5. Sonntag nach Trinitatis, 4. Juli 2021

Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist es Gottes Kraft. Denn es steht geschrieben (Jes 29,14): »Ich will zunichtemachen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.« Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht? Denn weil die Welt durch ihre Weisheit Gott in seiner Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die da glauben. Denn die Juden fordern Zeichen und die Griechen fragen nach Weisheit, wir aber predigen Christus, den Gekreuzigten, den Juden ein Ärgernis und den Heiden eine Torheit; denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit. Denn die göttliche Torheit ist weiser, als die Menschen sind, und die göttliche Schwachheit ist stärker, als die Menschen sind. (1. Korinther 1,18-25)

„Fußball ist wie Schach, nur ohne Würfel.“ („Lukas Podolski“, aber eigentlich Jan Böhmermann als derselbe)
In diesen Tagen liegen, was Torheit und Weisheit angeht, Fußballweisheiten besonders nahe:
„Mal verliert man und manchmal gewinnen die anderen.“ (Otto Rehagel)
„Da hat man schon kein Glück und dann kommt noch Pech dazu.“ (Jürgen Wegmann)
„Fußball ist ein einfaches Spiel. 22 Leute jagen 90 Minuten einem Ball hinterher und am Ende gewinnen immer die Deutschen.“ (Gary Lineker)
Nicht immer bereitet es ein so großes Vergnügen, die Torheit von Weisheiten zu verspotten wie bei solchen Fußballweisheiten. Oft genug werden sie – das kann sie entschuldigen – wenige Minuten nach dem Schlusspfiff von denen geäußert, die vorher dem Ball hinterherrannten und die im günstigen Fall schussgewaltiger sind als wortgewaltig, passgenauer mit dem Ball als präzise mit ihren Worten. Beim Fußball liegt die Wahrheit schließlich auf dem Platz und nicht im Mikrophon. Und außerdem hätte jeder auch vor dem vergangenen Dienstag wissen können – wenn er vielleicht nicht gerade aus England kommt – dass deutsche Fußballer ganz prima verlieren können, auch hoch und auch deutlich. Eine Chronik krachender Fußballkatastrophen erspare ich uns, aber sie würde bestimmt nicht bei diesem Turnier beginnen und ganz sicher wird sie dort nicht enden.
Vermutlich gehört das sogar zu den größten Stärken von Sportlern und echten Champions, Schwäche auszuhalten und Niederlagen zu ertragen. Natürlich rennen, spielen, raufen wir, um zu gewinnen, aber je mehr Mitbewerber umso größer die Wahrscheinlichkeit, nicht zu gewinnen. Das weitaus wahrscheinlichste Ergebnis einer Europameisterschaft mit 24 Teilnehmern ist, einer von den 23 Verlierern zu sein und nicht der eine Europameister zu werden und weise ist folglich der, der mit seiner Niederlage rechnet und sie aushalten kann. Zum Tor aber macht sich der, der den anderen keine Tore zutraut.
Schwäche aushalten, Niederlagen ertragen, mit Verlusten rechnen – das wäre der nicht-religiöse Ertrag der christlichen Religion, der auch sportlich relevant ist, aber noch viel mehr als das. So wie der Fußball insgesamt Spiel und Spiegel des Lebens ist, so ist er es gerade in dieser Sache von Verlust und Niederlage: Jedes Leben endet mit einer Niederlage, in der Niederlage des Todes und es ist sinnvoll, sich darauf einzustellen. Nicht nur Hochbetagte müssen mit dem Tod rechnen (was uns in unglücklichen Grenzfällen bis auf den Fußballplatz verfolgt wie zu Beginn der EM: Spiel und Spiegel des Lebens!) und es macht immer ein wenig ratlos, wenn die Angehörige dieser Hochbetagten zum Ausdruck bringen, dass ihre 90-, oder 100jährigen Verwandten unerwartet gestorben sind. Womit hatten sie denn gerechnet? Was hatten sie denn erwartet?
„Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen“ (Evangelisches Gesangbuch 518) – und an seinem Rande noch viel mehr. Bewusstes Leben hat sich damit auseinanderzusetzen: „Herr lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“ (Psalm 90,12). Die alten Griechen haben diesen Umstand zum Wesensmerkmal der Menschen gemacht und von uns Menschen als den Sterblichen gesprochen – im Gegensatz zu den Unsterblichen, nämlich den Göttern. Und auch der merkwürdige Gebrauch des Begriffs höherer oder niedriger Sterblichkeit durch die Wächter der Corona-Pandemie kann über den Umstand nicht hinwegtäuschen, dass die menschliche Sterblichkeit bei genau 100% liegt und – nach Ansicht der Griechen – die der Götter bei exakt 0%: Alle Menschen sterben, aber kein Gott.
