Predigttext für den 22. März 2020, Sonntag Lätare, 4. Sonntag in der Passionszeit

Freuet euch mit Jerusalem und seid fröhlich über die Stadt, alle, die ihr sie lieb habt! Freuet euch mit ihr, alle, die ihr über sie traurig gewesen seid. Denn nun dürft ihr saugen und euch satt trinken an den Brüsten ihres Trostes; denn nun dürft ihr reichlich trinken und euch erfreuen an dem Reichtum ihrer Mutterbrust. Denn so spricht der HERR: Siehe, ich breite aus bei ihr den Frieden wie einen Strom und den Reichtum der Völker wie einen überströmenden Bach. Ihre Kinder sollen auf dem Arme getragen werden, und auf den Knien wird man sie liebkosen. Ich will euch trösten,wie einen seine Mutter tröstet; ja, ihr sollt an Jerusalem getröstet werden. Ihr werdet’s sehen und euer Herz wird sich freuen, und euer Gebein soll grünen wie Gras. Dann wird man erkennen die Hand des HERRN an seinen Knechten und den Zorn an seinen Feinden. (Buch des Propheten Jesaja 66,10-14)

Eine weitere Woche im Schatten des Virus, das sich ausbreitet, schneller und immer schneller. Berichte von Sterbenden, unzureichend versorgt, unbegleitet und ungetröstet, immer noch und immer mehr; Lastwagen der Armee fahren die Särge aus den Krankenhäusern – eigentlich Sterbehäusern – zu den Friedhöfen von Bergamo. Wann können wir das wieder hören: Freuet euch mit Bergamo und seid fröhlich über die Stadt, alle, die ihr sie lieb habt! Denn liebenswert ist sie – die Menschen sowieso – und wunderschön, besonders die Bergstadt, die „Citta Alta“, die beinahe etwas Jerusalemartiges hat, als Stadt auf dem Berg über dem Tal. Und wann können wir sie wieder besuchen und zeigt sich an ihr, was auf uns zukommt? Was kann uns trösten?

Ich will euch trösten, wie einen eine Mutter tröstet, spricht Gott durch seinen Propheten auch zu uns. Das leuchtet erstmal sofort ein: Trost als mütterlichen Trost zu erklären – auch wenn unser Text hier expliziter beschreibt, als wir uns (also ich mich) das selbst trauen würden. Die stillende Mutter als Inbegriff des Trostes leuchtet ein und hat den Religionen in ihren Muttergottheiten schon immer eingeleuchtet, auch der katholischen Tradition, an der wir Evangelische teilhaben, in der Mutter Gottes. Luther soll Zeit seines Lebens – also auch nachreformatorisch – auf ein Madonnenbild in seinem Zimmer geblickt haben.

Wenn wir uns Gott denken wollen, sollen wir an eine stillende Mutter denken – und es gehört vielleicht zu den besonders subtilen Angriffen des modernen Atheismus, wenn stillende Mütter aus der Öffentlichkeit etwa von Cafés vertrieben werden. Oder: ich habe mal staunend und wütend miterleben müssen, wie eine stillende Mutter, die spiegelbildlich vor einem Marienbild mit Jesusbaby saß, aus einem Museum gebeten wurde. Was soll das?

Kernkompetenz von Müttern ist trösten, auch wenn die Kinder dem Stillalter entwachsen sind. „Morgen sieht die Welt schon ganz anders aus“ hat meine Mutter – Gott hab sie selig – gesagt und uns in den Arm genommen, wenn uns ein Kummer, ein Schmerz geplagt hat. Und auch wenn die Welt am nächsten Tag nicht immer „ganz anders“ aussah, hat mich das getröstet. Das „ganz andere“ konnte schon darin bestehen, bestand vor allem darin, dass wir nicht alleine ertragen mussten, was uns da plagte. Unsere Mutter hat uns beigestanden, so wie uns Gott besteht, das Unerträgliche zu ertragen. Wir sind nicht allein.

