Predigttext für den Sonntag Okuli, 3. Sonntag in der Passionszeit, 20. März 2022

Und Ahab sagte Isebel alles, was Elia getan hatte und wie er alle Propheten Baals mit dem Schwert umgebracht hatte.
Da sandte Isebel einen Boten zu Elia und ließ ihm sagen: Die Götter sollen mir dies und das tun, wenn ich nicht morgen um diese Zeit dir tue, wie du diesen getan hast!
Da fürchtete er sich, machte sich auf und lief um sein Leben und kam nach Beerscheba in Juda und ließ seinen Diener dort.
Er aber ging hin in die Wüste eine Tagereise weit und kam und setzte sich unter einen Wacholder und wünschte sich zu sterben und sprach: Es ist genug, so nimm nun, HERR, meine Seele; ich bin nicht besser als meine Väter.
Und er legte sich hin und schlief unter dem Wacholder. Und siehe, ein Engel rührte ihn an und sprach zu ihm: Steh auf und iss!
Und er sah sich um, und siehe, zu seinen Häupten lag ein geröstetes Brot und ein Krug mit Wasser. Und als er gegessen und getrunken hatte, legte er sich wieder schlafen.
Und der Engel des HERRN kam zum zweiten Mal wieder und rührte ihn an und sprach: Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir.
Und er stand auf und aß und trank und ging durch die Kraft der Speise vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Berg Gottes, dem Horeb.
Und er kam dort in eine Höhle und blieb dort über Nacht. Und siehe, das Wort des HERRN kam zu ihm: Was machst du hier, Elia?
Er sprach: Ich habe geeifert für den HERRN, den Gott Zebaoth; denn Israel hat deinen Bund verlassen und deine Altäre zerbrochen und deine Propheten mit dem Schwert getötet, und ich bin allein übriggeblieben, und sie trachten danach, dass sie mir mein Leben nehmen.
Der Herr sprach: Geh heraus und tritt hin auf den Berg vor den HERRN! Und siehe, der HERR wird vorübergehen.
Und ein großer, starker Wind, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, kam vor dem HERRN her; der HERR aber war nicht im Winde. Nach dem Wind aber kam ein Erdbeben; aber der HERR war nicht im Erdbeben.
Und nach dem Erdbeben kam ein Feuer; aber der HERR war nicht im Feuer. Und nach dem Feuer kam ein stilles, sanftes Sausen.
Als das Elia hörte, verhüllte er sein Antlitz mit seinem Mantel und ging hinaus und trat in den Eingang der Höhle. (1. Könige 19, 1-13)

„Mögest du in interessanten Zeiten leben!“ – dass dieser chinesische Gruß, der wohl gar nicht aus China kommt – das sei jetzt aber mal dahingestellt – eher als Fluch denn als Segen gemeint ist, leuchtet in Zeiten wie diesen unmittelbar ein. Interessant sind die Zeiten gerade sehr, aber eher als Fluch und recht betrachtet wären uns etwas langweiligere Zeiten deutlich lieber. Krisen gab es schon vorher genug, die verdammte Pandemie ist noch lange nicht vorbei und jetzt hat auch noch ein Gewaltherrscher seinen Nachbarn und unserer Nachbarn Nachbarn überfallen und einen verfluchten Krieg vom Zaun gebrochen. Eigentlich längst Zeit für uns, eine Auszeit zu nehmen, den Rückzug in die Wüste anzutreten. Wer kennt eine dunkle Höhle, in die man sich wie Elia verkriechen könnte? Wer einen Ort ohne Viren, ohne Bomben und ohne Nachrichten von beiden?

