Konfirmation am Sonntag Exaudi, 21. Mai 2023

Und zu der Zeit, als der Knabe Samuel Gott dem Herrn diente unter Eli, war des Herrn Wort selten, und es gab kaum noch Offenbarung. Und es begab sich zur selben Zeit, dass Eli lag an seinem Ort, und seine Augen fingen an, schwach zu werden, sodass er nicht mehr sehen konnte. Die Lampe Gottes war noch nicht verloschen. Und Samuel hatte sich gelegt im Tempel des Herrn, wo die Lade Gottes war.Und Gott der Herr rief Samuel. Er aber antwortete: Siehe, hier bin ich!, und lief zu Eli und sprach: Siehe, hier bin ich! Du hast mich gerufen. Er aber sprach: Ich habe nicht gerufen; geh wieder hin und lege dich schlafen. Und er ging hin und legte sich schlafen. Der Herr rief abermals: Samuel! Und Samuel stand auf und ging zu Eli und sprach: Siehe, hier bin ich! Du hast mich gerufen. Er aber sprach: Ich habe nicht gerufen, mein Sohn; geh wieder hin und lege dich schlafen. Aber Samuel kannte den Herrn noch nicht, und des Herrn Wort war ihm noch nicht offenbart. Und Gott der Herr rief Samuel wieder, zum dritten Mal. Und er stand auf und ging zu Eli und sprach: Siehe, hier bin ich! Du hast mich gerufen. Da merkte Eli, dass der Herr den Knaben rief. Und Eli sprach zu Samuel: Geh wieder hin und lege dich schlafen; und wenn du gerufen wirst, so sprich: Rede, Herr, denn dein Knecht hört. Samuel ging hin und legte sich an seinen Ort.Da kam Gott der Herr und trat herzu und rief wie vorher: Samuel, Samuel! Und Samuel sprach: Rede, denn dein Knecht hört. (1. Samuel 3,1-10)

Viermal rufen um einmal Gehör zu finden: das dürfte doch eher das untere statistische Mittel sein bei der Kommunikation zwischen den Generationen, zwischen Eltern und Kindern, Lehrern und Schülern, Pfarrern und Konfirmanden; und das gilt natürlich in beide Richtungen. Denn was die Jugend an alterstypischer Renitenz mitbringt, gleicht die ebenfalls altersgemäße Taubheit der Alten – nun nicht etwa aus, sondern verstärkt, verdoppelt, potenziert sie. Harthörigkeit trifft auf Schwerhörigkeit, oje. Die einen wollen nicht hören, die anderen können nicht hören. Kurz: Man versteht sich nicht.  

Dafür, dass wir uns gar nicht verstehen können, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, haben wir uns eigentlich ganz gut verstanden in diesem Konfirmandenjahr; zumal auf Camp und Kurs, da ist ja einfach mehr Gelegenheit für die Kommunikation; aber doch auch gelegentlich in unseren donnerstäglichen Nachmittagssitzungen, in denen wir der allgemeinen Mattigkeit aus Arbeitswoche und Schultag immer mal wieder echte Gesprächsmomente über den garstigen Graben der Generationen hinweg abgerungen haben, Lichter der Verständigung – Die Lampe Gottes war noch nicht verloschen – bisweilen sogar einen Geistesblitz, helle Flammen der Erleuchtung – aber lassen wir das! Eine gefährliche Metapher.

Viermal rufen um einmal Gehör zu finden, viermal ruft jemand, damit es einer einmal versteht. Das nächtliche Geschehen zwischen Schüler Samuel und Meister Eli klingt für mich nach so einer klassischen Meister-Eder-und-sein-Pumuckl-Situation. Ihr erinnert Euch hoffentlich an dieses in jeder Weise merkwürdige Gespann aus Eurer Kindheit, fabelhafte Fabelwesen, die den Alltag oft genug auf den Kopf stellten, das Selbstverständliche hinterfragten und dadurch auch uns den Zuschauern fraglich machten; Begebenheiten, in denen oft erst Missverständnisse zum tieferen Verstehen geführt haben; beide, Meister Eder und sein Pumuckl auf ihre Weise Philosophen des Lebens, Propheten der Alltagsweisheit, Meister der Wortfindung und Virtuosen der Wortfindungsstörung.

Neulich haben wir im Familienkreis unsere Erinnerungen durchsucht und gefragt, welche Episode uns die liebste und lustigste war und eigentlich immer noch ist; und wir konnten uns schnell einigen auf die mit dem Pumeister und Edermuckl; und zwar natürlich wegen des Namenspiels, das aber viel mehr als nur der alberne Quatsch ist, der es zu sein scheint, sondern der halbernste Schwank mit den vertauschten Rollen, eine Verwechslungskomödie, der fröhliche Wechsel von hoch und niedrig, der erst das Leben im allgemeinen interessant und das Lernen im besonderen spannend macht.