Deswegen – weil Gott mit uns Gemeinschaft und uns in Gemeinschaft will – berühren mich die Berichte aus der Lombardei, aus Bergamo, dieser wunderschönen Stadt, so sehr, wenn Menschen unbegleitet, ungetröstet zu Grabe getragen werden. Deswegen hat der katholische Stadtdekan von Frankfurt Johannes zu Eltz recht, wenn er von der Notwendigkeit, ja Systemrelevanz des Gottesdienstes spricht (katholisch.de), in dem wir uns der Nähe Gottes versichern und sie feiern, und von dem Schmerz, gegenwärtig keinen Gottesdienst feiern zu können. Und deswegen versuchen wir – irgendwie unbeholfen und unter Wahrung der notwendigen sozialen Distanz – Nähe wenigstens zeichenhaft darzustellen: mit der Einladung zum Gebet beim Glockenschlag oder mit dem Angebot bei den Einkäufen zu helfen.

Was bleibt uns sonst außer der Angst vor dem Virus und dem Dank an alle, die jetzt noch viel mehr als sonst und unter so schweren Bedingungen arbeiten für uns, Ärztinnen und Ärzte, Pfleger und Schwestern zuerst, aber auch die Menschen in Supermärkten und Entsorgungsbetrieben, aber doch auch die Politiker wie unsere Bundeskanzlerin (die von manchen manchmal „Mutti“ genannt wurde, und für die wenigstens ich gerade jetzt besonders dankbar bin, nicht nur im Hinblick auf die oft merkwürdigen Landesherren anderer Staaten).

Was bleibt sonst? Sonst bleibt eigentlich nur die sichere Hoffnung auf das Ende der Seuche, wenn Straßen und Plätze, Schulen und Theater, Gotteshäuser und Fußballstadien sich wieder beleben. Auch davon scheint unser Prophet zu wissen: Ihr werdet’s sehen und euer Herz wird sich freuen!

Ihr Klaus Neumann, Pfarrer

250 Jahre Ludwig van Beethoven (1770-1827): Die Missa solemnis (1824)

Das berühmteste aller Beethoven-Portraits (J.F. Stieler, 1820) zeigt den großen Jubilar mit selbstbewusstem, sinnendem Blick, romantischer Sturmmähne, feuerrotem Tuch und einem Skizzenbuch in der Hand. „Missa solemnis“ steht auf dem Deckblatt. Beethoven selbst nannte sie mehrmals sein „größtes Werk“. Kaum ein Stück hatte ihn über so viele Jahre (1817-1824) in Atem gehalten, noch nicht einmal seine parallel entstandene, ebenso monumentale „Neunte“. Ursprünglich war die „feierliche Messe“ für die Inthronisation des Erzherzogs Rudolph zum Erzbischof von Olmütz 1820 gedacht. Doch der Komponist hielt die Frist nicht ein. Das Projekt wuchs und wuchs und verlangte immer mehr Zeit. Beethoven erklärtes Ziel lag jenseits aller üblichen Zwecke, selbst dem einer Bischofsweihe. Es ging ihm um „wahre Kirchenmusik“. So schrieb er 1821 dem Erzbischof, seinem Freund, Förderer und Schüler: „Höheres gibt es nichts, als der Gottheit sich mehr als andere Menschen nähern, u. von hier aus die Strahlen der Gottheit unter das Menschengeschlecht verbreiten“. Die Missa solemnis hat den Charakter einer Bekenntnismusik, zum eigenen Trost und zum Wohle der
Menschheit.

Dass Beethoven ausgerechnet eine Messe für sein gelungenstes Werk hielt, ist schon bemerkenswert. Denn auf die Institution Kirche war der Komponist nicht immer gut zu sprechen. Seine geistlichen Werke lassen sich an einer Hand abzählen. Er war kein Kirchgänger und spöttelte gern über den Klerus. Als kritischer Geist verfolgte er aufmerksam die Umbrüche seiner Zeit, die Aufklärung, die Französische Revolution, die napoleonischen Kriege. Die alten Autoritäten, ob weltlich oder klerikal, stellte er prinzipiell in Frage und hing doch finanziell von ihnen ab. Zeitgleich lässt sich in Tagebüchern und Briefen eine Hinwendung zur Religion, eine intensive Beschäftigung mit Fragen des Glaubens feststellen. Während der akribischen Arbeit an der Missa solemnis war Beethoven von Krankheit, Geldsorgen und dem Vormundschaftsstreit um den Neffen geplagt und oft am Rande der Verzweiflung. Bei der Musikalisierung des Jahrhunderte alten und schon tausendfach vertonten Messtextes suchte er, taub und isoliert, nach eigenen Antworten. 1824 dann schrieb er, bei dieser Messe sei die „Hauptsache“, „sowohl bei den singenden als Zuhörenden religiöse Gefühle zu wecken und dauernd zu machen.“