Interessant, verflucht interessant, sind unsere Zeiten auch, weil sie uns zu Zeitreisenden machen. Das Zeitalter der Seuchen schien doch längst vorbei und die Epoche der Kriegstreiber und ihrer blindwütigen Überfälle auf Nachbarstaaten hatten wir doch hinter uns gelassen. Und indem wir uns gegen die Pandemie behaupten und das Kriegsgedröhn wieder hören müssen, scheinen wir zurück in dunkle, längst vergangene, eher: lange verdrängte Zeiten zu reisen. Unsere journalistischen Zeitreiseführer dahin sind dieselben, die uns vor dreißig Jahren mit dem Ende des Sowjetreiches das Ende der Geschichte verkündet haben und uns heute einen neuen Anfang derselben predigen: nämlich die Wiederkehr der Machtpolitik, die sich in Sturm, Beben und Feuer durchzusetzen hätte gegen das sanfte Säuseln von Diplomatie und Demokratie.

Apropos Zeitreise: In der Höhle, in die wir als Familie uns abends verkriechen, läuft gerade eine völlig abgedrehte norwegische Fernsehserie von Zeitreisenden, die dort „Beforeigners“ heißen, also aus einem Wortspiel von „before“ und „foreigners“ Menschen bezeichnen, die aus drei Epochen früherer Zeiten, nämlich der Steinzeit, der Wikingerzeit und aus dem 19. Jahrhundert, in der Jetztzeit auftauchen, und zwar buchstäblich aus den Wassern des Oslofjords auftauchen und als Zeitmigranten die Stadt bevölkern. Die Stadt verwandelt sich darüber bis zur Unkenntlichkeit in ein einziges, riesiges, brodelndes Flüchtlingslager, in welchem sich Fremde, Zeitmigranten verschiedener Zeiten begegnen, aufeinanderprallen in einem absurden und dennoch einleuchtenden „clash of cultures“, sich gegenseitig fremd sind und dabei doch nicht alle sich gegenseitig fremd bleiben. Das ist genauso abgedreht, wie es klingt, aber eben auch lustig und spannend und ziemlich interessant.

Interessant nicht zuletzt ist der Zusammenprall der Religionen der Wikinger auf der einen Seite mit dem Glauben der pietistischen Frömmler aus dem 19. Jahrhundert auf der anderen Seite, wobei es den kirchlichen Zuschauer betrüben kann, dass die Serie eindeutig mit den altnordischen Odingläubigen sympathisiert und die Christen ein bisschen zu sehr ihr Fett wegbekommen. In einer dennoch köstlichen Szene suchen zwei wilde Wikingerfrauen Zuflucht in einer Kirche und mokieren sich unter einem Kruzifix über den schwachen Gott, der dort hängt, und die erbärmlichen Christen, die an einen Gott glauben, der noch nicht einmal seinen eigenen Sohn retten konnte, geschweige denn sie. Irgendwie geht es auch in dem schrillen Panoptikum dieser norwegischen Fernsehserie um die Stärke der Religionen und die Gewalt der Götter. Und darum ging es doch auch in unserer Elia-Geschichte.

Auch Elia, der Diener des Herrn seines Gottes, dessen Name, gepriesen sei er, unaussprechlich ist, sieht sich in einem Kampf der Religionen, einem „clash of cultures“; er auf der Seite der nomadischen Migranten, der Hebräer nämlich und die Philister mit ihren Baalspriestern auf der Seite der Sesshaften, Besitzenden, die ihren angestammten Besitz zu verteidigen trachten. Wir betreten die Bühne dieser Auseinandersetzungen, als der große blutige Kampf Elias gegen die Baalspriester im Namen ihrer Götter gerade gekämpft war und der Nebel des Krieges sich gerade lichtet: wie er alle Propheten Baals mit dem Schwert umgebracht hatte. Vor der Rache der bösen Philisterkönigin Isebel: Die Götter sollen mir dies und das tun, wenn ich nicht morgen um diese Zeit dir tue, wie du diesen getan hast! – flieht Elia in den Süden erst in das Grenzland nach Beerscheba, noch begleitet von seinem Diener, und dann ganz allein weiter, immer weiter in die Wüste.

