Da versammelte Salomo alle Ältesten Israels, alle Häupter der Stämme und die Fürsten der Sippen Israels in Jerusalem, damit sie die Lade des Bundes des HERRN hinaufbrächten aus der Stadt Davids, das ist Zion. Und es versammelten sich beim König alle Männer Israels zum Fest, das im siebenten Monat gefeiert wird. Und es kamen alle Ältesten Israels, und die Leviten hoben die Lade auf und brachten sie hinauf samt der Stiftshütte und allem heiligen Gerät, das in der Stiftshütte war; es brachten sie hinauf die Priester und Leviten. und alle Leviten, die Sänger waren, nämlich Asaf, Heman und Jedutun und ihre Söhne und Brüder, angetan mit feiner Leinwand, standen östlich vom Altar mit Zimbeln, Psaltern und Harfen und bei ihnen hundertundzwanzig Priester, die mit Trompeten bliesen. Und es war, als wäre es einer, der trompetete und sänge, als hörte man eine Stimme loben und danken dem HERRN. Und als sich die Stimme der Trompeten, Zimbeln und Saitenspiele erhob und man den HERRN lobte: »Er ist gütig, und seine Barmherzigkeit währt ewig«, da wurde das Haus des HERRN erfüllt mit einer Wolke, sodass die Priester nicht zum Dienst hinzutreten konnten wegen der Wolke; denn die Herrlichkeit des HERRN erfüllte das Haus Gottes. (2. Chronik 5,2-14)
Endlich mal was los im Tempel: alles voll, dazu 120 Bläser, jede Menge Zimbeln, Harfen und Saitenspiele. Singt dem Herrn ein neues Lied, jubelt ihm zu auf euren Instrumenten, erfüllt den Raum mit Musik und heiligem Lärm.
Oje, so kriegen wir das noch nicht einmal ohne Corona hin, wenn uns gerade keine Seuche in die Parade fährt und den Cheruben die Flügel stutzt. Eine volle Kirche mit jubelnder Musik und vollem Gesang gibt es in der Thomaskirche eigentlich nur zu Weihnachten und an der Konfirmation. Aber so wäre es schön gewesen, das Ende der Seuche und das Ende der Einschränkungen zu feiern. In meiner Naivität hatte ich mir im März das so vorgestellt, dass wir spätestens an Pfingsten aus dem Gröbsten raus sind und dann erstmal feiern: volle Hütte und jede Menge Musik, Orgel, Bläser, Saitenspiele, Sängerinnen und Sänger.
Jetzt müssen wir erstmal klein wieder anfangen. Ein erster tastender Schritt aus dem Schneckenhaus heraus ist gemacht, Sicherheitspläne ausgedacht, Hygienekonzepte konzipiert; hoffentlich tritt uns niemand auf die Fühler, dass wir wieder zurückmüssen wegen des großen Schreckens. Deshalb lieber behutsam und vorsichtig und schrittweise hinaus in das Leben, hinaus in die Welt und der Jugend – auch der verblichenen Jugend – eben noch nicht wieder umstandslos genossen (um es mit den Worten eines alten Studentenliedes zu sagen). Die ersten Unternehmungen sollen uns Tests sein; wie Noah seine Tauben nach der großen Flut hinaussandte und erst wenn die wieder allein zurechtkommen und wegbleiben, können wir aufatmen und die Schutzarche verlassen. (Allerdings ist das kein wirklicher Beweis und war es auch nicht zu Noahs Zeiten. Aus der bloßen Abwesenheit, ex negativo, lässt sich gar nichts beweisen. Denn es hätte der Taube ja auch etwas zustoßen können, Verletzung, Tod durch Erschöpfung, Beute eines Raubvogels, willkommene Speise – Taubenbraten! – eines anderen Noah, von dem die Welt und die Bibel nur nicht gehört hat. Dass es den nicht gegeben hat, schließen wir auch bloß ex negativo, also logisch zweifelhaft.) Die Gefahr aber wird vorerst bleiben – im besten Fall unsichtbar.