Wie so oft bei Beethoven, dem „Titanen“, überschreitet auch die Missa solemnis alle Grenzen des Gewohnten. Zeitgenössische Kritiker suchten verwirrt nach passenden Umschreibungen. Auch heute noch kann sich der Zuhörer halb hingezogen, halb ausgeliefert fühlen, so schnell folgen nach dem „Knall“ des ersten Taktes die gegensätzlichsten Ideen in dem großen, festen Gefüge aufeinander. Kirchenmusikalische Vergangenheit wie
Choräle und Fugen wechseln mit Opernhaftem und Sinfonischem, plötzliche Momente tiefster Innerlichkeit bei den Solisten mit gewaltigen Klangströmen des Chores. Mittendrin fällt überraschend ein sanftes Violinsolo (Benedictus) vom Himmel. Beim „Dona nobis pacem“ erklingt drohende Kriegsmusik mit Blech und Schlagwerk, womit der Rahmen des Liturgischen nun vollends verlassen wird. Der Schluss bleibt absichtlich in der Schwebe. Auch das gehört zu Beethovens persönlichem Bekenntnis.

Konzerttipp: Rheingau Musik Festival, 20.8.2020; CD-Tipp: Einspielungen
unter Frieder Bernius (Carus 2019) und Nikolaus Harnoncourt (Sony 2016).

Anne Sophie Meine

Predigttext für den 15. März 2020, Sonntag Okuli, 3. Sonntag in der Passionszeit

Und als sie auf dem Wege waren, sprach einer zu ihm: Ich will dir folgen, wohin du gehst.
Und Jesus sprach zu ihm: Die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.
Und er sprach zu einem andern: Folge mir nach! Der sprach aber: Herr, erlaube mir, daß ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe.
Aber Jesus sprach zu ihm: Laß die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes!
Und ein andrer sprach: Herr, ich will dir nachfolgen; aber erlaube mir zuvor, daß ich Abschied nehme von denen, die in meinem Haus sind.
Jesus aber sprach zu ihm: Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes. (Lukasevangelium 9,57-62)

Laß die Toten ihre Toten begraben. Kein einfaches Wort in diesen Zeiten – und sonst ja auch nicht. Denn hier wird die Nachfolge mit der Erwartung des ganz nahen Gottesreiches verbunden. Ein Abschied wird gefordert von allen bisherigen Bindungen und Loyalitäten um sich ganz Jesus anzuhängen angesichts einer unmittelbar bevorstehenden Umwälzung aller Verhältnisse durch Gott. Das passt nicht zu uns ordentlichen Leuten in bürgerlichen Existenzen in einem meistens gleichmäßig dahingleitenden und allseits gesicherten Leben. Aber irgendwie gelingt es der Predigt dann doch meistens Nachfolge und Gottesreich soweit zu domestizieren, dass sie zu uns passen. (Und was nicht passt, wird …)

Heute ist alles anders. Die Glocken bleiben stumm, die Kirchentür geschlossen, die Kirche leer. Und wir hören und lesen von Menschen, die alleine leiden und sterben müssen. Nicht nur kann ihnen medizinisch nicht mehr geholfen werden, sondern sie bleiben auch unbegleitet und ungetröstet durch Angehörige oder Geistliche. Lasst die Toten ihre Toten begraben – das klingt normalerweise bloß unpassend, heute klingt es unerträglich passend.

