16. Sonntag nach Trinitatis, 24. September 2023

Darum werft euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat. Geduld aber habt ihr nötig, auf dass ihr den Willen Gottes tut und das Verheißene empfangt. Denn „nur noch eine kleine Weile, so wird kommen, der da kommen soll, und wird nicht lange ausbleiben. Mein Gerechter aber wird aus Glauben leben. Wenn er aber zurückweicht, hat meine Seele kein Gefallen an ihm“ (Habakuk 2,3-4). Wir aber sind nicht solche, die zurückweichen und verdammt werden, sondern solche, die glauben und die Seele erretten. (Brief an die Hebräer 10,35-39)

„Ruhig-Geduldig“ prangte es auf den leicht überdimensionierten Schildern einer Wiesbadener Fahrschule in den 70er und 80er Jahren, an die sich sicherlich noch manche Ureinwohner erinnern, besonders die, die wie ich, dort ihr Fahrdiplom erwarben. Die Geduld zahlte sich aus, zuerst für den geduldigen Inhaber Manfred Hardel, der lieber noch ein paar mehr Fahrstunden empfahl, wie auch für die zwar teuer aber bestens unterrichteten Fahrstudenten wie mich und doch auch nicht zuletzt für die verkehrsteilnehmende Allgemeinheit. Gerade in unserer schönen Heimatstadt dürfte Geduld die eine Kernkompetenz sein, die ob nun vor der Pförtnerampel oder im dicksten Innenstadtgewühl, nun zwar nicht weiter aber den Alltag bestehen hilft. „Ruhig-Geduldig“ – der Fahrlehrer nicht nur als philosophischer Freund der Weisheit sondern auch als Prophet – ein echter Habakuk.

Geduld ist keine unumstrittene Tugend. Wenn uns einer sagt: „Jetzt gedulden Sie sich, bitte!“ kann das ja auch unseren Unwillen hervorrufen und damit eine vielleicht schon vorhandene Ungeduld noch vergrößern, insbesondere wenn uns der Grund des Aufschubs nicht einleuchtet. Manchmal – das lehrt die Erfahrung – hilft ja gerade nicht Geduld, um zu seinem Recht zu kommen, sondern eher ein energisches Auftreten, klare Forderungen oder gleich selbst die Sache in die Hand zu nehmen. Was natürlich nicht überall möglich ist, da ich mich im Supermarkt nicht selbst abkassieren – zumindest noch nicht überall – und im Wartezimmer schlecht selbst behandeln kann. Aber es gibt sicherlich Fälle, in denen ich nicht geduldig die Lösung meiner Probleme anderen überlassen, sondern selbst angehen sollte. Solche Ungeduld könnte dann sogar für eine Tugend gehalten werden – zum „nützlichen Fehler“ werden – wie sie in schlauen Bewerbungsmanuals empfohlen wird: Wenn nach den eigenen Fehlern gefragt würde, dann sei es hilfreich, sich selbst der Ungeduld zu bezichtigen. Ob das der Einstellungskommission wirklich mehr sagt, als dass der Kandidat die einschlägigen Ratgeber zur Kenntnis genommen hat, sei dahingestellt.

In jedem Fall empfiehlt es sich, genau zu prüfen, zu unterscheiden und zu entscheiden, ob es sich um einen Fall für die Geduld oder für die Ungeduld handelt; ein bisschen so wie in dem Gebet, dass uns immer wieder mal in den Sinn kommt, wenn es um solche Fragen der Geduld, oder des Gehorsams oder der Gelassenheit handeln könnte:

Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Geduld ist also dann gefragt, wenn mein Handeln ohnehin nichts ändert, während sie dann, wenn meine Intervention die Sache voranbringen oder sogar Schaden abwenden könnte, die falsche Wahl wäre. Geduld schließt überdies die Erwartung ein, dass sie sich lohnt: Es besteht die berechtigte Erwartung, dass sich das gewünschte Ergebnis einstellt, und zwar ohne dass ich dazu entscheidend beitragen könnte. Warten in Erwartung: das ist Geduld.

Der heutige Predigttext, ein Abschnitt aus dem Brief an die Hebräer, empfiehlt die Geduld als unverzichtbares Merkmal des Glaubens und beschreibt den Glauben als Warten in der Erwartung des Gottessohnes. Das leuchtet sofort ein. Was könnten wir dazu beitragen, den Himmel zu öffnen und Gott auf die Erde zu ziehen? Absurd! Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht. Was der berühmte Remo Largo ungeduldigen Eltern und Lehrern als pädagogische Wahrheit sagt, stimmt auch theologisch. Nicht wir entscheiden oder beeinflussen auch nur, wann sich Gott zeigt und wann er sein Reich errichtet. Und alle Versuche das menschlicherseits in die Hand zu nehmen oder auch nur zu beschleunigen, müssen fehlschlagen und sind eben auch fehlgeschlagen, meist ziemlich grauslich und blutig. Glauben heißt Geduld, heißt Warten in Erwartung.

Vielleicht ist damit aber noch nicht alles gesagt. Denn auch wenn unser Predigttext des Autors an die Hebräer besonderes Gewicht auf die Bewährung des Glaubens in der Geduld und im Aushalten von Verfolgung und Not legt, so dass er im unmittelbaren Anschluss unserer Stelle den Glauben in einer klassischen Formulierung insgesamt als „eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht“, bezeichnet, in einer Art Grunddogma des Glaubens als Wirklichkeitsverweigerung; wendet der Prophet Habakuk, den der Hebräer hier zitiert und auslegen will, den Blick unmittelbar auf die Wirklichkeit seiner Welt, die sich wenig von der ungerechten Wirklichkeit unserer heutigen Welt unterscheidet: „Der Gerechte aber wird durch seinen Glauben leben. So wird auch der treulose Tyrann keinen Erfolg haben, der stolze Mann nicht bleiben, der seinen Rachen aufsperrt wie das Reich des Todes und ist wie der Tod, der nicht zu sättigen ist. … Weh dem, der sein Gut mehrt mit fremden Gut – wie lange wird’s wären?“ (Habakuk 2,4-6*)

Der Glauben ist wartender und zugleich wachender Glaube; er „sagt, was ist“, und hält das zwar noch nicht für die „revolutionäre Tat“ (Rosa Luxemburg) aber für seine selbstverständliche Aufgabe: also den Fürsten ihre Macht, ihre Taten und Untaten zu spiegeln; ihnen zu sagen, was ist; die von den Mächtigen geschaffene Wirklichkeit abzugleichen mit den Maßstäben der Gerechtigkeit. Warten heißt nicht Stillhalten, Geduld nicht Resignation; sondern heißt die gegenwärtigen Nöte und Bedrängnisse mit der Erwartung einer von Gott bestimmten Zukunft zu konfrontieren – für sich im Herzen und laut für die anderen. Dem „es war schon immer so“ ein „es wird anders werden“ entgegenzusetzen – und dabei doch nicht den eigenen Willen mit dem Willen Gottes zu verwechseln.

Glauben trägt die Geduld, die weiß, dass ihre Stunde kommen wird. Amen.