Vor diesem Hintergrund geht Paulus davon aus – und vielleicht hat er auch welche in der griechischen Metropole Korinth so reden hören – dass den für ihre Liebe zur Weisheit berühmten Griechen das Wort vom Kreuz eine Torheit, also ein Quatsch, ein Blödsinn ist – und zwar gleich eine doppelte Torheit sein muss, da es den Tod des unsterblichen Gottes und die Auferstehung eines sterblichen, gestorbenen Menschen verkündet: Jesus Christus als gekreuzigter Gott und zum ewigen Leben auferweckter Mensch. Was für ein Quatsch, werden sie in der Mehrheit gesagt haben, was für ein Blödsinn, was für eine Torheit! Wie es sie für uns Heutige ja immer noch ist, weil sie allem, was wir für wahr halten zwischen Himmel und Erde widerspricht: Menschen leben nicht ewig und Götter – falls es sie geben sollte – sterben nicht.
Von der griechischen Reaktion ist die der jüdischen Landsleute des Paulus nur wenig unterschieden: sie halten die Rede von einem auferweckten Gekreuzigten für ein Ärgernis, für ein Skandal, wie es im Original heißt – also ebenfalls für einen Blödsinn, aber einen anstößigen Blödsinn, wohl weil er erkennbare jüdische Wurzeln hat und die jüdische Religion gleich zusammen mit der jüdischen Sekte – die die christliche Religion zu Zeiten des Paulus noch war – zu diskreditieren droht: Die Christen könnten von anderen, von Außenstehenden, für Juden gehalten werden – wurden das auch in jener Zeit – und dann mit solchen – wie sie es für sie waren – gotteslästerlichen Reden eines sterbenden Gottes und ewig lebenden Menschen identifiziert werden. Mehr als nur ärgerlich, ein Skandal! Was erlauben sich die Christen! (Der aufmerksame Fußballfreund darf hier das ferne Echo dieses Vorwurfs mithören: „Was erlaube Struuunz?!“ [Giovanni Trapatoni in seinem legendären Fernsehinterview])
Paulus wendet sich gegen solche möglichen und tatsächlichen Vorwürfe – und verzichtet dabei auffallend auf Erklärungen oder gar Rechtfertigungen, die ohnehin nicht verfangen würden: bei den Kritikern sowieso nicht und die Glaubenden brauchen sie nicht, da in ihnen das angeblich törichte und skandalöse Wort längst wirkt: als Gottes Kraft, die mehr und anderes als die ewige Fortsetzung unseres bisherigen Lebens bewirkt! Das Leben geht nicht einfach so weiter, oder doch?
„Lebbe geht weider“ ist als weises Wort des großen Frankfurter Fußballlehrers Stepi Stepanowitsch in die Herzen der Fans und die Weisheitslehren des schönen Spiels geschrieben: als Glaubenssatz nach schmerzlichen Niederlagen, als Trostwort verletzter Gemüter und als Aufmunterung zu neuen Anstrengungen. Wer könnte diesen Zuspruch gerade nötiger haben als die gekränkte deutsche Fußballseele: „Lebbe geht weider“, so haben es die verständigen Mütter und Väter ihren verstörten Kleinen am Dienstag erklärt.
Aber so sehr in diesem Wort eine Verheißung künftiger Auferstehung aus den Ruinen in Glanz und Gloria – vom Tod ins Leben – laut wird, so wenig trifft es die Aussageabsicht vom Wort vom Kreuz, das keine Verlängerung der irdischen Lebenszeit verspricht und keine Rückkehr ins alte Leben; sondern ein gänzlich neues und anderes Leben bei Gott – durch einen Gott, der den Tod auf sich nimmt, um uns dieses neue und andere Leben zu geben.
Für welche Torheit, für welche Weisheit entscheiden wir uns – oder eher: welche Torheit, welche Weisheit hat sich uns erwählt und lebt längst in uns? Oft genug muss man sich entscheiden – man kann nicht alles haben! – oft genug geht nur das eine oder das andere. Manchmal aber doch nicht. Als herrlichster Torheit der Welt, darf man sich am Fußball erfreuen, ohne der törichten Weisheit unseres Glaubens zu entsagen. Es könnte sogar sein, dass einem im Spiel die ernsten Dinge des Lebens klarer werden – und das umgekehrt der Glaube uns Schwächephasen und Niederlagen im Spiel erklären und ertragen hilft.
Spielen und Glauben können sogar Verbündete sein, wenn sie jeweils auf ihre Weise die Torheit falschen Ernstes und die Torheit falscher Gewissheit entlarven: Denn die göttliche Torheit ist weiser, als die Menschen sind, und die göttliche Schwachheit ist stärker, als die Menschen sind.
Und so wollen wir in dieser Sommer- und Urlaubszeit noch ein letztes Mal auf die weise Torheit eines unserer Fußballhelden hören, der in seiner aktiven Zeit immer wieder von sich reden gemacht hat. Es soll uns Weisung und Weisheit für Urlaub und Urlaubsziel sein:
„Mailand oder Madrid. Hauptsache Italien!“ (Andi Möller, der in seinen präzisen Analysen von seinem Trainer Stepanowitsch profitiert haben dürfte.)
Amen.