Und als sie auf dem Wege waren, sprach einer zu ihm: Ich will dir folgen, wohin du gehst.
Und Jesus sprach zu ihm: Die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.
Und er sprach zu einem andern: Folge mir nach! Der sprach aber: Herr, erlaube mir, daß ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe.
Aber Jesus sprach zu ihm: Laß die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes!
Und ein andrer sprach: Herr, ich will dir nachfolgen; aber erlaube mir zuvor, daß ich Abschied nehme von denen, die in meinem Haus sind.
Jesus aber sprach zu ihm: Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes. (Lukasevangelium 9,57-62)
Laß
die Toten ihre Toten begraben. Kein einfaches Wort in diesen
Zeiten – und sonst ja auch nicht. Denn hier wird die Nachfolge mit
der Erwartung des ganz nahen Gottesreiches verbunden. Ein Abschied
wird gefordert von allen bisherigen Bindungen und Loyalitäten um
sich ganz Jesus anzuhängen angesichts einer unmittelbar
bevorstehenden Umwälzung aller Verhältnisse durch Gott. Das passt
nicht zu uns ordentlichen Leuten in bürgerlichen Existenzen in einem
meistens gleichmäßig dahingleitenden und allseits gesicherten
Leben. Aber irgendwie gelingt es der Predigt dann doch meistens
Nachfolge und Gottesreich soweit zu domestizieren, dass sie zu uns
passen. (Und was nicht passt, wird …)
Heute
ist alles anders. Die Glocken bleiben stumm, die Kirchentür
geschlossen, die Kirche leer. Und wir hören und lesen von Menschen,
die alleine leiden und sterben müssen. Nicht nur kann ihnen
medizinisch nicht mehr geholfen werden, sondern sie bleiben auch
unbegleitet und ungetröstet durch Angehörige oder Geistliche. Lasst
die Toten ihre Toten begraben – das klingt normalerweise bloß
unpassend, heute klingt es unerträglich passend.
Ich
verstehe, dass Menschen in Seuchenzeiten voreinander geschützt
werden müssen und habe ganz nebenbei in diesen Tagen gelernt, dass
sich unsere Quarantäne (in der das lateinisch – italienische Wort
Quaranta/Vierzig wiederklingt) einer Idee aus der Bibel verdankt.
Aber es überfordert mich, dass in dieser Situation Nächstenliebe
nur in der Trennung von meinen Nächsten bestehen kann. Deshalb
sollten wir jede Gemeinsamkeit, die nicht den direkten und deshalb
gefährlichen Kontakt erfordert, um so mehr fördern und pflegen:
Winkt euch zu, ruft euch an, nutzt soziale Netzwerke!
Unsere
Quarantäne fällt in die vierzig Tage vor Ostern, die Passionszeit,
in der Christen seit jeher Verzicht einüben und Buße tun. „Das
Kreuz der Asche segne deine Umkehr“, haben Stefan Herok und – von
ihm eingeladen – auch ich den Kindern der Schumannschule am
Aschermittwoch zugesprochen. Was in den Jahren zuvor auch spielerisch
gemeint war, wird nun ernst. Die Tage und womöglich Wochen der
Quarantäne zwingen uns Verzicht auf und nötigen uns, unser Leben
auf Wesentliches zu reduzieren. Und – wie gesagt – die erzwungene
Isolation macht es so schwer, die uns Menschen gemäße und von Jesus
geforderte Gemeinschaft zu pflegen. „Sieben Wochen ohne …“
Gemeinschaft und direkte Kommunikation – darauf wäre jetzt kein
flotter Texter für fromme Passionskampagnen gekommen. (Allerdings
verlangt schon der diesjährige Slogan „Sieben Wochen ohne
Pessimismus“ dem theologischen Verstand alles ab.)
Uns
bleibt die Hoffnung auf eine Rückkehr in unser normales Leben und
die Gewissheit, das Gott uns dahin begleiten wird. Unser Predigttext
hat neben seiner Irritation eine grundsätzliche Botschaft der
Hoffnung: Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der
ist nicht geschickt für das Reich Gottes. Wir sollen nach vorne
blicken.Selbst die pessimistischste Prognose für die
aktuelle Seuche lässt die allermeisten von uns unbehelligt.
Und wenn wir jetzt nicht miteinander beten können, dann lasst uns einstweilen füreinander beten.
Bleiben
Sie gesund!
Ihr
Klaus Neumann, Pfarrer