In der Wüste, dem Ort der Gottesbegegnung, begegnet Elia seinem Gott. Ich stelle mir vor, dass ihm schon während der schrecklichen Prophetenschlacht gedämmert hatte, dass das Gottes Wille nicht sein kann, so wie wir heute doch auch glauben, dass Krieg eben nach Gottes Willen nicht sein soll. Ich stelle mir vor, dass die Lektion, die Elia zu lernen hat, genau die ist, die bis heute und gerade heute zu lernen ist, dass das Recht der Selbstverteidigung nicht in das gewaltige Unrecht des Krieges umschlagen darf; und dass dieser Umschlag, dieser „tipping-point“ immer umstritten bleibt und bleiben muss. Im grausig-blutigen Kampf der Propheten war dieser Punkt jedenfalls weit überschritten.

Der geflohene Elia erfährt humanitäre Hilfe: einen sicheren Ort, an dem er sich ausruhen kann, dazu ein geröstetes Brot und ein Krug mit Wasser. Freundliche Hilfe und ein freundliches Wort; und dazu – er ist ja ein Prophet – den Auftrag, die Höhle am Gottesberg aufzusuchen, um Gott zu begegnen. Es waren sicherlich die schrecklichen Erfahrungen und Bilder des Prophetenkampfes, die ihn auf die nun folgende, alle seine Gewissheiten umstürzende Gottesbegegnung vorbereitet hatten. Gott selbst verweigert sich der Logik von Gewalt und Macht, erscheint nicht in Donner und Blitz sondern in einem sanften Sausen. Welche Zeit wäre bereit für diese Botschaft eines gewaltlosen Gottes?

Die biblische Tradition hat Elia als Zeitreisenden verstanden, als einen der ersten seiner Art, von dem man es für möglich hielt, dass er Zeitgrenzen überwinden und zu ganz anderen Zeiten wiedererscheinen, wiederauftauchen kann. Nur wenige Kapitel nach unseren Ereignissen, stirbt Elia – eben nicht!, sondern wird in einer spektakulären Aktion zu Gott entrückt: „Siehe, da kam ein feuriger Wagen mit feurigen Rossen, … und Elia fuhr im Wetter gen Himmel“ (2. Könige 2,11). Als zu Gott Entrückter und also nie Gestorbener wird Elia in der religiösen Phantasie der Bibel, aber vor allem in der spekulativen Literatur der nachbiblischen Zeit zum Zeitreisenden, dessen Auftauchen zu anderen Zeiten und an anderen Orten – vor allem da, wo es brennt und raucht – für möglich gehalten wird.

Noch in den Worten des machtlosen Gottes am Kreuz kann von den unterm Kreuz Stehenden der Ruf nach Elia gehört werden, obwohl dieser doch bloß seinen Schmerz in die Welt hinausschreit: „Eli, Eli, lama asabthani? Das ist verdolmetscht: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Und etliche, die dabeistanden, da sie das hörten, sprachen: Siehe, er ruft den Elia.“ (Markus 15,34f.) Jesus ruft nicht nach Elia, aber er ruft dessen erschütternde Erkenntnis vom gewaltfreien Gott in Erinnerung, zu dem ihn selbst erst ein Weg voller Gewalt geführt hatte:
Und ein großer, starker Wind, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, kam vor dem HERRN her; der HERR aber war nicht im Winde. Nach dem Wind aber kam ein Erdbeben; aber der HERR war nicht im Erdbeben.
Und nach dem Erdbeben kam ein Feuer; aber der HERR war nicht im Feuer. Und nach dem Feuer kam ein stilles, sanftes Sausen.

Solche Worte der Bibel sind auch Zeitreisende, sind geeignet unsere Verhältnisse durcheinander zu bringen, klingen als Fluch und Segen über die Jahrhunderte hinweg, vermögen unsere allzu interessanten Zeiten, ertragen zu helfen, indem sie uns an den Gott erinnern, der sich selbst seiner Macht entäußert und darin in den Schwachen mächtig ist.

Amen.