Ich verstehe, dass Menschen in Seuchenzeiten voreinander geschützt werden müssen und habe ganz nebenbei in diesen Tagen gelernt, dass sich unsere Quarantäne (in der das lateinisch – italienische Wort Quaranta/Vierzig wiederklingt) einer Idee aus der Bibel verdankt. Aber es überfordert mich, dass in dieser Situation Nächstenliebe nur in der Trennung von meinen Nächsten bestehen kann. Deshalb sollten wir jede Gemeinsamkeit, die nicht den direkten und deshalb gefährlichen Kontakt erfordert, um so mehr fördern und pflegen: Winkt euch zu, ruft euch an, nutzt soziale Netzwerke!

Unsere Quarantäne fällt in die vierzig Tage vor Ostern, die Passionszeit, in der Christen seit jeher Verzicht einüben und Buße tun. „Das Kreuz der Asche segne deine Umkehr“, haben Stefan Herok und – von ihm eingeladen – auch ich den Kindern der Schumannschule am Aschermittwoch zugesprochen. Was in den Jahren zuvor auch spielerisch gemeint war, wird nun ernst. Die Tage und womöglich Wochen der Quarantäne zwingen uns Verzicht auf und nötigen uns, unser Leben auf Wesentliches zu reduzieren. Und – wie gesagt – die erzwungene Isolation macht es so schwer, die uns Menschen gemäße und von Jesus geforderte Gemeinschaft zu pflegen. „Sieben Wochen ohne …“ Gemeinschaft und direkte Kommunikation – darauf wäre jetzt kein flotter Texter für fromme Passionskampagnen gekommen. (Allerdings verlangt schon der diesjährige Slogan „Sieben Wochen ohne Pessimismus“ dem theologischen Verstand alles ab.)

Uns bleibt die Hoffnung auf eine Rückkehr in unser normales Leben und die Gewissheit, das Gott uns dahin begleiten wird. Unser Predigttext hat neben seiner Irritation eine grundsätzliche Botschaft der Hoffnung: Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes. Wir sollen nach vorne blicken.Selbst die pessimistischste Prognose für die aktuelle Seuche lässt die allermeisten von uns unbehelligt.

Und wenn wir jetzt nicht miteinander beten können, dann lasst uns einstweilen füreinander beten.

Bleiben Sie gesund!

Ihr Klaus Neumann, Pfarrer

Betrifft: Vorsicht in Zeiten von Corona

Die Thomasgemeinde informiert:

Alle Veranstaltungen, zu denen Menschen auf engem Raum zusammenkommen, bergen das Risiko, dass Viren übertragen werden und anschließend in neue Kreise der Bevölkerung gelangen. Dies gilt umso mehr für Veranstaltungen, zu denen Menschen überregional anreisen. Deshalb sagen wir alle Gottesdienste und Veranstaltungen bis zunächst 20. April ab.

Falls eine Änderung (hoffentlich zum Besseren) eintritt, werden wir rechtzeitig darüber informieren.

Bitte bleiben Sie gesund!

Ökumenische Impulse

Lebendiger Adventskalender 2019
Diese nachbarschaftliche Aktion, so wunderbar einfach und individuell gestaltet, hat alle Erwartungen übertroffen. Mit Gedichten, Geschichten, Liedern, Plätzchen und Tee wurde an 23 Abenden Advent gefeiert. Pünktlich um 19 Uhr empfingen die Gastgeber aus St. Mauritius oder aus der Thomasgemeinde bis zu 30 Gäste vor ihrer Haustür. Ein großes Dankeschön an alle, die mitgemacht haben! Bis zum nächsten Advent dauert es zwar noch ein Dreivierteljahr, aber wir sind jetzt schon sehr gespannt!

