So ahmt nun Gott nach als geliebte Kinder und wandelt in der Liebe, wie auch Christus uns geliebt hat und hat sich selbst für uns gegeben als Gabe und Opfer, Gott zu einem lieblichen Geruch. Von Unzucht aber und jeder Art Unreinheit oder Habsucht soll bei euch nicht einmal die Rede sein, wie es sich für die Heiligen gehört, auch nicht von schändlichem Tun und von närrischem oder losem Reden, was sich nicht ziemt, sondern vielmehr von Danksagung. Denn das sollt ihr wissen, dass kein Unzüchtiger oder Unreiner oder Habsüchtiger – das ist ein Götzendiener – ein Erbteil hat im Reich Christi und Gottes. Lasst euch von niemandem verführen mit leeren Worten; denn um dieser Dinge willen kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Ungehorsams. Darum seid nicht ihre Mitgenossen. Denn ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn. Wandelt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit. (Epheser 5, 1-9)
Wissen Sie noch, liebe Schwestern und Brüder, als ungefähr um diese Zeit im vergangenen Jahr die Corona-Wolken über uns immer dunkler und düsterer wurden, und es uns langsam dämmerte, dass da etwas auf uns zukommt und dass es uns bedroht? Schul- und Ladenschließungen waren noch unvorstellbar und zeichneten sich dennoch schon ab.
Eine Art damit umzugehen – man kann es den Eichhörnchenreflex nennen – war, Vorräte anzulegen, Hamsterkäufe zu tätigen. Und so sind wir massenhaft, aber noch durchweg ohne Masken in die Supermärkte gestürmt, haben Klopapier in die Einkaufswagen getürmt und in unseren Vorratskammern gebunkert. Ziemlich sinnlos das alles – Übersprungverhalten im Angesicht einer unbekannten Gefahr, vor der es noch keinen effektiven Schutz gab; aber in Ermangelung sinnvoller Alternativen, sich vor dem Virus zu schützen, haben wir das gemacht, was die anderen gemacht haben.
Und erst mit der Erfahrung, dass die unsichtbare Hand eines fürsorglichen Kapitalismus jeden morgen die Regale wieder auffüllt, hat uns – zumindest vorläufig – und allmählich beruhigt, wie auch die eine oder andere Bemerkung weiser Politiker wie des niederländischen Regierungschefs Mark Rutte, der in aller gebotenen niederländischen Offenheit bemerkte, dass wir in fünf Jahren nicht so viel kacken werden, wie wir jetzt Papier haben. Und so haben wir uns – zumindest was das Kaufverhalten angeht – übers Jahr gemeinsam wieder beruhigt, so wie wir uns vorher gemeinsam aufgeregt hatten.
Tun, was die anderen machen; Nachahmen, sich Anstecken lassen – gefährliches Wort! – vom Tun der anderen; im Schwarm mitschwimmen – Schwarmintelligenz, wie wenig intelligent die auch sein mag – gehört jedenfalls zum Verhaltensrepertoire, das wir Menschen von den Fischen und Vögeln, was sage ich, von den kleinsten und primitivsten Wesen der Evolution geerbt haben – zum Guten wie zum Bösen. Das Nachahmen und Abfärben von Verhaltensweisen scheint es auch in der Religion zu geben. Der heutige Predigttext spricht davon.
Der heutige Predigttext spricht von der Nachahmung Gottes, die er empfiehlt, und vom Einfluss schlechter Gesellschaft, die wir vermeiden sollten, von der wir uns sozial distanzieren sollten! So ahmt nun Gott nach als geliebte Kinder; aber seid nicht Mitgenossen der Kinder des Ungehorsams. Schlechter Umgang verdirbt die Sitten; guter Umgang veredelt sie. Was könnte falsch sein, daran zu erinnern und danach zu handeln? Erstmal nix – aber eigentlich alles!
