Predigttext für den Sonntag Invokavit, erster Sonntag in der Passionszeit, 21.2.21

Als Jesus das gesagt hatte, wurde er erregt im Geist und bezeugte und sprach: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch wird mich verraten. Da sahen sich die Jünger untereinander an, und ihnen wurde bange, von wem er wohl redete. Es war aber einer unter seinen Jüngern, der zu Tische lag an der Brust Jesu, den hatte Jesus lieb. Dem winkte Simon Petrus, dass er fragen sollte, wer es wäre, von dem er redete. Da lehnte der sich an die Brust Jesu und fragte ihn: Herr, wer ist’s? Jesus antwortete: Der ist’s, dem ich den Bissen eintauche und gebe. Und er nahm den Bissen, tauchte ihn ein und gab ihn Judas, dem Sohn des Simon Iskariot. Und nach dem Bissen fuhr der Satan in ihn. Da sprach Jesus zu ihm: Was du tust, das tue bald! Niemand am Tisch aber wusste, wozu er ihm das sagte. Denn einige meinten, weil Judas den Beutel hatte, spräche Jesus zu ihm: Kaufe, was wir zum Fest nötig haben! oder dass er den Armen etwas geben sollte. Als er nun den Bissen genommen hatte, ging er alsbald hinaus. Und es war Nacht. (Evangelium des Johannes 13,21-30)

Neulich hat ein britischer Mathematiker ausgerechnet, dass alle Corona-Viren, die zu einem bestimmten Zeitpunkt auf der ganzen Welt gerade zirkulieren, in eine Cola-Dose passen, eigentlich reicht sogar eine halbe Coladose. Das erinnert einerseits an die berühmten mittelalterlichen Theologendispute (die es vielleicht gar nicht gab) über die Zahl der Engel, die auf einer Nadelspitze Platz finden. Toll, dass das einer berechnet, aber irgendwie sinnlos, zumal die Existenz von Engeln bestritten werden kann – die von Viren leider und idiotischerweise bekanntlich auch – und beiden eine gewisse, dem Alltagsverstand unzugängliche Körperlosigkeit eignet, die in keinem Verhältnis zu ihren Wirkungen steht – zum Guten die einen, zum Bösen die anderen. Ob Engel sich auf Nadelspitzen tummeln, bleibt spekulativ, aber dass die Corona-Viren längst ihre Cola-Büchse der Pandora verlassen haben, was immer die ist und wo immer die geöffnet wurde, und nun milliardenfach als nanometergroße apokalyptische Reiter, als wildes Heer in den letzten Winkel der Erde rasen – das aber ist schmerzhaft bekannt: so klein und schon so böse!

Auch der gefallene Engel, der Teufel – als es ihn noch gab – konnte sich klein machen, wie wir mit unserem: Der Teufel steckt im Detail, immer noch exorzistisch korrekt bekunden, und er konnte quasi körperlos seine Bosheit exekutieren, wie wir heute in unserem überaus merkwürdigen Predigttext lesen; so klein, dass er dem Judas in den Mund fährt, so körperlos, dass das niemand der zu Tische Liegenden sieht. Und das ist ja – neben ihrer Zerstörungswut bei gleichzeitiger Winzigkeit – eine weitere Ähnlichkeit zu den fiesen Viren, dass sich der Teufel menschlicher Körperöffnungen bedient, um als todbringender Parasit seinen Wirt zu befallen, zu verderben und umzubringen. Deswegen – und unter unwissender Vorwegnahme der virologischen Erkenntnisse späterer Zeiten – waren die mit diesen Öffnungen verbundenen Tätigkeiten so verdächtig – und wurden je nach Temperament der Exorzisten und Mode der Zeit dämonologisch priorisiert. Noch heute spucken wir unser Aerosol mit dem unseren Ekel bekundenden: Pfui Teufel! demselben symbolisch entgegen als performativer Mundschutz. Analoges hat Luther auf dem Klo verrichtet und ausführlich berichtet.

Damit dürften schon die wichtigsten Ähnlichkeiten einigermaßen erschöpfend benannt sein, die aber nur die viel größere Unähnlichkeit zwischen Teufel und Viren beleuchtet, insbesondere die für uns Aufgeklärte selbstverständliche Unähnlichkeit zwischen der Existenz der einen und Nicht-Existenz des anderen, bzw. die umgekehrt proportionale Idiotie bei der Leugnung beider. Aber vielleicht liegt da auch ein Irrtum vor: Vielleicht ist es genauso idiotisch den Teufel zu leugnen wie das Virus.

Einer meiner theologischen Lehrer hat uns auf die Frage, ob es den Teufel gäbe, geantwortet, dass er nicht an den Teufel glaube aber sich vor ihm fürchte, und dass dessen Geschäft seit alters die Verharmlosung des Bösen sei und seine Leugnung durch uns genau das wäre, was er sich wohl wünschen würde, wenn es ihn denn gäbe.

Mit der Austreibung des Teufels aus der Theologie – ein selten erfolgreicher Exorzismus! – fehlt uns nun ein Begriff für das Böse und mehr noch ein Symbol für den Bösen und wir halten den Sieg über den Teufel für einen Sieg über das Böse, was aber ein offensichtlicher Irrtum wäre, worüber uns jeden Morgen der Blick in die Zeitung unterrichtet: Böses gibt es reichlich und gerade das Virus, das ja zunächst und für sich eine Naturkatastrophe ist, bietet jede Menge Möglichkeiten das menschliche Böse zu kultivieren: sei es die Verfeinerung unseres rücksichtslosen Egoismus, schön erkennbar in der Impffrage; sei es die Relativierung menschlichen Lebens, wenn etwa reputierliche Wirtschaftsweise fordern, eine gewisse höhere Sterblichkeit zugunsten der Ökonomie hinzunehmen – das könnte beinahe vom Teufel persönlich stammen: lasst die Alten sterben damit es mit der Wirtschaft flutscht! – ; sei es die Verwirrung der öffentlichen Debatte durch chaotische Berichterstattung eines Journalismus, der alles Chaos und Katastrophe nennt, was eigentlich nur Fehler – und vielleicht nicht einmal das – genannt zu werden verdient. Darüber würde sich der Teufel bestimmt freuen, weil Verwirrung zu den Kerngeschäften des Teufels, also des Diabolus gehört – des „Durcheinanderwerfers“ nach dem griechischen Wort „diaballein“ – „durcheinanderwerfen“.