Rund um die Pfitznerstraße
Als erste hatten Vertreter von St. Mauritius im Redaktionskreis „Miteinander“ die Vertreter der Thomasgemeinde auf das Thema (vgl. Wiesbadener Kurier) aufmerksam gemacht. Beide Gemeindevertretungen haben sich jeweils in einem Brief an den Ortsbeirat mehrheitlich für die Umbenennung der Pfitznerstraße, d.h. gegen eine Ehrung der Person, ausgesprochen. Es wurde u.a. auf das christliche Selbstverständnis verwiesen, mit dem Judentum seit jeher und für immer geschwisterlich verbunden zu sein. Angesichts des aufflammenden Antisemitismus ist auch aus historisch begründeter Verantwortung heraus ein dezidiertes Zeichen zu setzen. Im Brief des Thomas-KVs wurde zudem
angeboten, die Anwohner mit Spenden oder freien Kollekten bei den Unkosten zu unterstützen.Dass die Umbenennung nun von der Stadtverordne-tenversammlung beschlossen wurde, ist ein wichtiges Signal. Denn die eingesehenen Archiv-Quellen offenbaren die Geisteshaltung des Komponisten und Schriftstellers Hans Pfitzner in harten Fakten. Nur vier Beispiele:
Pfitzners judenfeindliche Schriften (1919-1949), u.a. die „Glosse zum II. Weltkrieg“, in der er den Holocaust verharmloste. Seine eifrigen Aktivitäten 1934 im NS-Wahlkampf. Seine Freundschaft zum „Schlächter von Polen“ Hans Frank. Seine Denunziation: er verriet seinen Freund aus Kindertagen, Paul Cossmann (gest. 1942 im KZ Theresienstadt).
Anne Sophie Meine (14.2.2020)

Ich glaube, hilf meinem Unglauben! (Markus 9, 24)

Auf halbem Weg zwischen Glauben und Zweifel trifft mich dieses Wort. Wo kommt es her? Ein über seinen kranken Sohn verzweifelter Vater schreit es Jesus entgegen, der soll ihm helfen: Ich glaube, hilf meinem Unglauben! Von Kind auf quält den Sohn ein sprachloser Geist, reißt ihn in Anfällen hin und her, droht ihn zu zerreißen, den Vater gleich mit. Es wäre keine Wundergeschichte aus dem Neuen Testament, wenn sie nicht glücklich endete: Jesus bedroht den sprachlosen Geist und gebietet ihm auszufahren und er fährt aus. Und dann liegt der Sohn da wie tot, sodass alle sagen, er sei tot. Jesus aber ergreift seine Hand und richtet ihn auf – und er steht auf! (Markus 9,14 – 29, stark gekürzt) Auch eine Auferstehungsgeschichte!

Nicht selten ist Sprachlosigkeit für unsere Probleme verantwortlich, einen dämonisch gedachten sprachlosen Geist müssen wir gar nicht annehmen; wenn das Gespräch zwischen ehemals Liebenden verstummt; wenn ich meinen Kindern nicht sagen kann, was mir wichtig ist, und umgekehrt; wenn Partner sich nichts mehr zu sagen haben. Wer redet, ist nicht tot, aber umgekehrt: wer immer nur schweigt, ist schon beinahe halbtot. Vielleicht ist es ja doch ein böser Geist, der uns die Sprache nimmt; nicht einfach nur die Worte im Munde verdreht, wie das in alten Zeiten der Teufel (der diabolus, der alles „Durcheinander-Werfer“) gemacht hat, sondern uns die Worte stiehlt, uns verstummen lässt.

Einiges spricht dafür, dass auch für unsere religiösen Probleme, für unseren Unglauben, für unsere Zweifel an Gott dem Vater, dem Allmächtigen, dem Schöpfer des Himmels und der Erde, und unsere Zweifel an Jesus Christus, seinem eingeborenen Sohn, und unsere Zweifel am Heiligen Geist eine Sprachlosigkeit Schuld ist. Wir können nicht (mehr?) darüber reden, was uns unbedingt angeht; nicht mehr davon, woher wir kommen, wohin wir gehen. Selbst wenn wir nicht einfach bloß abgelenkt sind und vor uns hindatteln (wer täte das nicht?), sondern uns um ernsthafte Dinge kümmern: Wissenschaft, Technik, Medizin (wer tut das schon?). Die erklären so viel, erleichtern, verbessern unser Leben, aber selbst sie können nicht unsere Lebensfragen beantworten. Hauptsache gesund? Auch der gesunde Greis ist nicht unsterblich und will wissen, wohin er geht. Das perfekte Fahrzeug kann uns überallhin und bequem transportieren, aber warum eigentlich? Irgendwann landet jeder SUV sonntags früh beim Bäcker, der auch zu Fuß erreichbar wäre. Und das menschliche Wissen war noch nie so umfassend wie heute, aber es scheint vor allem neue Fragen zu produzieren: Ich weiß, dass ich nichts weiß; das ist schon eine Menge, aber keine wirklich neue Erkenntnis.

