Befiehl du deine Wege und was dein Herze kränkt der allertreusten Pflege des, der den Himmel lenkt. Der Wolken, Wind und Regen gibt Wege, Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann. (Paul Gerhardt, Evangelisches Gesangbuch 361)
Unsere Spaziergänge, unsere Wanderungen, unsere Ausflüge, unsere Reisen – da steht jetzt wieder einiges an – sind alle mehr, als was sie zunächst scheinen: Zerstreuung, Erholung, Entdeckung, Bildung bestimmt – aber darüber hinaus auch noch Sinnbild für unser Leben. Das ist in Bewegung. Noch das ruhigste, scheinbar gleichförmigste, stabilste, an ein und demselben Ort verbrachte, mönchischste Leben (die Mönche sprachen von der stabilitas loci) – noch ein solches Leben ist im eigentlichen Sinne bewegt zu nennen. Unser Heidelberger Frisör erzählte uns bei jedem Besuch, dass er niemals in seinem Leben aus dem Neckartal herausgekommen sei (ob das wirklich gestimmt hat?). Und er erzählte es mit einem gewissen Stolz, denn er meinte, dass es kaum irgendwo schöner sei und sein könnte und damit hat er ja recht. Noch sein ziemlich ruhiges Leben ist bewegt, denn es durchläuft ja wie jedes die Lebensalter, durcheilt die Lebensphasen, rast mit der Zeit, in der es gelebt wird. (Ob er – der Frisör – noch lebt?) Und deshalb sagt und zeichnet eine Reise etwas über unser Leben.
Ein Ziel ist nötig, ein Weg wird gesucht, Begleitung willkommen: Wohin, wie, mit wem will ich reisen: Berge oder Meer, Städte oder Strand, Übersee oder Ostsee, wo alle anderen sind oder wo niemand ist (das kann schwer werden), wo wir schon immer oder wo wir noch niemals waren. Reisen hat ja auch etwas Spielerisches, neue Reise, neues Glück, neues Ziel. Das Ziel kann verloren gehen. Wohin und zu welchem Zweck bin ich eigentlich unterwegs? Meistens dürfte die Rückkehr nach Hause, der Wiedereintritt in unser altes Leben das eigentliche Ziel sein. Aber mit etwas Glück haben wir vorher auf der Reise erlebt, dass sich Wege gefunden und neue Ziele gezeigt haben. In den meisten Fällen werden wir das dann nicht dem zuschreiben, der Wolken, Wind und Regen Wege, Lauf und Bahn gibt. Wir scheinen da Möglichkeiten unseres Glaubens nicht zu nutzen.
Aber genau dazu lädt uns der Dichter Paul Gerhardt mit seinem Lied ein: Dass wir uns und unsere Wege dem Gott anvertrauen, der Himmel und Erde gemacht hat; wie ja schon der ursprüngliche Psalmvers: Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn, er wird’s wohl machen (Psalm 37,5). Ohne unsere Probleme zu verniedlichen, setzt er sie heilsam zum großen Ganzen in Beziehung. Wenn uns einer helfen kann, dann ist es der, der Himmel und Erde gemacht hat und erhält und in Bewegung hält. Der wird auch uns weiterhelfen, wenn wir ins Stocken geraten, wenn wir auf der Stelle treten, oder wenn wir in die Irre geraten, nicht mehr weiterwissen.
Und auch das zweite, dass wir unsere Kränkungen, unsere Verletzungen des Herzens und der Seele vor Gott bringen, ist einen Versuch wert. Es ist ja vielleicht kein Zufall, dass Paul Gerhardt als Seelsorger die Suche nach dem Weg mit der Sorge um unsere Seele zusammenbringt. Wir wären nicht die ersten, denen es geholfen hat – auch seelisch geholfen hat, sich in Bewegung zu setzen. Gehend, wandernd, schreitend pflegen wir unsere Seele – ob im Wiesbadener Stadtwald oder an einem fernen Strand.
Ihr Klaus Neumann