HERR, du hast mich überredet, und ich habe mich überreden lassen. Du bist mir zu stark gewesen und hast gewonnen; aber ich bin darüber zum Spott geworden täglich, und jedermann verlacht mich.
Denn sooft ich rede, muss ich schreien; »Frevel und Gewalt!« muss ich rufen. Denn des HERRN Wort ist mir zu Hohn und Spott geworden täglich.
Da dachte ich: Ich will nicht mehr an ihn denken und nicht mehr in seinem Namen predigen. Aber es ward in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer, in meinen Gebeinen verschlossen, dass ich’s nicht ertragen konnte; ich wäre schier vergangen.
Denn ich höre, wie viele heimlich reden: »Schrecken ist um und um!« »Verklagt ihn!« »Wir wollen ihn verklagen!« Alle meine Freunde und Gesellen lauern, ob ich nicht falle: »Vielleicht lässt er sich überlisten, dass wir ihm beikommen können und uns an ihm rächen.«
Aber der HERR ist bei mir wie ein starker Held, darum werden meine Verfolger fallen und nicht gewinnen. (Buch des Propheten Jeremia 20)
Liebe Gemeinde,
von der Last des prophetischen Amtes ist hier beim Propheten Jeremias die Rede – und soll also heute die Rede sein. Von den Widrigkeiten der öffentlichen Wortverkündigung, von den Widerständen, die ein Knecht Gottes erfährt. So schwer kann die Last werden, dass die Füße nicht mehr gehen wollen, die Stimme bricht, der Rücken sich krümmt. Das Amt zu schwer wird – vielleicht von Anfang an zu schwer war.
In diesem Jahr 2025, erinnern wir uns an ein Geschehen vor 500 Jahren, wenn ich richtig rechne also 1525, das trotz mancher Versuche der Umbenennung immer noch Bauernkrieg heißt, und aus guten Gründen so heißt: Bauernkrieg. In diesem – noch aus der zeitlichen Ferne vielfach herzzerreißenden Geschehen von Aufruhr und Unterdrückung, Gewalt und Gegengewalt, von ungeheuren Opfern, von 100.000 Toten ist zu reden; erheben auch Geistliche, Diener Gottes, Propheten die Stimme; besonders laut, bisweilen schrill Thomas Müntzer.
„Darum seid getrost und tut Gott den Dienst und vertilget diese untüchtige Oberkeit. Dann was hilfts, ob wir schon Frieden machten mit ihnen, denn sie wollen doch fortfahren, uns nicht freilassen, treiben uns zu Abgötterei. Nun seind wir schuldig, lieber zu sterben, denn in ihr Abgötterei zu verwilligen. Es were je besser, daß wir Merterer wurden, dann daß wir leiden, daß uns das Evangelium entzogen werd und wir zu der Pfaffen Mißbrauche gedrungen werden. Darüber weiß ich gewißlich, daß Gott uns helfen würd und uns Sieg geben, denn er hat mir mündlich solches zugesagt und befohlen, daß ich alle Stend soll reformieren. …
Laßt euch nicht erschrecken das schwach Fleisch und greift die Feind kühnlich an, dörft das Geschütz nit förchten, dann ihr sollt sehen, daß ich alle Büchsenstein in Ärmel fassen will, die sie gegen uns schießen. Ja ihr sehent, daß Gott auf unser Seiten ist, denn er gibt uns jetzund ein Zeichen. Sehent ihr nicht den Regenbogen am Himmel? Der bedeut, daß Gott uns, die wir den Regenbogen im Banner führen, helfen will und dreuet den mördrischen Fürsten Gericht und Strafe. Darum seind unerschrocken und tröstet euch göttlicher Hilf und stellt euch zu Wehre. Es will Gott nicht, daß ihr Fried mit den gottlosen Fürsten machet.“ (Letzte Predigt Müntzers vor der Schlacht bei Frankenhausen 15. Mai 1525)
Thomas Müntzer von Allstedt am Harz, Reformator der ersten Stunde, Wegbereiter der evangelischen Lehre, Autor der ersten Gottesdienstordnung in deutscher Sprache, Dichter geistlicher Lieder, deren einziges, das noch im Gesangbuch steht, wir heute gesungen haben; aber auch unruhiger mit unstetem Leben, Wanderer am – wie er es sah – Ende der Zeiten, Getriebener des Geistes, wobei nicht immer klar war, ob das ein heiliger war; Vertriebener aus eigentlich allen Orten und Ämtern und am Ende, nachdem er durch seine letzte, fanatische Predigt die Aufständischen in Frankenhausen in Schlacht und Tod gesendet hat, selbst grausam gefoltert und ermordet durch die Knechte der Fürsten; Opfer seines Eifers, der Verhältnisse, der grausamen Rache einer unbarmherzigen Obrigkeit; durch das Schwert umgekommen, das er selbst in die Hand genommen hat.
An ihm, dem Propheten, der sich verlaufen hat, wird in völlig übertriebener, geradezu karikaturhafter Weise sichtbar und unübersehbar deutlich, was das ist, ein geistliches Amt;
was er zu tragen hat: ein Gottesmann; was er auszuhalten genötigt wird als Stimme Gottes. Viel mehr jedenfalls, als jemand, als ein Mensch aushalten und tragen kann. Und das nicht nur wegen der unerträglichen Verzerrung des Amtes, die er selbst vollzieht; sondern weil das geistliche Amt immer schon und von sich eine Überforderung, eine Überdehnung, eine Verzerrung in sich trägt; strukturell sozusagen, unausweichlich; das gehört zum Amt dazu. Denn: als gottloser Sünder soll ich Gott verkündigen; aus jenseitiger Ferne von Gottes Nähe sprechen; als Mensch Gott loben. Wie soll das gehen?