Es ist der Alltagsatheismus, der entweder alles zu wissen meint oder von nichts Wichtigem wissen will, der uns religiös sprachlos macht. Und es braucht diese Grenzsituationen, wie sie unsere Wundergeschichte beschreibt – schlimme Krankheit, das Leiden unserer Kinder, Menschen in Not, Todesangst und Todeswirklichkeit – um uns unsere Sprachlosigkeit, unseren Unglauben zu zeigen, sie aufzubrechen, damit wir auch – vielleicht – sagen können: Ich glaube, hilf meinem Unglauben!

Unsere seltsame Wundergeschichte endet mit einem seltsamen Satz: Auf die Frage der Jünger, warum sie den sprachlosen Geist nicht austreiben konnten, antwortet Jesus: Diese Art kann durch nichts ausfahren als durch Beten. Also: Sprachlosigkeit kann nur durch Sprechen überwunden werden, Unglauben nur durch Glauben. Wenn ich verstumme, brauche ich einen, der mich anspricht, der mich aus meinem Schweigen erlöst. Und ich brauche einen Fürsprecher, der gelegentlich ein gutes Wort für mich einlegt bei den Menschen und bei Gott: Kommt, reden wir zusammen; wer redet, ist nicht tot.

Klaus Neumann, Thomasgemeinde

Meine Zeit steht in Gottes Händen – Psalm 31

Nach einem wunderschönen Urlaub und am Ende herrlich langer Ferien kommt die Jüngste des Hauses eines Abends nicht zur Ruhe, weint bitterlich und klagt, „dass die Zeit, dass alles so schrecklich schnell vergehe“. Nicht etwa nur Urlaub und Ferien, woran das Problem aber deutlich, ja unvermeidlich wird, sondern eben alles und wir dann doch wohl auch werden vergehen, so schnell. Wie kann man sie trösten?

Tränen und Klage, dass „die Zeit so schrecklich schnell vergehe“ erwartet man eher von 80jährigen als von einer Achtjährigen. Aber auch schon ein Kind kann über das Bedauern über das Ende der Ferien hinaus, diesen metaphysischen Schmerz empfinden, dass alles ein Ende hat, auch unser Leben. Vielleicht ist das Empfinden und das Erschrecken über diese Erkenntnis beim ersten Mal sogar am schrecklichsten, wenn es unsere Gewissheit einer stabilen Harmonie der Welt erschüttert: Nein, es wird nicht immer so sein, wie es jetzt ist; nein, das Leben geht nicht weiter, immer so weiter – zumindest für den nicht, der das jetzt denkt und empfindet und darüber schon als Kind in Tränen ausbrechen kann. Was kann uns trösten?

Erstmal so leicht nichts; und wir sollten uns davor hüten, uns und andere zu vertrösten. Das metaphysische Übel der Endlichkeit (Leibniz) des natürlichen Lebens ist genauso schlimm, wie es sich in den Wahrheitsmomenten unseres Lebens anfühlt, und es ist unheilbar. „Alles Fleisch ist wie Gras“, sagt die Bibel, sagen Jesaja und Petrus, und wer wissen will, wie das gemeint ist, hört nach bei Brahms – oder besser noch, singt gemeinsam in einem Chor das Brahms-Requiem und erlebt dann doch – gemeinsam singend – jenen nicht geringen Trost, den die Kunst und den die solidarische Gemeinschaft der Sterblichen vermittelt.