Ähnliches haben wir mit euch auch in diesem Jahr in einigen kostbaren Augenblicken erlebt, wenn wir den Unterricht gemeinsam so ernst genommen haben, dass wir uns im zeitweisen, vielfachen Tausch der Rollen die Religion gegenseitig gelehrt haben: Was glauben wir eigentlich, wer wir sind und wofür alles ist, was ist? Welchen Sinn denken wir uns für uns und unsere Welt? Welche Bedeutung geben wir den Dingen und den Menschen?

Gerade unsere Namen zeigen an, was sich zumindest unsere Eltern bei uns dachten und für uns wünschten – vielleicht ungefähr so: Benjamin, Sohn des Glücks; Rafael, Gott schenkt Heil; Anna, Hanna, die Begnadete; Clara, die Erleuchtete; Lara, die Lorberbekränzte; Cameron wie Cameron Diaz, erfolgreich und selbstbewusst; Finn, der nordische Wanderer; Tia, die Fröhliche; Florian, der Blühende; Franziska, die Freie; Philipp, der Pferdefreund; Kelley, die Kriegerische; oder Achim, den Gott aufrichtet; so wie auch Prophetenlehrer und Prophetenschüler unserer Geschichte sprechende Namen haben: Eli, Gott ist der Höchste, und Samuel, der von Gott erhörte, was ja eine hübsche Pointe dadurch bekommt, dass in unserer Geschichte umgekehrt Samuel der ist, der Gott erhört – allerdings erst beim vierten Anlauf. Und noch der Pumuckl, heißt nicht einfach so, sondern dieser Kobold ist nach Johannes Nepomuk benannt, dem böhmischen und unkomischen Heiligen der Gegenreformation, keine Ahnung, was sich sein Erfinder da gedacht hat.

Viermal rufen um einmal Gehör zu finden, viermal ruft jemand, damit es einer einmal versteht. Dieses produktive Missverständnis, dass wir selbst auch aus den seltenen Situationen kennen, in denen Missverstehen doch noch zur Einsicht gewendet wird, dieses produktive Missverstehen ist das literarische Mittel, uns aufmerksam zu machen für das, worum es unserem Predigttext heute geht, nämlich:

Gott ruft uns.

Gott ruft uns so lange, bis wir ihn hören; sicherlich auch mehr als viermal, zur Not auch viermal vierzigmal, wie es anderer Stelle der Bibel beinahe heißt – solange halt, wie es braucht, dass wir hören.

Gott ruft uns an ungewöhnlichem Ort und zu unerwarteter Zeit – auch nachts – und in Worten und Stimmen, die unseren Lehrern, Eltern, Pfarrern zum Verwechseln ähnlich klingen können.
Was im Umkehrschluss heißt:
Nicht alles, was die uns sagen, muss falsch sein.
Kein Ort, keine Zeit – noch nicht einmal unsere – ist so gottesfern, dass in ihnen Gott nicht sprechen könnte: Die Lampe Gottes ist noch nicht verloschen.
Und schließlich: Wenn wir Gott bisher nicht gehört haben, heißt das nicht, dass er nicht zu uns spricht; und schon gar nicht, dass er es nicht immer wieder versuchen würde, mit uns ins Gespräch zu kommen.
Darum ging es uns im vergangenen Jahr und darum geht es uns heute: Auch wenn des Herrn Wort selten geworden ist, und es kaum noch Offenbarung gibt will Gott mit uns ins Gespräch kommen, immer wieder und immer neu; und sei es durch so merkwürdige Gestalten wie euren Pädagogen und euren Pfarrer.
Durch einen anderen Propheten spricht er zu uns, zu Euch:
„Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst;
Ich habe dich bei deinem Namen gerufen;
Du bist mein!
Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, und wenn du durch Ströme gehst, sollen sie dich nicht ersäufen.
Wenn du ins Feuer gehst, wirst du nicht brennen, und die Flamme wird dich nicht versengen.
Denn ich bin der Herr dein Gott, der Heilige Israels, dein Heiland.“ (Jesaja 43)

Heute ruft Gott euch: Anaëlle, Benjamin, Cameron, Clara, Finn, Florian, Franziska, Hanna, Kelley, Lara, Philipp, Rafael, Tia. Gott ruft euch mit euren Namen. Amen.

Konfi-Gottesdienst 21. Mai 2023
Konfi-Gottesdienst 21. Mai 2023

Predigttext Himmelfahrt 18. Mai 2023

Imagine there´s no heaven
It´s easy if you try
No hell below us
Above us, only sky

Schönes Lied vom großen John Lennon, aber vielleicht nicht die erste Wahl für den Himmelfahrtsgottesdienst; und wenn es wie vor ein paar Wochen in der wundervollen Rambacher Kirche erklingt, führt das zu verstärktem Stirnrunzeln bei den sprachkundigen Gottesdienstbesuchern. Erst die Abwesenheit von Religion und also ein leerer Himmel soll Frieden und Liebe bringen? Während ihre Gegenwart zu fürchten wäre? – das ist eher nicht die reine Lehre, die sie in einem evangelischen Gottesdienst erwarten dürfen.

