Pfingsten, 28. Mai 2023

Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, damit wir wissen, was uns von Gott geschenkt ist. Und davon reden wir auch nicht mit Worten, welche menschliche Weisheit lehren kann, sondern mit Worten, die der Geist lehrt, und deuten geistliche Dinge für geistliche Menschen. Der natürliche Mensch aber nimmt nicht an, was vom Geist Gottes ist; es ist ihm eine Torheit und er kann es nicht erkennen; denn es muss geistlich beurteilt werden. Der geistliche Mensch aber beurteilt alles und wird doch selber von niemandem beurteilt. Denn „wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer will ihn unterweisen“? (Jesaja 40,13) Wir aber haben Christi Sinn.
(1. Brief des Paulus an die Korinther 2,12-16)

Wer sich – wie Paulus und in seinem Gefolge – auf Gottes Geist, höhere Wahrheit oder tiefere Weisheit beruft, kann im Meinungsstreit nicht mit Rabatt rechnen, konnte er noch nie. Sonderoffenbarungen begründen keine Sonderrechte einzelner oder einzelner Gruppen. Weder war es jüngst in der Coronapandemie, noch ist es gerade in der Klimadebatte rechtens oder zielführend die eigene Meinung zu überhöhen und höhere Rechte aus ihr abzuleiten. Schon allein die Verwechslung von eigener Meinung mit geprüftem, überprüfbarem Wissen und die folgende Flucht in Meinungskorridore und in die Echokammern der eigenen Überzeugungen bedrohen die Suche nach Wahrheit. Nur gemeinsame, mitteilbare Erkenntnis aber verdient Wahrheit genannt zu werden.

Das hat schon der Apostel Paulus zu spüren bekommen, der sich an seinen Gegnern in Korinth die Zähne ausgebissen hat und sehr wohl von ihnen beurteilt – und eben nicht zu seinem Vorteil beurteilt – wurde: Seine Aussage – Der geistliche Mensch aber beurteilt alles und wird doch selber von niemandem beurteilt – hat sich an ihm selbst jedenfalls nicht bewahrheitet. Und das muss man noch nicht einmal bedauern, sondern – im Gegenteil – haben wir ihm die Missverständlichkeit seiner Bemerkungen zu kritisieren. Denn mit ihnen und damit mit dem Apostel Paulus kann man ganz prima der Selbstimmunisierung der Religion das Wort reden. Muss man das auch? Geistbesitz als Anmaßung, Glauben als Abschottung gegenüber der Welt, Glaubensgemeinschaft als Parallelgesellschaft – muss man Paulus so verstehen?

„Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“ (2. Korinther 3,17), sagt Paulus an anderer Stelle, ebenfalls an die Korinther gerichtet, und nicht unbedingt geeignet die Sache unmittelbar besser zu machen. Denn so wie wir gegenwärtig – und im Zusammenhang der genannten gesellschaftlichen Debatten – immer wieder auf eine Verwahrlosung des Freiheitsbegriffs treffen – Freiheit als Willkürfreiheit, Freiheit als Wolfsfreiheit und Recht des Stärkeren, Freiheit als Bindungslosigkeit, Freiheit als Verantwortungslosigkeit, also insgesamt die völlige Verkehrung von Freiheit als Knechtschaft unter eine abstrakte und absolute Autonomie des natürlichen Menschen; so vermeidet auch Paulus im Kontext seines schönen Freiheitswortes nicht, zumindest höchst missverständlich und beinahe denunziatorisch, seine jüdische Herkunftsreligion als Gegenbegriff der Freiheit zu charakterisieren

und mit seiner Kritik an Mose den Inbegriff der Befreiung, den von Mose geführten Auszug aus Ägypten, zu verfehlen; und das, obwohl sein „Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“, in Wahrheit nichts anderes ist, als die Anwendung des von Israel unter Mose erfahrenen und entdeckten Begriffs Gottes als des Befreiers: „Gott schenkt Freiheit, seine größte Gabe gibt er seinen Kindern“ (EG 360), wie wir es im Kirchenlied singen. Gott befreit.

Diese Befreiung durch Gott, genauer und pfingstlich: durch Gottes Geist, ist aber keine Befreiung aus der Welt hinaus oder gegen die Welt, wie es die Worte des Paulus zu meinen scheinen, sondern eine Befreiung für die Welt und in die Welt hinein. Keine „Entweltlichung“, wie es der ehemalige Papst Benedikt – Gott hab ihn selig! – für die Kirche forderte. Der Geist Gottes schafft kein Ghetto des Glaubens, er errichtet keine religiöse Gegenwelt – und, wo wir gerade dabei sind, er baut schon gar keine spirituelle Sonderwelt des esoterischen Humbugs, wie sie uns die falschen Freunde der Spiritualität mit ihren Glöckchen, Düften und Zaubersteinchen verkaufen wollen.