Gemeinsam den Zumutungen unseres Lebens begegnen und sie womöglich in Kunst zu verwandeln – oder sie wenigstens als Kunst zu genießen: beide Verfahren der Schicksalsbewältigung haben sich bewährt, aber eben nur soweit bewährt, wie unter Menschen möglich. Trotz anderslautender Gerüchte machen uns weder die Liebe noch die Kunst unsterblich, auch wenn beides, die Liebe den Tod des Liebenden und die Kunst den des Künstlers, überlebt. Aber Goethe und Mozart sind tot, Romeo und Julia auch, wir werden folgen. Was kann uns trösten?

Die Bibel und der christliche Glaube machen uns ein Angebot, das wir nicht leichtfertig ausschlagen sollten. Sie behaupten nicht, dass Gott unser Leben verlängert oder nach dem Tod zurückgibt. (Beides ist mit Auferweckung und ewigem Leben gerade nicht gemeint!) Gott belässt es bei unserer Sterblichkeit, aber er lässt uns unser Leben in einem neuen Licht sehen. Er schlägt uns einen Perspektivenwechsel vor. Nicht von uns aus sollen wir auf unser Leben schauen sondern von Gott aus. Ja, „alles Fleisch ist wie Gras und alle Herrlichkeit der Menschen wie des Grases Blume. Das Gras ist verdorrt und die Blume abgefallen; aber des Herrn Wort bleibt in Ewigkeit“ (Jesaja 40; 1. Petrus 1).

Meine Zeit steht in Gottes Händen. Unsere menschliche Lebenszeit ist eingebettet von Gottes Ewigkeit. Wir Menschen wohnen in Gottes Ewigkeit. Wir können uns an Gott halten, weil er uns hält. Dann und so gehalten können wir uns nach dem metaphysischen Schrecken über das Ende von allem wieder der Herrlichkeit des menschlichen Lebens zuwenden. Die steht nicht für sich – sondern in Gottes Händen.

Klaus Neumann, Pfarrer der Thomasgemeinde

Stadtklänge 2019

Am Samstag, 15. Juni 2019 findet in der Wiesbadener Innenstadt das Kirchenmusikfest „Stadtklänge“ statt. Von 11:30 – 17:30 Uhr bringen Chöre, Instrumentalensembles und Orgeln die Wiesbadener Innenstadtkirchen zum Klingen. Vom Kinderchor bis zur Kantorei, vom Gospelchor bis zur Band, vom Posaunenchor bis zum Flötenchor ist alles dabei, was in
den Wiesbadener Kirchen Musik macht. Ein großer musikalischer Gottesdienst in der Lutherkirche beschließt um 18 Uhr das Kirchenmusikfest.

Auch unser Kinderchor ist dabei! Zusammen mit den Chorwürmern aus Klarenthal und dem Kinderchor der Ev. Kirchengemeinde Naurod treten wir gemeinsam unter der Leitung von Gabriela Blaudow um 15.30 Uhr im Roncallihaus (Friedrichstr. 26) auf. Wir freuen uns sehr, wenn wir bekannte
Gesichter aus der Gemeinde im Publikum sehen! Das gesamte Programm gibt es unter www.stadtklaenge-wiesbaden.de.

Konfirmationsjubiläum 2019

Am Sonntag, 16.6.2018 feiern wir in einem Gottesdienst das Fest der Goldenen und Silbernen Konfirmation, in dem der Segen und der Zuspruch erneuert werden.

Die Konfirmandinnen und Konfirmanden, die in den Jahren 1969 oder 1994 (auch außerhalb der Thomaskirche) konfirmiert wurden, sind herzlich dazu eingeladen. Bitte melden Sie sich im Gemeindebüro an. Manche von Ihnen hat der Lebensweg von der evangelischen Kirche weggeführt; auch Sie sind zum Konfirmationsjubiläum eingeladen. Wir freuen uns auf Sie. Gerne können Sie sich mit Fragen oder Anregungen an uns wenden.

Wir verbinden diese Einladung mit der Bitte an unsere Gemeindemitglieder und Leser dieser Webseite, uns beim Auffinden auswärtiger Anschriften behilflich zu sein, damit wir unsere Einladungen auch an die, die unseren Aufruf nicht zur Kenntnis bekommen, verschicken können. Die Namensliste der Konfirmationsjubilare kann im Gemeindebüro eingesehen werden.