Andrerseits ist die hier gemachte Unterscheidung von religiösem heaven und natürlichem sky schon relevant, wie auch das Vorstellen und Träumen einer besseren möglichen Welt und die Frage von Gegenwart und Abwesenheit eben auch. Gerade darum soll es heute gehen: um die Präzisierung von Jesu Abwesenheit durch seine Himmelfahrt.

Und es geschah, als er sie segnete, schied er von ihnen und fuhr gen Himmel. (Lukas 24,51)

Viel mehr als eine Abwesenheitsnotiz ist das hier ja nicht, sondern etwa so wie auf unserem Email-Account oder auf der Mailbox; meistens wird einem dort nur mitgeteilt, dass der, den man erreichen wollte, gerade nicht erreichbar ist, was man sich aber schon denken konnte, weil man ihn ja nicht erreicht hat. Im besten Fall bekommt man noch gesagt, wo der Betreffende gerade ist und an wen man sich in dringenden Angelegenheiten wenden kann. So auch hier.

Aus der Abwesenheitsnotiz, die Lukas im Namen Jesu aufspricht und für uns notiert, geht hervor, dass dieser in den Himmel gefahren – eigentlich: „hochgehoben“ oder „fortgetragen“ – ist. Hier auf Erden werden wir ihn vergeblich suchen; wer etwas von ihm will, wende sich bitte an den Himmel; womit uns aber wie so oft bei solchen Ansagen nicht sehr viel weitergeholfen ist, denn wo ist der Himmel und wie erreiche ich ihn?

Eine Abwesenheitsnotiz dient der Bewältigung von Abwesenheit; es geht darum, sie überhaupt wahrzunehmen, zu wissen, woran man ist, und auszuhalten; auch unseren Ärger auszuhalten über das nicht stattfindende Gespräch, oder unsere Trauer auszuhalten darüber, dass ein Gespräch nie wieder stattfinden wird. Es geht auch darum, sie pragmatisch zu bewältigen, Alltagslösungen zu finden, das Leben trotz Abwesenheit des einen, einzelnen, wichtigen weitergehen zu lassen; nicht unbedingt Ersatz zu schaffen für den womöglich Unersetzlichen, aber doch Ersatzlösungen zu finden, um die Lücke herum; ein Leben zu finden unter den Bedingungen der Abwesenheit.

Oft hilft dabei, eine unbestimmte Abwesenheit in eine bestimmte zu überführen, also zu wissen, wo der Abwesende ist; Eltern geht es so, wenn sie nicht nur bemerken, dass der Nachwuchs weg ist, sondern dazu auch wissen, wohin weg; aber manchmal will man es auch gar nicht so genau wissen. Mit der Bestimmung des Abwesenheitsortes als Himmel ist allerdings nicht viel gewonnen, denn nach der Bibel ist der Himmel nicht nur Wohnsitz Gottes, sondern auch – und durchaus im Widerspruch dazu – die uns abgewandte Seite der Schöpfung, in keinem Fall aber das, was wir als Himmel über uns wahrnehmen und in gar keinem Fall ein Ort, den wir kennten oder über den wir etwas wüssten.

Die gleich mehrfache Unverfügbarkeit des Himmels als Wohnort Gottes, als unbekannte, unerkannte Schöpfung, als Universum – „unendliche Weiten, die nie zuvor ein Mensch gesehen hat“ – macht ihn zum idealen Rückzugsort des abwesenden Jesus – abwesender geht’s nicht! – allerdings ohne unsere Bedürfnisse nach Bestimmtheit des Abwesenheitsortes zu befriedigen. Wenn wir wissen, dass Jesus im Himmel ist, wissen wir immer noch nicht, wo er ist.

Dennoch ist der Himmel in diesem Sinne mehr als nur ein unbestimmter Grenzbegriff, sondern als der uns abgewandte Bereich der Schöpfung ein unerschöpftes Reservoir noch nicht verwirklichter Möglichkeiten; mehr noch: als Wohnort Gottes ist dieses Reservoir nicht nur unerschöpft sondern unerschöpflich, grenzenlos, unendlich weit. Von dort her, vom Himmel hoch, kommen – ganz im Sinne John Lennons – die Imaginationen und Träume eines besseren Lebens; gute Mär für die Glaubenden, auch die ungläubig Glaubenden.

Noch als Abwesender versorgt uns der in den Himmel gefahrene Jesus so mit dem für ein besseres Leben Notwendigen aus dem Himmel herab, geistliches Manna in den Wüsten unserer Welt: Bilder des Friedens, Berichte von überwundener Not, Geschichten gelingender Gemeinschaft, Erzählungen von Menschen als Schwestern und Brüder – als Möglichkeiten besseren Lebens gegenüber der wirklichen Welt, nach denen wir diese gestalten sollen; wirksame Träume aus dem Himmel für unsere Erde:

You may say I´m a dreamer
But I´m not the only one
I hope someday you´ll join us
And the world will live as one

Beauftragung neuer Prädikantinnen und Prädikanten

Zwei Frauen und drei Männer wurden in einem festlichen Gottesdienst in der Wiesbadener Thomasgemeinde von Propst Oliver Albrecht als Prädikantinnen und Prädikanten beauftragt. Die mehrjährige Prädikantenausbildung haben Annegret Dietz (Martin-Luther-Gemeinde), Birgit Schmidt und Alexander Scholz (beide Johannesgemeinde), Thomas Seitz (Breckenheim) und Michaela Balonier (Odenwald) berufsbegleitend durchlaufen.