Dennoch: Ein bisschen was darf eben schon schon los sein. Wir können uns auf Orgel und Klavier und das Spiel unserer Gabriela Blaudow freuen und an einigen Sonntagen wird auch Lisa Rau für uns singen, wenn wir das selbst noch nicht dürfen, heute eben und auch an Pfingsten. Dass Gottesdienste nun eine Zeit lang ohne Gemeindegesang stattfinden müssen, wird uns noch viel deutlicher zeigen, wie sehr das gesungene Gotteslob dazu gehört, wie wichtig um nicht zu sagen „systemrelevant“ für das System Gottesdienst der gemeinsame Gesang ist. Noch nicht einmal der himmlische Gottesdienst kommt ohne Gesang aus (sagen die, die in den Himmel schauen konnten: Jesaja und Johannes), geschweige der Gottesdienst von uns Menschen – nicht nur wenn ein neuer Tempel eingeweiht wird: alle Leviten, die Sänger waren, nämlich Asaf, Heman und Jedutun und ihre Söhne und Brüder, angetan mit feiner Leinwand, standen östlich vom Altar mit Zimbeln, Psaltern und Harfen und bei ihnen hundertundzwanzig Priester, die mit Trompeten bliesen. Und es war, als wäre es einer, der trompetete und sänge, als hörte man eine Stimme loben und danken dem HERRN. Was für ein herrlicher Lärm muss das gewesen sein!
Und … Dann passiert etwas völlig Unerwartetes, etwas, das man leicht überlesen kann, weil es so unerwartet und überraschend kommt („and now for something completely different“): da wurde das Haus des HERRN erfüllt mit einer Wolke… die Herrlichkeit des HERRN erfüllte das Haus Gottes.
Gott selbst erscheint in seiner Wolke und erfüllt das Haus Gottes. Will er das Fest durch seine Anwesenheit ehren, hervorgelockt durch den lauten Klang? Oder will er für Ruhe sorgen, weil er sich gestört fühlt vom Lärm der Menschen? Dass Gott Stille bevorzugen könnte, ja lärmempfindlich sein könnte, wird an einigen Stellen in der Bibel angedeutet, etwa wenn Gott sich entscheidet, nicht in Lärm und Spektakel zu erscheinen, sondern im sanften Säuseln des Windes (vgl. die Eliageschichte, 1. Könige 19); oder wenn Gott sich aus seiner Wohnstatt, dem Himmel, herniederbeugt zum lautstarken Gebabbel derer, die den Turm zu Babylon errichten, und diesen zum Einsturz bringt und die lärmenden Menschen zerstreut (Da fuhr der Herr hernieder, dass er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten. … So zerstreute sie der Herr von dort in alle Länder, dass sie aufhören mussten, die Stadt zu bauen. 1. Mose 11). Das wäre dann so eine Art hausmeisterlicher Impuls, den auch Pfarrer kennen, wenn die bösen Buben es zu laut auf dem Kirchenvorplatz treiben.