Die Kenntnis des Virus als biologischer Sachverhalt allein widerlegte noch nicht, dass die Pandemie ein Werk des Teufels ist, zumal Erderwärmung, Zerstörung der Urwälder und profitmaximierte Fleischindustrie das Entstehen neuer Viren und also auch des Corona-Virus begünstigt und allesamt auf menschliches Verhalten zurückgehen, für das man früher den Teufel – als es ihn noch gab – verantwortlich gemacht hat. Ohne ihn zerfällt die Suche nach den Ursachen und die Identifikation der Verantwortlichen in ein Puzzle ohne Bild, ohne Struktur und ohne moralische Logik: trotz aller Beteuerungen wird es nach einer Schrecksekunde von ein zwei Jahren wieder so weitergehen wie zuvor. Und das wünschen wir uns ja auch wie nichts sonst: die Rückkehr in die Normalität – unter völlig verwirrter Ausblendung, dass uns genau diese Normalität in genau diese Ausnahmesituation geführt hat. Also doch ein Werk des Teufels?

Dass der Teufel nach seinem Ableben nicht einfach theologisch reanimiert werden kann, erschwert auch unseren Zugang zu unserem Predigttext, in dem nun einmal der Teufel einen prominenten Auftritt hat. Mindestens zwei Nachrichten aber hat der Text für unser postdiabolisches Zeitalter, zuerst die schlechte:

Der Teufel – also für uns Ungläubige das schlechthin Böse – schleicht sich noch in die privatesten Beziehungen, vermag aus einem Freundeskreis einen wahren Teufelskreis machen, zersetzt unsere Verbindungen aus Vertrauen und Liebe. Wie das Virus lebt auch der Teufel von unseren sozialen Kontakten, und wie dieses lässt er sich bisweilen nur durch soziale Distanz aufhalten – so dachten wenigstens die Eremiten früherer Zeiten, die mit ihrem Gang in die Wüsteneinsamkeit auch dem Teufel entfliehen wollten; und so denken wir gelegentlich noch heute, wenn wir meinen, dass nur eine Trennung ehemals Liebender Böses und Böseres verhindern kann; und so wird dann ja auch der Verräter unserer Geschichte später getrennt – hinaus in die Nacht.

Der jesuanische Jüngerkreis wird in unserer Geschichte in irritierender Fremdheit und Offenheit als antikes Symposion geschildert: Der Meister und seine Freunde, darunter der Jünger, den Jesus liebte und dessen literarische Rolle die des Autors des Johannesevangeliums ist, liegen zu Tisch, je zwei auf einer Liege, körperlich näher als wir uns das vorgestellt haben, miteinander tuschelnd und sich gegenseitig die Brocken in den Mund fütternd. Und sogar in diesen heiligen Freundschaftsbund der Liebe und des Glaubens kann der Teufel eindringen. Nichts ist vor ihm sicher, noch nicht einmal der Gottessohn. Auch wir sollten uns nicht zu sicher fühlen. Soweit die schlechte Nachricht, jetzt die gute.

Trotz seiner Gewalt und seiner gewaltigen Macht noch die innigsten Kreise der Liebe zu durchdringen und zu zerstören, kann er doch nicht anders, als dem Willen Gottes zu folgen, der immer stärker bleibt. Selbst die krummen Touren des Teufels – seine Anstiftung zum Verrat der Liebe – müssen zum guten, zum göttlichen Ziel führen. Gott ist offensichtlich nicht so allmächtig, dass er den Teufel einfach wegsperren kann – so wie wir ihn in und mit unserer Vernunft wegzusperren vermeinen; aber Gott ist doch allemal mächtiger als dieser Widersacher. Einzelne – auch viele – infizieren mit seiner Bosheit, das kann er schon; aber Gottes Menschheitsprojekt dauerhaft und nachhaltig in Frage stellen, das kann er nicht. Unsere durchaus gefährdeten, verwundbaren – vulnerablen: noch so ein schönes Wort, dass uns die Seuche lehrt – Gemeinschaften sind stärker als alle möglichen Angriffe: stärker nicht durch Rüstung und Waffen, stärker vielmehr durch die Macht der Liebe und der Gemeinschaft und der Solidarität; stärker also durch ihre Verwundbarkeit und die Bereitschaft die Wunden anderer zu verbinden.

Die teilt Gott mit uns durch seinen Sohn, übrigens nicht erst am Kreuz, auf das wir nun in diesen Wochen zugehen, sondern schon hier und jetzt, wenn er nämlich auch schon seine Sorge und seinen Schmerz mit uns teilt, was da auf ihn zukommt. Wenn es in der Einleitung unserer kurzen Szene heißt: er wurde erregt im Geist , müsste es wörtlich eher heißen er „wurde betrübt im Geist“ in Anlehnung an den 42. Psalm, der hier frei zitiert wird:

„Was betrübst du dich, meine Seele,
und bist so unruhig in mir?
Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken,
dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.“

Aus unseren Wunden erweckt Gott das Wunder neuen Lebens, weiß der Beter und wir können das auch wissen. Amen.