Zum Artikel auf der Seite des Dekanats Wiesbaden

Bild: Andrea Wagenknecht

Einladung zur ökumenischen Pilgerwanderung am 13. Mai

Vom Treffpunkt an der Thomaskirche führt uns der Weg zunächst durch das Eigenheim zur „Feldkapelle“ am Ende des Tennelbachtals. Von dort geht es weiter zum Goldsteintal, um dann im hohen Bogen nach Rambach zur evangelischen Kirche zu pilgern. Diese Kirche im neugotischen Stil erinnert in Bauart und Umgebung an englische Kirchen auf dem Lande. Auch ihr Innenraum ist in Proportion und Ausstattung überaus gelungen und jeden Besuch wert.

Treffpunkt: Samstag, 13.5.2023, 11:00 Uhr, Thomaskirche, Richard-Wagner-Straße 88

Ziel: Evangelische Kirche Rambach, Kirchweg 5; gegen 13.00 Uhr. Von dort Anschluss per Stadtbus Linie 16.

Einladung zum Vorstellungsgottesdienst am 7. Mai

Wir laden Sie herzlich zum Vorstellungsgottesdienst unserer Konfirmandinnen und Konfirmanden zum Thema Gerechtigkeit ein. In diesem Gottesdienst werden unsere Konfirmandinnen und Konfirmanden ihre Gedanken und Ideen zu diesem wichtigen Thema vorstellen und teilen.

Wir glauben, dass es heute wichtiger denn je ist, sich für Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft einzusetzen und deshalb freuen wir uns sehr darauf, die Perspektiven unserer jungen Gemeindemitglieder zu hören.

Der Vorstellungsgottesdienst findet am kommenden Sonntag um 10:00 Uhr in unserer Kirche statt. Wir freuen uns auf Ihr Kommen und Ihre Unterstützung für unsere Konfirmandinnen und Konfirmanden.

Gottesdienst im Nachbarschaftsraum in Rambach am 30. April

Evangelische Kirche Rambach

Am Sonntag, den 30. April, findet der nächste gemeinsame Gottesdienst im Nachbarschaftsraum von Thomasgemeinde, Versöhnungsgemeinde und Thalkirchengemeinde sowie Rambach in der Rambacher Pfarrkirche um 17:00 Uhr statt. Gestaltet wird dieser liturgisch durch die Pfarrer:innen Petra Hartmann, Thomas Hartmann und Dr. Klaus Neumann. Außerdem singt der Chor Five Seasons. Im Anschluss sind alle Gäste herzlich eingeladen zum Grillen und Umtrunk vor der Kirche oder im Gemeindehaus.

Misericordias Domini, 23. April 2023

Die Ältesten unter euch ermahne ich, der Mitälteste und Zeuge der Leiden Christi, der ich auch teilhabe an der Herrlichkeit, die offenbart werden soll: Weidet die Herde Gottes, die euch anbefohlen ist, und achtet auf sie, nicht gezwungen, sondern freiwillig, wie es Gott gefällt, nicht um schändlichen Gewinns willen, sondern von Herzensgrund, nicht als solche, die über die Gemeinden herrschen, sondern als Vorbilder der Herde. So werdet ihr, wenn erscheinen wird der Erzhirte, die unverwelkliche Krone der Herrlichkeit empfangen. (1. Petrus 5,1-4)

Eine dringende Verwechslungsgefahr besteht nicht, liebe Schwestern und Brüder, wenn eine Gottesdienstgemeinde am Ostermontag zum Osterspaziergang durchs Tennelbachtal zieht – auch wenn …, auch wenn am selben Ort eins zweimal im Jahr eine Schafherde gesichtet wird, sie etwa – wie schon gelegentlich erlebt – im Herbstnebel wie eine Fata Morgana morgens beim Brötchenholen auftaucht, was man kaum für möglich gehalten hat und erst ein zweites Hinsehen bestätigt, dass einem nicht die homiletische Phantasie durchgeht, sondern in einer höchst realen pastoralen Szene hier Schafe, Hunde, Hirten wie aus der Kinderbibel begegnen.