Denn dass die Kinder des Lichts im Schein ihrer Kerze bleiben und den Gang in die Dunkelheit scheuen, ist so ziemlich das Gegenteil dessen, was Jesus getan und gesagt hat: „Zündet man denn ein Licht an, um es unter den Scheffel zu stellen oder unter die Bank zu setzen? Und nicht, um es auf den Leuchter zu setzen?“ (Markus 4,21) „In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hats nicht ergriffen. … Das war das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen.“ (Johannes 1,4.5.9)
Licht bleibt nicht bei sich; noch die dunkelste Nacht wird durch Sterne erhellt, die ihr Licht durch die dunklen Weiten des Weltalls zu uns senden. Der hellste Stern am Nachthimmel, der Sirius, der uns in den klaren Nächten der vergangenen Winterwochen heimgeleuchtet hat, wie er das seit geschätzten 240 Millionen Jahren tut, ein paar Handbreit links vom Orion, Richtung Süden nach Westen wandernd, vom Orion, den auch der Sternunkundige erkennt an seinem dreisternigen Gürtel in der Mitte und dem kleinen Sternennebel als Schwert darunter; oder im Kopfumdrehen, Richtung Norden, der Polarstern, zwischen Großem Wagen und Kassiopeia, 2000mal heller als unsere Sonne, aber eben auch mit 430 Lichtjahren etwas weiter entfernt als diese; und nur scheinbar über dem Nordpol fixiert, aber in Wirklichkeit immer noch mehr – und zwar mit 17 Sekundenkilometer-Geschwindigkeit – die unendlichen Weiten des Weltalls suchend, in die noch nie ein Mensch vorgedrungen ist und nach menschlichem Ermessen das auch nicht tun wird, wenn uns nicht doch noch einer das Raumschiff Enterprise baut, um auf den großen Treck in Richtung Sterne – den Star-Trek – zu gehen.
Licht bleibt nicht bei sich; Licht geht weite Wege; und auch unser Licht soll nicht bei uns bleiben, sondern weite Wege gehen: zum Nächsten hin, zum Fremden hin, sogar zum Feind hin – unendliche Weiten; emotional und sozial sind das auch Lichtjahre-Entfernungen, die uns Jesus zu gehen beauftragt, um unser Licht, unsere Liebe weiterzutragen. Lasst uns also gerade nicht um das Licht bloß sammeln und es von anderen abschirmen, sondern – den Sternen folgend – das Licht weitertragen und aussenden, damit auch andere vom wahren Licht erleuchtet werden. Erst in der Begegnung mit dem anderen leuchtet das Licht. Wandelt in der Liebe; Wandelt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit. Die sollen wir unter die Leute bringen.
Dabei haben wir im vergangenen Jahr lernen müssen – in einem dialektischen Moment, der vielleicht nur in einem Hegeljahr so möglich war – dass es Situationen gibt, dass ausgerechnet und ausschließlich in der sozialen Distanz unsere Nächstenliebe zum Ausdruck kommen kann: Liebe deinen Nächsten, schütze den Nächsten wie Dich selbst, in dem du dich von ihm fernhältst. Dieses Paradox ist kaum zu verstehen und kaum auszuhalten – und es scheint so, dass wir es nach einem Jahr kaum noch aushalten können. Begleitet von allerlei schändlichem Tun und orchestriert von närrischem oder losem Reden scheinen wir es uns gerade jetzt zeigen zu wollen, dass unsere Geduld in dieser Zeit und unsere Einsicht in ihre besonderen Erfordernisse aufgebraucht ist und tun so – selbst solche, die bislang behutsam und besonnen waren, tun so – als sei das schon ein Argument, dass die Leute die Schnauze voll haben. Ob das das Virus überzeugt, dass wir die Schnauze von ihm voll haben? Wer hätte das denn nicht? – Aber deswegen wird die Seuche nicht verschwinden; genauso wenig wie ein Schnupfen verschwindet, wenn und weil er mich stört. Gegen jede Vernunft scheinen viele zu meinen: Genug ist genug; jetzt lassen wir das Mal mit den Maßnahmen, dann wird die Pandemie schon weggehen; Hauptsache die Wirtschaft brummt.
Aber: „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele“ (Markus 8,36), sagt Jesus gelegentlich. Was hülfe es dem Menschen, wenn alle Geschäfte öffnen, er aber zu krank oder zu tot zum Einkaufen ist. Entgegen anderslautender Gerüchte ist festzuhalten, dass es keinen Konflikt medizinischer und ökonomischer Logiken in Zeiten der Seuche gibt, denn nur ein gesunder Kunde ist ein guter Kunde und die Mindestanforderung zur Teilnahme am Wirtschaftsleben ist die Existenz der Teilnehmenden: Wer tot ist, kauft nichts.
Deshalb: Wandelt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit. Zur Wahrheit gehören auch die unangenehmen Wahrheiten, die wir uns anders wünschen, die sich aber durch Wunschdenken nicht verändern werden. Und Gerechtigkeit muss immer allen gelten, also auch den Schwächsten im Blick haben, den Verwundbarsten, die Risikogruppen, die nicht zum Opfer frühzeitiger Öffnungen werden dürfen. Und Güte kann auch unter ihrem scheinbaren Gegenteil erscheinen, in der schützenden physischen Distanz von denen, zu denen wir uns – soviel Dialektik muss auch im Jahr nach dem Hegeljahr sein – eigentlich hinwenden wollen und denen wir uns ganz gewiss wieder – auch leiblich, physisch, sozial – zuwenden werden – unter der Voraussetzung, dass es sie dann noch gibt!
Wandelt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit. Amen.