Silvester 2024

Hört mir zu, die ihr der Gerechtigkeit nachjagt, die ihr den Herrn sucht: Schaut den Fels an, aus dem ihr gehauen seid, und des Brunnens Schacht, aus dem ihr gegraben seid. Schaut Abraham an, euren Vater, und Sara, von der ihr geboren seid. Denn als einen Einzelnen berief ich ihn, um ihn zu segnen und zu mehren. Ja, der Herr tröstet Zion, er tröstet alle ihre Trümmer und macht ihre Wüste wie Eden und ihr dürres Land wie den Garten des Herrn, dass man Wonne und Freude darin findet, Dank und Lobgesang.

Merke auf mich, mein Volk, hört mich, meine Leute! Denn Weisung wird von mir ausgehen, und mein Recht will ich gar bald zum Licht der Völker machen. Denn meine Gerechtigkeit ist nahe, mein Heil tritt hervor, und meine Arme werden die Völker richten. Die Inseln harren auf mich und warten auf meinen Arm. Hebt eure Augen auf gen Himmel und schaut unten auf die Erde! Denn der Himmel wird wie ein Rauch vergehen und die Erde wie ein Kleid zerfallen, und die darauf wohnen, werden wie Mücken dahinsterben. Aber mein Heil bleibt ewiglich, und meine Gerechtigkeit wird nicht zerbrechen.

Hört mir zu, die ihr die Gerechtigkeit kennt, du Volk, in dessen Herzen mein Gesetz ist! Fürchtet euch nicht, wenn euch die Leute schmähen, und entsetzt euch nicht, wenn sie euch verhöhnen! Denn die Motten werden sie fressen wie ein Kleid, und Würmer werden sie fressen wie ein wollenes Tuch. Aber meine Gerechtigkeit bleibt ewiglich und mein Heil für und für. (Buch des Propheten Jesaja 51, 1-8)

Hört zu, schaut an, schaut an, merke auf, hört, hebt eure Augen auf, schaut auf, hört zu!

Da will einer gehört, da will einer gesehen werden. Da macht einer auf sich aufmerksam. Aufmerksamkeit ist ein teures Gut. Das wird der erlebt haben, der so spricht, dass so schnell nichts unsere Panzer des Selbstinteresses und die Mauern unserer Aufmerksamkeitsdefizite durchdringt. Was könnte auch interessanter sein als ich selbst? „Nichts dringt in mein Gehirn. Meine Reflexe sind zu schnell.“ Sagt ein galaktischer Superheld auf seine entwaffnend dämliche und himmelschreiend komische Art: „Nichts dringt in mein Gehirn. Meine Reflexe sind zu schnell.“ (Drax aus den Guardians of the Galaxy)

Kollektives ADS gehört zur Diagnose unserer Zeit: Kollektives Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom allerdings bei gleichzeitiger maximaler Beschallung durch Aufmerksamkeitserreger. Die technischen Möglichkeiten, Aufmerksamkeit zu erregen, versuchen mit den Steigerungen unserer Aufmerksamkeitsdefizite Schritt zu halten, ohne große Aussicht auf Erfolg. Selbst millionenfache Gefolgschaft in den sogenannten sozialen Medien verschafft nur eine Form von vermeintlicher Aufmerksamkeit, die eigentliche Aufmerksamkeit, also Teilnahme, Anteilnahme vermeidet, verhindert. Die Filter fehlen, oder es sind die falschen. Die tatsächliche Gegenwart dringt nicht in unser Gehirn vor. Klassisch ist das Bild der Gruppe im Lokal, die alle ihr Telefon in der Hand haben, alle sprechen, ohne miteinander zu sprechen.

Hört zu, schaut an, schaut an, merke auf, hört, hebt eure Augen auf, schaut auf, hört zu!

Wenn man den Prognosen glaubt – aber es reicht ja schon den eigenen Augen zu trauen! – werden es immer weniger und immer weniger werden – jedenfalls bei uns – die dem Aufmerksamkeit schenken, der da ruft. Er scheint es gewohnt zu sein, dass ihm niemand zuhört, ihm niemand glaubt. Egal ist es ihm gleichwohl nicht. Gott schafft sich seine Wege, seine Kanäle der Kommunikation. Und es sollen schon welche auf ihn aufmerksam geworden sein auf dem Wege der sogenannten sozialen Medien. Warum denn nicht? Seine Wege sind unerforschlich, er liebt das Paradox, in ihm treffen sich die Gegensätze und sein Geheimnis offenbart er gerne einmal unter dem Gegenteil. „Nichts ist so groß, Gott ist noch größer. Nichts ist so klein, Gott ist noch kleiner.“ Warum sollte er nicht auch durch das Internet, diesem unwahrscheinlichsten Ort der Gottesrede zu uns hindurchschlupfen?