Und schon der zweite Blick auf das schöne Bild vom Hirten und seiner Herde bestätigt ja auch die leisen Zweifel, die man eigentlich schon immer hegte, an seiner Eignung als Metapher für Gottesbeziehung und Gemeindeordnung. Das Idyll als Ideal reibt sich an der rauen Realität eines wirtschaftlich prekären Lebens voller Gefahren ohne festen Wohnsitz, den Unbilden des Wetters und wilder Tiere ausgesetzt, im Tennelbachtal dann ja wohl eher Wildschweinen statt Wölfen, doch wer weiß, auch die leben bekanntlich wieder in unseren beschaulichen Wäldern. Hinten im Rheingau hat sich ein Wolfsrudel angesiedelt; und wer weiß, vielleicht rücken die Bären bald nach. Schwere Zeiten für Hirten und ihre Herden.

Und selbst wenn man den rauen Rahmen ausblendet, bleibt immer die Frage, wer Hirte, wer Herde ist und warum. Wenn mein Gott ein Hirte ist, bin ich dann ein Schaf? Und wenn die Gemeinde die Herde ist, sollte sie dann ihrem Pastor, also dem Hirten einfach so folgen? Vor diesen Fragen kann es als positiv gewertet werden, dass eine evangelische Gemeindegruppe auf Wanderschaft spätestens nach 50 Metern – also schon kurz vor dem Tegut – erstmals die Autorität des Hirten in Frage stellt und lieber rechts statt links abbiegt. Anstrengend, aber positiv.

Der Autor des 1. Petrusbriefes, unseres Predigttextes, greift gleich zweimal in seinem Sendschreiben und eher beiläufig ohne Anspruch auf Originalität auf das Hirtenbild der Bibel zurück, und wendet es einigermaßen erwartbar sowohl auf unser Gottes- bzw. Christusverhältnis als auch seine Gemeindeordnung an: Die Gemeindeältesten sollen die Gemeinde als Hirten unter dem „Erz – also Oberhirten“ Christus leiten. Hier verbindet sich das Hirtenbild mit Begriff und Amt der „Ältesten“, der „Presbyter“, wie es natürlich im griechischen Original heißt – und wie in vielen eher reformiert als lutherisch geprägten Gemeinden der Kirchenvorstand bis heute genannt wird.

Mit dem Begriff des „Ältesten“ kommt eine uns Heutigen kaum noch geläufige aber im Altertum selbstverständliche Hochschätzung des Alten als Weisen und Erfahrenen zum Ausdruck, ganz ohne die bei uns übliche Abwertung des Alten als gebrechlich, schwach, obsolet und dem Tode geweiht. Während wir entsprechend heutzutage unser Alter möglichst hinter gefärbten Haaren, glattgezogenem Gesicht und Teeny-Kleidung für Rentner verstecken, ist in Antike und Bibel der Alte der, dessen Meinung gefragt und dessen Entscheidung gefordert ist, so dass sich der Begriff des geehrten Alten schnell zum Titel wandelte, der auch jüngere als die Ältesten bekleiden konnte: Die „Ältesten“ waren – griechisch, römisch, jüdisch – vielfach die Mitglieder des maßgeblichen Entscheidungsgremium eines Gemeinwesens, gleich welchen Alters: Älteste ehrenhalber sozusagen; am bekanntesten vielleicht die römischen „Senatoren“, deren Name sich vom lateinischen „senex“ ableitet – wie unser meistens aus unerfreulichen Zusammenhängen bekanntes Wörtchen „senil“, wie in „senile Bettflucht“; oder das etwas freundlichere „senior“, wie in „Seniorenrabatt“.

In der Herausbildung von Gemeindeordnung und Kirchenverfassung haben die christlich-kirchlichen „Presbyter“ – die „Ältesten“ – eine erstaunliche Karriere gemacht: aus den genannten kulturellen und religiösen Wurzeln heraus waren die Presbyter zunächst eher informelle Berater, Beiräte und Leiter der Gemeinden, durchaus im nicht immer konfliktfreien Gegenüber zu den Aposteln und apostolischen Lehrern, bis sie sich in einer allmählich herausbildenden gestuften Hierarchie der kirchlichen Ämter zwischen Bischöfen und Diakonen einsortierten und als eigenes Amt etablierten: und zwar nicht, wie es sich für unser evangelisches Verständnis gehören würde, als Kirchenvorstand sondern ganz katholisch als Priester. Unser Wort Priester ist zunächst nichts anderes als eine Eindeutschung des griechischen „Presbyter“, dem dann auch die antik und biblisch genuin priesterliche Aufgabe des Opferdienstes und der Mediation zwischen Gott und Mensch zukam, die wir automatisch mit dem Begriff Priester verbinden, die aber mit dem Herkunftsbegriff Presbyter zunächst nichts zu tun hat.

Wenn also unser Autor des Predigttextes hier – am Anfang solcher Entwicklungen – ausdrücklich die Ältesten anspricht: Die Ältesten unter euch ermahne ich; dann dürfen und sollen sich die, die mit Beratung, Leitung und Dienst in der Gemeinde tätig sind, angesprochen fühlen. Hat er auch uns was zu sagen? Jedenfalls!