Aber vielleicht ist seine unerwartete Anwesenheit im Tempel doch eher im Gegenteil als Anerkennung zu verstehen, wie von jemandem, der ein Ständchen dargebracht bekommt und es sich nicht nehmen lässt, es leibhaftig und persönlich entgegenzunehmen. Gewaltiger Lärm entfaltet nicht nur gewaltige Wirkung (die Posaunen vor Jericho, die die älteste Stadt der Welt zerlegten, Buch Josua 6) sondern vermittelt ebenfalls gewaltige Ehre (hörbar, beinahe fühlbar im Schlusschor von Bachs Kantate „Ich hatte viel Bekümmernis“: „Lob und Ehre und Preis und Gewalt sei unserm Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit, Amen. Alleluja.“ BWV 21; das ist steigerbar, vielleicht nicht in der musikalischen Qualität aber als Lärmerlebnis, z.B. in William Waltons „Belshazzar´s Feast“, das nur einen winzigen Schritt vor der musikalischen Körperverletzung Halt macht, und damit ein würdiger Vertreter des noch zu erfindenden „Church Metal“ auf dem Festival in Wacken wäre; ok, das ist jetzt übertrieben, aber nur ein bisschen.) Gerade die Orgel, als Kircheninstrument, das auch leise kann aber im Jubellärm seine Möglichkeiten erst ausschöpft, setzt auf musikalische Überwältigung. Man darf sich ein Orgelkonzert der französischen Romantik denken (Boellmann, Widor, Vierne; oder einen Zeitgenossen von uns aber in dieser Tradition: Olivier Messiaen: Apparition de l´église éternelle, das ich die ersten Male von einem Schulfreund an der Orgel in der Lutherkirche gespielt gehört habe und das einem musikalischen Erweckungserlebnis gleichkam), um sich den heiligen Lärm vorzustellen, der Gottes Erscheinung in unserer Szene präludiert und dann begleitet: Theophanie!
Und … Dabei passiert abermals etwas völlig Unerwartetes, eigentlich etwas noch viel „Unerwarteteres“ (vielleicht grammatikalisch unklug hier einen Komparativ zu wählen) etwas, das man leicht überlesen kann, weil es so unerwartet und überraschend kommt („and now for something – even more – completely different“, auch im Englischen kann man falsch steigern!): die Priester konnten nicht zum Dienst hinzutreten wegen der Wolke, denn die Herrlichkeit des HERRN erfüllte das Haus Gottes.
Gott verdrängt die Priester, die Geistlichen, die Kleriker. Wenn das keine Pointe ist! In Gottes Haus ist nicht genug Platz für Gott und seine Diener; wenn Gott da ist, braucht es die Menschen nicht mehr, die zuvor auf ihn verwiesen haben. Die wahre Realpräsenz ersetzt die erinnerte und erhoffte, die ersehnte und imaginierte Gegenwart Gottes. Das darf neben der Anregung über Musik als Medium religiöser Begeisterung und als Quelle religiöser Offenbarung nachzudenken (hier wäre noch so unendlich viel mehr zu bedenken und zu nennen als oben schon getan, je nach Geschmack: Motetten von Schütz und Schubertlieder, Mozartopern und wenigstens op. 111 von Beethoven; von der populären Musik ganz zu schweigen, die uns aber doch auch aufwühlen, mitreißen, in Bewegung setzen kann; jede Liste ist albern und willkürlich und dennoch berechtigt, denn wir können sie uns ja gegenseitig empfehlen. Was gehört für Dich dazu?) als eigentlicher Fund unseres Textes gelten: Das wir Geistliche, Kleriker, Priester eigentlich gar nicht brauchen, dass sie keinen Platz haben neben Gott. Und umgekehrt, dass deren Ego andererseits bisweilen keinen Plätz lässt für Gott.
Das haben wir doch schon so oft erlebt und bestimmt auch wieder in diesen verrückten Zeiten, die wir gerade erleben. Wenn nämlich – live gestreamt, per podcast oder wie auch immer – so viel von sich und so wenig von Gott gesendet wird. Da können wir es mit Händen greifen und mit unserem Predigttext nun auch benennen: Wenn die Herrlichkeit Gottes das Haus erfüllt, können die Priester nicht herzutreten, was ja im Umkehrschluss heiß: Wenn die Herrlichkeit der Priester das Haus erfüllt, tritt Gott nicht herzu.
Wie gut, dass jetzt allmählich wieder Gottesdienste mit Gemeinde stattfinden können, die wie ein Mobile Musik und Worte, Geistliche und Laien, Menschliches und Göttliches ausbalancieren, ausgleichen, oder doch zumindest auszugleichen versuchen. So geht Gottesdienst – oder gar nicht.
Klaus Neumann