Anders als an unserer recht missverständlichen Stelle bemüht sich Paulus gerade in der Auseinandersetzung mit den Korinthern, die wir uns nach Auskunft der Historiker als spirituelle Leistungssportler zu denken haben, um eine vernünftige, auch weltlich verständliche Einschätzung der Geistwirkungen, geradezu um eine Rationalisierung des Geistdiskurses.

Es geht ihm um Verständlichkeit und Verlässlichkeit – also doch „Weltlichkeit“ – wenn er sagt, dass die Rede im und aus dem Geist Gottes in menschlich vernünftige Sprache zu übersetzen und die Wirkungen des Geistes als dem Aufbau der in der Welt stehenden Gemeinde dienende zu überprüfen sind. Geist schafft nicht Ghetto abseits von der Welt, sondern Geist schafft Gemeinde in der Welt und für die Welt.

Andererseits – und daran steht er eben doch gegen die Welt – sagt der Geist auch nicht einfach das, was wir uns selbst im Zustand des natürlichen Menschen sagen könnten: Und davon reden wir auch nicht mit Worten, welche menschliche Weisheit lehren kann, sondern mit Worten, die der Geist lehrt, und deuten geistliche Dinge – nun gerade nicht nur – für geistliche Menschen, sondern zuerst für den – wie Paulus sagt – natürlichen Menschen, der wir doch selbst waren und obwohl vom Geist angesprochen dennoch bis auf weiteres auch bleiben!

Die Mahnung des Paulus, sich nicht dem Schema dieser Welt anzupassen – „Und stellt euch nicht der Welt gleich, sondert ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes“ (Römer 12,2), ist kein Selbstzweck und schon gar kein Aufruf für den Rückzug ins Ghetto, sondern die Voraussetzung dafür, für die Welt – um Gottes und seines Geistes Willen – interessant zu sein, oder erst zu werden. Das, was wir uns nicht selbst sagen können, sollen wir der Welt sagen, die sich das ebenfalls nicht selbst sagen kann. Und selbstverständlich haben wir dabei als Christen, die aus dem Geist leben, sich dem Urteil der Welt zu stellen, wie denn nicht?

In diesem Sinne wäre auch der Begriff „Querdenker“ wieder zu Ehren zu bringen, um ihn nicht den Unbelehrbaren und Böswilligen zu überlassen, die ja gerade in Reinform und geradezu als Karikatur Torheit und Idiotie des geistlosen Menschen an sich zeigen: Der natürliche Mensch aber nimmt nicht an, was vom Geist Gottes ist; es ist ihm eine Torheit und er kann es nicht erkennen. Demgegenüber denkt und spricht der von Gottes Geist erfüllte Mensch wahrhaft „quer“ zur queren Welt, um sie gerade zu machen. Und das heißt: zu befreien.

„Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“: Freiheit in diesem Sinne – also im Geist und durch den Geist – ist immer Befreiung, also immer Geschehen und nicht Zustand. Damit trägt der paulinische Freiheitsbegriff der Beobachtung Rechnung, dass jede Befreiung Zustände schafft, die neuerlich und immer so weiter Befreiung erfordern. Das könnte man an jedem historischen oder persönlichen Ereignis der Befreiung zeigen, wie etwa dem Großereignis der Befreiung meiner Generation, dem Fall der Berliner Mauer und dem Zusammenbruch des Sowjetsystems. Dass dadurch Zustände geschaffen wurden, die neuerlich auf Befreiung zielen und sie erfordern, ist kein Mangel, der zu bemäkeln wäre, sondern schlichtes Wesensmerkmal einer Befreiung, die zu neuen Befreiungen bewegt.

In solchen Befreiungen in der wirklichen Welt dürfen wir als Glaubende im Gegensatz zum natürlichen Menschen das Wirken des Geistes Gottes erkennen. Die von Gottes Geist geschenkte Freiheit hat Wirkungen und zielt weit über die Gemeinden der Glaubenden hinaus. Nicht auf Freiheit von der Welt, sondern zur Befreiung in der Welt zielt Gottes Geist. Denn: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit“ (Galater 5,1)