Palmsonntag, 24. März 2024

Seid so unter euch gesinnt, wie es der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht:
Er, der in göttlicher Gestalt war,
hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein,
sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an,
ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.
Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.
Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.
(Brief des Paulus an die Philipper 2, 5-11)

Zitate sind Glückssache: So schmückt die Kuppel des wieder aufgebauten Berliner Stadtschlosses ein Spruchband mit folgendem, die Bibel zitierenden Text: „Es ist in keinem anderen Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn in dem Namen Jesu, zu Ehre Gottes des Vaters. Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.“

Wie wir gerade gehört haben stammt der zweite Teil des Spruchs aus unserem Predigttext, diesem kleinen Stückchen aus dem Philipperbrief über den Weg des Gottessohnes in das Leiden und Mitleiden mit uns Menschen hinab. Dieses Pauluszitat über Machtverzicht und Selbsterniedrigung wird in den immer mal wieder aufflammenden Debatten über Rechtmäßigkeit und Symbolwert dieses Schlosses der Preußenkönige diskutiert.

Erst in der vergangenen Woche überschlugen sich wieder die Schlagzeilen darüber, als nämlich – Sie haben es in der Zeitung gelesen – acht Prophetenfiguren: Jesaja, Hosea, Zephania, Zacharias, Jonas, Daniel, Jeremias, Hesekiel auf das selbige Dach gehievt wurden, um dieses wie das erwähnte Spruchband zu schmücken. Während sich die einen über den wiederaufgebauten Touristenmagnet und insgesamt doch ziemlich ansehnlichen Hingucker in ihrer sonst nicht gerade durch Schönheit auffallenden Stadt freuen, kritisieren andere hart den Zierrat auf dem Dach des Schlosses und poltern: „Man muss inzwischen von einer bewussten fundamental-christlichen Unterwanderung des Stadtschlosses ausgehen, die sich bestens in die islamophoben Tendenzen der Zeit einfügt.“ (in einer Pressemitteilung der „Schlosskritiker“ Oswalt und Zimmerer, zitiert nach berliner-zeitung.de vom 19.3.2024) Für meinen Geschmack schießt diese unfreiwillig komische Kritik angesichts von acht Propheten des Alten Israel, die zuerst von Juden, erst viel später von Christen gehört und überdies weithin im Islam verehrt und teils sogar im Koran als Vorbild gelobt und empfohlen werden, deutlich über das Ziel hinaus: Zitate sind Glückssache, aber ihre Kritik eben manchmal auch.

Übrigens ist der auf dem Berliner Schlossdach zitierte Bibelvers nach Meinung der Gelehrten ebenfalls schon ein Zitat, als Schlussvers eines frommen Liedes der ersten Christen, das der Apostel Paulus hier zitiert – um die christliche Ethik des Verzichts, der Selbstbeschränkung, der Rücksichtnahme und des freiwilligen Ablegens von Privilegien am Geschick Jesu zu illustrieren.

Nach christlichem Glauben hätte es sich der Gottessohn gewiss gemütlicher machen können, eben zur Rechten Gottes sitzend, dort bleibend und alle Vorrechte seines göttlichen Geblüts genießend.

Das hat er nicht gemacht. Er hat nicht an seinem göttlichen Vorrecht wie an einem durch Raub erlangten Besitz festgehalten, Gottes Sohn zu sein und zu bleiben. Sondern er ist als erster Diener der Menschheit selbst Mensch geworden unter Verzicht auf seine göttlichen Vorrechte. Um es mit den Worten unseres Praktikanten Mattis Krauth zu sagen: „Obwohl Jesus alle Möglichkeiten hatte, die einem Gott zur Verfügung stehen, hat er darauf verzichtet, diese Möglichkeiten auch voll auszuschöpfen, d.h. er hat alle seine Rechte aufgegeben.“

Das ist ein unerhörter Gedanke, dass der Gottessohn, also Gott selbst auf seine Göttlichkeit verzichtet, mehr noch: auf sein Leben verzichtet und gleich wie wir Menschen stirbt; mehr noch: den schmählichsten, qualvollsten Tod, den sich die Folterer und Totschläger des alten Rom ausdenken konnten, auf sich nimmt: den Tod am Kreuz.