Lasst uns das Unwahrscheinliche tun, und heute auf ihn hören! Schaut den Fels an, aus dem ihr gehauen seid, und des Brunnens Schacht, aus dem ihr gegraben seid. Was macht uns zu Menschen? Was macht unsere Menschlichkeit aus? Aus welchem Holz sind wir geschnitzt? Krummes Holz, aufrechter Gang. Aufrecht mögen auch die Pinguine gehen, aber sich den aufrechten Gang als das wesentlich Menschliche zu denken, können nur Menschen. Auf dem Boden bleiben und doch nach oben sehen. Manchmal muss man einen Schritt zurückgehen, um den Ort zu sehen, zu erkennen, auf dem man steht. Und nicht jeder Fortschritt ist zu empfehlen, sagt der Mensch, der in den Abgrund blickt.

Hebt eure Augen auf gen Himmel und schaut unten auf die Erde! Denn der Himmel wird wie ein Rauch vergehen und die Erde wie ein Kleid zerfallen, und die darauf wohnen, werden wie Mücken dahinsterben. Was man für eine Reportage aus den Kriegsgebieten und den Katastrophenlagen unserer Gegenwart halten kann, soll keineswegs Zukunft beschreiben. Solche Prophezeiungen werden nicht gemacht, um die Zukunft anzusagen, sondern um sie zu verändern. So wie beschrieben soll es gerade nicht werden. Und damit es so nicht wird, müssen wir uns ändern, umkehren, unsere Wege verlassen, neue finden. Dabei Irrtümer in Kauf nehmen, Verwirrung riskieren. Aber ohne zu vergessen, wer wir sind.

Fürchtet euch nicht, wenn euch die Leute schmähen, und entsetzt euch nicht, wenn sie euch verhöhnen! Denn die Motten werden sie fressen wie ein Kleid, und Würmer werden sie fressen wie ein wollenes Tuch. Die neuen Lautsprecher in Politik und Gesellschaft, im Netz allüberall, die Schmäher und Verhöhner, klingen noch in dem Moment, in dem sie das herausplärren, was sie für Neuigkeiten halten, älter als ihre eigenen Großeltern. Es mag unvornehm sein, den Ewiggestrigen Würmer und Mottenfraß zu wünschen, unfromm ist es ausweislich unseres Propheten nicht. Ihr Verfallsdatum ist längst abgelaufen. Sie haben das bloß noch nicht gemerkt.

Und woher wissen wir das? Was gibt uns Gewissheit, dass es zwar schlimm kommen aber nicht schlimm bleiben wird? Auf Selbstheilungskräfte zu vertrauen, erscheint mir etwas leichtsinnig in einer multimorbiden Welt: Umwelt, Klima, Demokratie, Wohlstand, internationale Beziehungen, Frieden – werden nicht von allein heilen; werden nicht in einem Akt magischen Denkens einfach gut werden; werden sich nicht gutwünschen lassen. Obwohl es natürlich hilft, sich die Dinge gut und nicht etwa schlecht zu wünschen, wie es die Mächte des Bösen wohl tun. Noch kleinste Schritte – baby steps – zu Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung – wie es zu einer anderen Zeit und in einem anderen Leben hieß, aber auch nur gerade mal vierzig Jahre her so hieß – sind nötig, um den großen Schritt – vom Abgrund weg – zu tun. Was ein kleiner Schritt für mich wäre, könnte ein großer für die Menschheit sein.

Und dann brauchen unsere realen Veränderungen allerdings sehr wohl den Glauben, dass sie nicht vergeblich sein müssen, sondern gelingen können. Veränderungen gehen davon aus, dass sie sich lohnen. Umkehr braucht einen Ort wohin. Deshalb geht die Bibel davon aus, dass Gott alles gut gemacht hat und alles gut machen will und dass sich gute Taten lohnen. Dass ein moralisches Universum sei, ist die große Hypothese des biblischen Glaubens. Dafür will der Prophet unsere Aufmerksamkeit.

Hört zu, schaut an, schaut an, merke auf, hört, hebt eure Augen auf, schaut auf, hört zu!

Worauf? Darauf, dass Ja, dass der Herr Zion tröstet, er tröstet alle ihre Trümmer und macht ihre Wüste wie Eden und ihr dürres Land wie den Garten des Herrn, dass man Wonne und Freude darin findet, Dank und Lobgesang.

Und warum? Darum und trotz allem, weil Gott spricht und es so meint: Aber mein Heil bleibt ewiglich, und meine Gerechtigkeit wird nicht zerbrechen.

Aber meine Gerechtigkeit bleibt ewiglich und mein Heil für und für. Amen.