Terrormiliz.

Es berührt merkwürdig, wie sich die Geschehnisse wiederholen und wie die Weltläufe heute und damals sich berühren – und obendrein wie realistisch und aktuell das humoristisch-prophetische Märchenbuch über den Propheten Jona immer noch ist. Wir erinnern uns an den Walreisenden wider Willen, den widerwilligen Propheten, der erst trotzt, weil er den Untergang Ninives verkünden soll, und dann schmollt, weil der Untergang ausbleibt. Genau an dieser Stelle der Geschichte befinden wir uns mit unserem Predigttext: Als aber Gott das Tun der Niniviten sah, wie sie umkehrten von ihrem bösen Wege, reute ihn das Übel, das er ihnen angekündigt hatte, und tat´s nicht. Das aber verdross Jona sehr.

Verdruss über die Gnade Gottes: wenn es so nicht immer noch in den Handbüchern gewaltbereiter religiöser Fanatiker stünde, wäre das beinahe komisch. Das zentrale Gottesbekenntnis von Juden, Christen, Muslimen und sicherlich vielen Religionen, das Bekenntnis zum gnädigen Gott, zum barmherzigen Gott, zum Allerbarmer spricht Jona als Karikatur eines Vorwurfs: ich wusste, dass du gnädig, barmherzig, langmütig und von großer Güte bist und lässt dich des Übels gereuen. In vollendeter prophetisch-dramatischer Ironie mault der Diener Gottes darüber, dass Gott, sein Herr, gnädig, barmherzig, langmütig und von großer Güte ist, wie es die Psalmbeter in ihrem Gotteslob oft und oft besingen. Jona beklagt sich darüber, dass Gott ist, wie er ist; klagt, dass dieser mit seiner Gnade im Unrecht sei; fordert vielmehr Gerechtigkeit als Strafe und Rache.

Immerhin nimmt er nicht selbst das Schwert Gottes in die Hand, wie so viele andere religiöse Fanatiker und Gewalttäter; zieht in keinen heiligen Krieg gegen Ungläubige und Ungerechte; legt keine Weltreiche und Metropolen in Schutt und Asche – sondern er verzieht sich nur in seine Schmollecke, widmet sich seinem Ärger über Gott und die Welt, pflegt seine Verbitterung: So nimm nun, Herr, meine Seele von mir; denn ich möchte lieber tot sein als leben. Und Jona ging zur Stadt hinaus und ließ sich östlich der Stadt nieder und machte sich dort eine Hütte; darunter setzte er sich in den Schatten, bis er sähe, was der Stadt widerfahren würde. Wir kennen das von uns selbst und von anderen: Als gekränkte und beleidigte Leberwurst verziehen wir uns in unsere Schmollecke; eigentlich dämmert uns schon, dass wir uns verrannt haben; aber die Kraft der Einsicht, selbst da wieder herauszukommen, reicht noch nicht.

Auch Gott hätte allen Grund, ihn dort nun ein bisschen schmoren zu lassen, er sagt ihm auf den Kopf zu, sich nicht so zu haben: Aber der Herr sprach: Meinst du, dass du mit Recht zürnst? Und erbarmt sich dann eben doch wieder, nun halt über Jona; Gott scheint nicht anders zu können als gnädig, barmherzig, langmütig und von großer Güte zu sein. Und dazu unternimmt Gott einiges, auch unwahrscheinliches.

Wie schon zuvor in der Jonageschichte engagiert Gott die Natur auf wunderbare Weise, um ihren Gang zu lenken und Jona auf die Spur zu bringen. Nach dem Walfisch kommt eine Rizinuspflanze zum Einsatz, und dann Wurm und Sturm. Die ganze Schöpfung wird in Dienst genommen für unser theologisches Märchen, das sich hier einen pädagogischen Schabernack erlaubt. Auch wenn die Rizinuspflanze schnell und hoch wächst, bis zu drei Metern Höhe in diesen Breiten sagen die Pflanzenkundler, aber dann doch nur im Märchen so schnell und so hoch, dass sie in nur einem Tag einem ausgewachsenen Propheten zum Unterschlupf vor der Sonnen dienen kann. Und sie wächst auch nur um gleich wieder zu welken, angefressen von einem Wurm; angefressen wie Jona angefressen ist vom Wurm der Selbstgerechtigkeit und Selbstbezogenheit; angefressen wie Jona, der sich wegen einer theologischen Rechthaberei eine große Stadt in Schutt und Asche wünscht, aber dann eben doch große Freude über den schnellgewachsenen Sonnenschutz erlebt – nur um diesen gleich wieder zu verlieren durch Schädlinge und Stürme, ganz wie heute im richtigen Leben.

Ob Jona die Moral seiner Geschichte verstanden hat? Eher nicht, zumindest bricht die Geschichte mit der Belehrung Gottes ab, von einer Einsicht Jonas wird nicht berichtet. Dich jammert der Rizinus, um den du dich nicht gemüht hast, hast ihn auch nicht aufgezogen, der in einer Nacht ward und in einer Nacht verdarb, und mich sollte nicht jammern Ninive, eine so große Stadt, in der mehr als hundertzwanzigtausend Menschen sind, die nicht wissen, was rechts oder links ist, dazu auch viele Tiere? Wichtiger ist, dass wir sie hören und verstehen. Nicht um theologische Richtigkeiten geht es dem unbekannten Autor des Jonabuches – denn selbst die Wirklichkeit hat er mit seinem humoristischen Prophetenmärchen längst hinter sich gelassen – sondern es geht ihm um Einsicht in den unbedingten Vorrang von Gottes Gnade und unserem menschlichen Mitleid. Also nicht Selbstmitleid, davon hat Jona mehr als genug – sondern um die Einsicht in das Leid der anderen, mit der Gott uns und die Welt verändern möchte. Dafür lässt er den Jona weite Wege gehen und uns dabei zusehen.

Nachdem im Irak und in Mosul der IS vertrieben und zumindest annäherungsweise staatliche Ordnung wieder hergestellt ist, bemühen sich auch deutsche Archäologen um die Sicherung der Hinterlassenschaft auch des antiken Ninive, und auch des Palastes, in dem Jona unserer Geschichte nach den assyrischen Herrscher zur Umkehr gerufen haben soll. Eine Erinnerungsstätte an diesem Ort des bei Juden, Christen und Muslimen gleichermaßen erinnerten Propheten wäre nicht das schlechteste Zeichen gegen religiöse Gewalt und für die Resilienz der Religion, die noch auf unwahrscheinlichste Weise – trotzige, ungläubige Propheten – und auf unwahrscheinlichsten Wegen – wer schwimmt schon durch das Meer im Bauch eines Wals? – das Wort von der Gnade Gottes verbreitet: Denn ich wusste, dass du gnädig, barmherzig, langmütig und von großer Güte bist und lässt dich des Übels gereuen. Amen.