Mit dem Kreuz als Fluchtpunkt liest sich die Passionsgeschichte, insbesondere die Geschichte der heute beginnenden Karwoche als Geschichte der freiwilligen Entäußerung und der Selbsterniedrigung: Der Einzug des Gottessohnes als Bettlerkönig des gemeinen Volkes auf einem Esel; die Fußwaschung als Demutsgeste; schließlich die Duldung von Verleugnung, Verrat und Gewalt. Am Ende hängt Gott nackt, aller Rechte und Werte entkleidet, seiner Würde entblößt am Kreuz. Der, der ganz oben sein sollte, ganz unten; der Hohe ganz niedrig; der Allmächtige machtlos; der Gerechte rechtlos; der das Leben schuf, tot.

Und das soll nun uns – die wir es schon als Zumutung empfinden, einem anderen Vorfahrt zu gewähren, oder an der Tür Vortritt zu lassen – Beispiel und Vorbild sein? Verzichten auf unser gutes Recht? Verzichten auf das bisschen Macht, das wir haben? Abschied vom Grundrecht der Autonomie? Ohne Selbstbehauptung, ohne Selbstbestimmung leben? Statt sich nichts gefallen lassen – alles gefallen lassen? Wie soll das gehen in einer wie schon immer aggressiven Welt, in der der Frömmste nicht im Frieden leben kann, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.

Ausdrücklich geht es dem Paulus hier in seiner Empfehlung – oder ist es eine Forderung? – zunächst um die Gesinnung der Christenmenschen untereinander, um die Gemeinschaft in der Gemeinde, die Verfassung der Kirche – und ganz bestimmt auch um die Beratungen zwischen den Gemeinden, wie wir sie jetzt im schnellen Takt mit unseren Nachbarn führen, um in den nächsten Jahren eine neue Gestalt für unsere Kirche zu finden. Wenigstens das Miteinander der Christen soll – laut Paulus, laut Christus – nicht als Machtfrage behandelt oder als Rechtsbeziehung betrachtet werden. Sondern: Der Stärkere hat was davon, wenn er dem Schwächeren Platz macht.

Und wie ist es nun mit dem preußischen König und dem Spruchband auf seinem Schloss? Wie eigentlich meistens kompliziert – und jedenfalls komplizierter als es seine Ankläger und auch seine Verteidiger wollen. Einerseits kann das Bibelwort schwerlich als Ausdruck eines chauvinistischen Machtanspruchs gedeutet werden, wenn es doch ganz im Gegenteil den größten denkbaren Machtverzicht zum Ausdruck bringt. Andererseits lässt sich kaum von Hand weisen, dass die preußischen Könige, deren berühmtester sich selbst als erster Diener seines Staates bezeichnete und gleichzeitig reine Machtpolitik betreiben konnte, wenig dafür taten, dieses Wort mit Leben zu erfüllen. Was vielleicht auch zu viel verlangt wäre, wenn noch der beste König zur Verwirklichung des Rechts auch die Macht dazu haben muss.

Deshalb gibt es die Propheten, die ja jetzt wieder steinern neben unserem Bibelvers auf dem Schlossdach stehen und deren vornehmste Aufgabe das Wächteramt gegenüber den Königen war und ist. Die königskritischen Texte eines Jesaja, Jeremia oder Hosea gehören jedenfalls zum Radikalsten, das sich die Mächtigen aller Zeiten anhören mussten. Sie haben gewusst und laut verkündet, dass Macht nicht als Raub betrachtet und Recht nicht als Vorrecht missbraucht werden soll. Amen.