Der Autor skizziert das Hirten- und Ältestenamt, also das Leitungsamt der Kirche, als Ehrenamt; womit schon alles gesagt wäre, wenn wir unter Ehrenamt eben nicht das unbezahlte Stellen von Tischen zum Gemeindefest oder die rein freizeitliche Beschäftigung mit der Religion als Lifestyle-Enhancement verstehen; auch nicht das Aufhübschen der eigenen höchstpersönlichen Ehre und Herrlichkeit, die sich in Lebensläufen und Jubiläumsreden niederschlagen könnte; sondern allein das Amt ist gemeint, dass sich der Ehre Gottes verpflichtet, soli deo gloria, als Teilhabe an der Herrlichkeit, die offenbart werden soll, als unverwelkliche Krone der Herrlichkeit; wie es in unserem Text so schön heißt.

Diese höhere Ehre Gottes ist nach Meinung unseres Autors der einzige Zweck und das alleinige Ziel unseres Amtes; womit schon wieder alles gesagt sein könnte, wenn wir eben nicht die Menschen wären, die wir sind. Wir mögen unsere jetzige Zeit für die Erfindung unfähiger Kirchenapparate, unwürdiger, ja verbrecherischer Geistlicher, oder ungläubiger Gläubiger verantwortlich machen; heute werden wir eines Besseren belehrt. Die feinen, lebensklugen und lebenspraktischen Abgrenzungen unseres uralten Textes zeigen, dass unsere Probleme die seinigen sind und seine die unsrigen:

Weidet die Herde Gottes, die euch anbefohlen ist, und achtet auf sie,
nicht gezwungen, sondern freiwillig, wie es Gott gefällt,
nicht um schändlichen Gewinns willen, sondern von Herzensgrund,
nicht als solche, die über die Gemeinden herrschen, sondern als Vorbilder der Herde.

Unser Autor wird wissen, wovon er spricht; ohne die Realität solcher Übertretungen müsste es keine Vorschrift geben. Wenn er äußeren Zwang, Aussicht auf eigenen Gewinn oder persönlichen Vorteil, Streben nach Macht anklagt, wird es sie gegeben haben, wie bei uns; bis hin zu dem in jeder Weise verabscheuungswürdigen Vergehen, sich an denen zu vergehen, die einem als Geistlicher anvertraut sind. Schändlicher, ehrloser könnte der Gewinn nicht sein, den ich aus meinem Ehrenamt erzielen wollte.

Seinen Abgrenzungen stellt unser Autor Freiwilligkeit, die innere Haltung und feste Überzeugung und die Vorbildfunktion der Leitenden gegenüber, die unser Amt prägen sollen. Das soll so sein, wenn ich auch durchaus Schwierigkeiten mit der Vorstellung von Vorbildern habe, im Allgemeinen und mit mir ganz besonders. „Aber Sie müssen doch Vorbild sein, Herr Pfarrer“ – ist es mir vor allem in den wenig glanzvollen Momenten meines Berufslebens, in Lebenskrisen, im krachenden Scheitern entgegengeklungen. Muss ich das? Will ich das? Vorbild sein? Und: Müsste ich eins haben, ein Vorbild? Hätte ich eins gehabt haben müssen? Angeblich brauchen wir doch alle, besonders die Jugend, Vorbilder. Tut sie das? Etwa uns?

Im Original steht das Wort „Typos“ und die Übersetzung dafür: „Vorbild“ geht nach Auskunft der Lexika in Ordnung. Aber dort finden sich auch Hinweise, die die Vorstellung eines Vorbildes ergänzen und präzisieren. Ein „Typos“ ist ursprünglich etwas „Hineingehautes“, etwas „Eingedrücktes“, eine Form, die man dann füllen kann wie ein Backförmchen, mit der man immer die gleichen Kekse backen kann. Wollen wir das? Immer die gleichen Kekse backen.

Andererseits könnte Vorbild in diesem Sinne nicht die, sondern eine Form des Lebens sein; eine Lebensform unter mehreren oder vielen, an denen ich meine noch zu realisierenden Möglichkeiten des Lebens modellhaft anschauen kann. Kein Model – o graus! – sondern Modell. Will ich so werden, will ich so leben, so glauben wie der oder die? An die Leitenden als Vorbilder der Gemeinde wäre dann die Aufgabe gestellt, Formen oder Modelle des Glaubens zu leben, die diesen Glauben anschaulich machen, insbesondere in der Art, wie sie Krisen bewältigen und das eigene Scheitern aushalten: Nachfolge Christi.

Unser Autor selbst sprengt ein wenig die Fesseln seines Vorbildbegriffs, wenn er ihn mit dem Hirtenbild zusammenbringt. Wie soll ich mir das denn vorstellen, dass der Hirte der Herde ein Vorbild werde? Dass die Schafe Hirten werden? Dass die Hirten dann den Schafen folgen? Soll man sich das wünschen?