Ich, gottloser Sünder, will Gott loben: Das formuliert den Auftrag und zugleich den Zwiespalt des geistlichen Amtes, von dem auch Jeremias spricht und unter dem er leidet. Von der Gottlosigkeit der Menschen, seiner selbst natürlich auch, und der Gottheit Gottes soll er sprechen. Das Prophetenamt benennt eine unmögliche Möglichkeit. Wie könnte er daran nicht zerbrechen?
Von keinem anderen Propheten überliefert die Bibel eine so ergreifende Leidensgeschichte. Weich wie grüner Weizen fühlt sich Jeremia seiner frühen Berufung nicht gewachsen. Der prophetische Auftrag quält Jeremia und macht sein Herz krank. Was Gott ihm zumutet, empfindet Jeremia als bewusste Täuschung. Jeremia muss Israel den Untergang verkündigen und darf noch nicht einmal beten für sein Volk. Dafür wird Jeremia gehasst, verfolgt, eingesperrt, gefoltert, tödlich bedroht. Etwa 40 Jahre ist Jeremia mit Worten, Schrift, Aktionen und seiner gesamten Existenz der Mund Gottes. Dabei lässt Jeremia auch seine eigene Stimme, sein heulen hören. Eindrücklich ist sein inneres und äußeres Leiden dokumentiert. In direkter Fortsetzung unseres Predigttextes klagt Jeremia sein Leid, verflucht sein Leben:
Verflucht sei der Tag, an dem ich geboren bin; der Tag soll ungesegnet sein, an dem mich meine Mutter geboren hat!
Verflucht sei, der meinem Vater gute Botschaft brachte und sprach: »Du hast einen Sohn«, so daß er ihn fröhlich machte!
Der Tag soll sein wie die Städte, die der HERR vernichtet hat ohne Erbarmen. Am Morgen soll er Wehklage hören und am Mittag Kriegsgeschrei,
weil er mich nicht getötet hat im Mutterleibe, so daß meine Mutter mein Grab geworden und ihr Leib ewig schwanger geblieben wäre!
Warum bin ich doch aus dem Mutterleib hervorgekommen, wenn ich nur Jammer und Herzeleid sehen muß und meine Tage in Schmach zubringe!
Auch in Jeremia, seinem beinahe nihilistischen Ausbruch zeigt sich – übertreibend, vergrößernd und vergröbernd – der Riss, der Zwiespalt dessen, der Gott verkündigt: Ich, gottloser Sünder, will Gott loben. Wie soll das gehen?
Es geht nicht von mir aus, nicht aus eigener Kraft, nicht aus eigener Macht und Herrlichkeit. Kein Prophet kann selbst für seine Worte einstehen. Kein Prophetisches Leben die eigene Lehre beglaubigen. Wir können unsere Botschaft nicht durch uns selbst, nicht durch unser eigenes Leben wahr machen, nicht durch ein gottgefälliges Leben – und Gott sei dank, auch nicht unwahr machen durch unsere Verfehlungen. Nur Gott selbst kann unsere Worte beglaubigen, sie wahr machen. Nur Gott selbst kann den Riss heilen, den Zwiespalt, den garstigen Graben zwischen dem gottlosen Sünder und seinem heiligen Wort überbrücken.
Damit bleibt das prophetische Projekt notwendig unabgeschlossen; auch 40 Jahre Dienst im Auftrag des Herrn reichen nicht; Jeremia und seine Prophetengenossen können ihr Werk nicht vollenden, in alle Ewigkeit nicht. Aber sie können sagen und darauf hinweisen, was uns Menschen zum vollständig sein fehlt. Sie können ausrufen und deutlich machen, was uns heil macht. Sie können in Worten und Taten erklären, wer uns heiligt, ohne uns dabei zu Heiligen zu machen: Gott selbst nämlich, der zu uns kommt, der unser Leben und unser Leiden teilt, der sich selbst unter die verfolgten Propheten reiht.
Wenn die Propheten das hinbekommen, dass sie nicht sich selbst lehren, sondern den, der sie beauftragt, bekommt ihr schwieriges Geschäft einen Sinn. Wenn sie von sich selbst weg und auf Gott hinweisen. Wenn ihre Fehlbarkeit und ihre Sündhaftigkeit also kein Makel, sondern geradezu notwendige Bedingung ihrer Botschaft ist. Nicht ich bin der starke Held – sondern wie Jeremias sagt: der Herr ist bei mir wie ein starker Held. Nicht um mich geht es – sondern um den, von dem ich spreche. Nicht um meine angeblich bessere Gerechtigkeit, sondern allein um die gerechtmachende Gerechtigkeit Gottes. Mein Ungenügen ist die glückliche Schuld, die den Glauben an den Gott stiftet, der den Gottlosen aufhebt und zu sich nimmt. Kyrie Eleison – Herr erbarme dich – das ist der Ruf des begnadeten, gerechtfertigten Sünders.
Uns aber bleibt die prophetische Botschaft, dass nicht meine Schwäche zählt, sondern Gottes Stärke mein Leben heil macht: Der HERR ist bei mir wie ein starker Held. Amen.
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.