Oder dass aus der Herde selbst neue Hirten erstehen? Wäre ja nicht die schlechteste Idee. Vielleicht dass Hirten jeweils auf Zeit Hirten sind und dann wieder zur Herde gehören. Dass wir uns gegenseitig zu Hirten werden können; nicht immer gleichzeitig, dass wäre sicherlich zu anstrengend, wenn wir an jeder Wegkreuzung die Richtung neu auszudiskutieren hätten. Aber vielleicht so als allgemeines Hirtentum, wie Luther es beinahe genannt und sicher gemeint hat, dass wir uns grundsätzlich gegenseitig Hirte, Vorbild, Ältester, Presbyter und Priester sind – und aus praktischen Gründen einige ausbilden und einen oder eine wählen, dieses Amt auszuführen, damit alle dann, wenn erscheinen wird der Erzhirte, die unverwelkliche Krone der Herrlichkeit empfangen. Amen.

Predigttext für den Ostermontag, 10. April 2023

Und siehe, zwei von ihnen gingen an demselben Tage in ein Dorf, das war von Jerusalem etwa sechzig Stadien entfernt; dessen Name ist Emmaus. Und sie redeten miteinander von allen diesen Geschichten. Und es geschah, als sie so redeten und einander fragten, da nahte sich Jesus selbst und ging mit ihnen. Aber ihre Augen wurden gehalten, dass sie ihn nicht erkannten. Er sprach aber zu ihnen: Was sind das für Dinge, die ihr miteinander verhandelt unterwegs? Da blieben sie traurig stehen. Und der eine, mit Namen Kleopas, antwortete und sprach zu ihm: Bist du der Einzige unter den Fremden in Jerusalem, der nicht weiß, was in diesen Tagen dort geschehen ist? Und er sprach zu ihnen: Was denn? Sie aber sprachen zu ihm: Das mit Jesus von Nazareth, der ein Prophet war, mächtig in Tat und Wort vor Gott und allem Volk; wie ihn unsre Hohenpriester und Oberen zur Todesstrafe überantwortet und gekreuzigt haben. Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde. Und über das alles ist heute der dritte Tag, dass dies geschehen ist. Auch haben uns erschreckt einige Frauen aus unserer Mitte, die sind früh bei dem Grab gewesen, haben seinen Leib nicht gefunden, kommen und sagen, sie haben eine Erscheinung von Engeln gesehen, die sagen, er lebe. Und einige von denen, die mit uns waren, gingen hin zum Grab und fanden’s so, wie die Frauen sagten; aber ihn sahen sie nicht.Und er sprach zu ihnen: O ihr Toren, zu trägen Herzens, all dem zu glauben, was die Propheten geredet haben! Musste nicht der Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen? Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in allen Schriften von ihm gesagt war.Und sie kamen nahe an das Dorf, wo sie hingingen. Und er stellte sich, als wollte er weitergehen. Und sie nötigten ihn und sprachen: Bleibe bei uns; denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt. Und er ging hinein, bei ihnen zu bleiben.Und es geschah, als er mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, dankte, brach’s und gab’s ihnen.Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn. Und er verschwand vor ihnen. Und sie sprachen untereinander: Brannte nicht unser Herz in uns, da er mit uns redete auf dem Wege und uns die Schrift öffnete? Und sie standen auf zu derselben Stunde, kehrten zurück nach Jerusalem und fanden die Elf versammelt und die bei ihnen waren; die sprachen: Der Herr ist wahrhaftig auferstanden und dem Simon erschienen.Und sie erzählten ihnen, was auf dem Wege geschehen war und wie er von ihnen erkannt wurde, da er das Brot brach.
(Lukasevangelium 24,13-33)

Zu den peinlichsten Momenten gehört es, nackt dazustehen. Nackt am falschen Ort. Und damit meine ich nicht einmal einen Mangel an Kleidung – das kann ja auch lustig sein; etwa wenn einem der ehemalige Stadtkämmerer im Opelbad begegnet im bauchtiefen Wasser und – keine Angst! – selbstverständlich mit Badehose bekleidet, aber eben nur mit dieser, und wir die Weltlage im allgemeinen und den Gottesdienst vom vergangenen Sonntag im besonderen Revue passieren lassen! – das war ein bisschen peinlich, aber auch sehr komisch; ein bisschen so wie in dem berühmten Sketch von Loriot mit den beiden Herren, die sich unverhofft in derselben Badewanne begegnen; also nicht auf diese Weise nackt ist jetzt gemeint, sondern ich meine das „Nackt-am-falschen-Ort-Dastehen“ im übertragenen Sinne: also keine Ahnung zu haben aber so zu tun als ob: Klugscheißen ohne Klugheit; Rechthaben ohne recht zu haben; ein Kaiser ohne Kleider.

Zu meinen peinlichsten Momenten gehört der, als ich einem Freund und Mitstudenten einen lateinischen Satz verunklärte und nach zähen Minuten falscher Belehrung nicht nur merken musste, dass ich in dieser Sache völlig unrecht hatte, sondern auch, dass mein geduldiger Gesprächspartner ohnehin viel besser diese keineswegs tote aber für mich in diesem Fall tödliche Sprache beherrschte. Was brannte mir Toren in diesem Moment das Herz – aber anders als in der gerade gehörten Geschichte der Emmausjünger.

An diesen und ähnliche Momente der geistigen Nacktheit, von denen es in meiner glanzlosen Theologenlaufbahn leider etliche gibt, fühlte ich mich erinnert, als ich unseren Text für diese Predigt neu gelesen habe: ihre Augen wurden gehalten, dass sie ihn nicht erkannten, was sie aber nicht daran hinderte, ihm, den sie nicht erkannten, sein Leben, Leiden und Sterben zu erklären. Das entspricht ja ziemlich genau der Situation von uns Pfarrern und Predigern, wenn wir den Glaubenden ihren Glauben erklären. Auch das endet regelmäßig in der beschämenden Erkenntnis, dass die Angesprochenen längst wissen und wissend glauben, worum der Geistliche noch ringt. Am interessantesten wird es übrigens dann, wenn der Gesprächspartner seinen Teil mit dem Sätzchen eröffnet: „Wissen Sie, Herr Pfarrer, ich kann das nicht glauben und bin sozusagen bekennender Atheist, aber …“ Dann kann man sicher sein, ganz viel über dessen Glauben und den eigenen Unglauben zu erfahren.

Zu den unerklärlichen und unverdienten Glücksfällen unserer Glaubensgeschichte gehört, dass nicht nur die Emmausjünger sondern auch wir an einen wie Jesus geraten, der unsere Ahnungslosigkeit in geistigen und geistlichen Angelegenheiten nicht krummnimmt; dem zwar ein kräftiges „O ihr Toren“ entfährt, der aber gleichwohl mit ebenfalls unverdienter und unerklärlicher Geduld unsere Nacktheit bedeckt, mit uns im Gespräch bleibt – „immer im Gespräch bleiben!“ sagt der nette, weise und geplagte Vater ehemaliger Konfirmanden im Gespräch an der Supermarktkasse über die unendlichen Qualen der Pubertät und deren Bewältigung – Jesus also, der mit uns ewig religiös Pubertierenden, also des Glaubens sich Schämenden, im Gespräch bleibt, der uns auf unseren Wegen begleitet, uns Aufmerksamkeit schenkt und noch aus unseren törichtsten Einwänden und wunderlichsten Irrtümern Erkenntnisse über das Geheimnis des Glaubens erweckt. Wie das?

Genau so wie es in unserer Geschichte steht: Brannte nicht unser Herz in uns, da er mit uns redete auf dem Wege und uns die Schrift öffnete? Und: und wie er von ihnen erkannt wurde, da er das Brot brach. Natürlich gibt es 1000 weitere Arten, Gott und seinem Sohn zu begegnen, aber die beiden hier genannten und gemeinten scheint Jesus für besonders erfolgversprechend zu halten: Nimm hin, und lies; nimm hin, das ist mein Leib, mein Blut, iss und trinke! In sein Wort und sein Mahl ist Jesus für uns auferstanden, heißt das doch. In den Sakramenten der Heiligen Schrift und des Abendmahls öffnen sich für uns Türen zu Gott: Machet die Türen weit und die Tore in der Welt hoch! Lasst ihn mit Wort und Brot in eure Welt.

Aber auch das weiß jeder, der schon einmal durch eine Tür gegangen ist: Türen öffnen sich, schließen aber eben auch, klemmen, werden verriegelt, werden zugeschlagen, bleiben verschlossen. Macht das was?

Macht nichts, denn auch darauf hat unsere erstaunliche Geschichte eine Antwort, oder gibt zumindest einen Hinweis: Eben noch wird von Jesus als unverhofftem und zunächst unerkanntem Abendmahlsgast gesprochen: Und er ging hinein, bei ihnen zu bleiben.Und es geschah, als er mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, dankte, brach’s und gab’s ihnen. In diesem Moment erkennen sie ihn: Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn. Woraufhin Jesus die Szene – und zwar nicht durch eine Tür, also geistergleich – verlässt: Und er verschwand vor ihnen. Exit Ghost, wie es bei Shakespeare heißen würde und heißt: Exit Ghost. Was aber in einem schönen Paradox nicht zuerst die Abwesenheit des physischen Jesus betont, sondern seine geistige Anwesenheit in Wort und Brot bezeugt. Weg ist er – aber auf eine sehr qualifizierte Weise auch ganz gegenwärtig.

Oder anders: Noch nicht einmal auf Tür oder Tor ist er angewiesen bei seinem Besuch bei uns Toren. Er wird jedenfalls auch Wege zu uns finden, von denen unsere Schulweisheit nichts ahnt, auf die wir aus Torheit stolzer sind, als es weise wäre zu sein. Er wird das nicht gegen uns verwenden, sondern die Blöße unseres Unglaubens, unserer Überheblichkeit und unserer Verbohrtheit zudecken mit dem Mantel seiner Wahrheit und dem Kleid seiner Gerechtigkeit. Amen.