Und Salomo trat vor den Altar des Herrn angesichts der ganzen Gemeinde Israel und breitete seine Hände aus gen Himmel und sprach: Herr, Gott Israels, es ist kein Gott weder droben im Himmel noch unten auf Erden dir gleich, der du hältst den Bund und die Barmherzigkeit deinen Knechten, die vor dir wandeln von ganzem Herzen; der du gehalten hast deinem Knecht, meinem Vater David, was du ihm zugesagt hast. Mit deinem Mund hast du es geredet, und mit deiner Hand hast du es erfüllt, wie es offenbar ist an diesem Tage. Nun, Gott Israels, lass dein Wort wahr werden, das du deinem Knecht, meinem Vater David, zugesagt hast.
Denn sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen – wie sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe? Wende dich aber zum Gebet deines Knechts und zu seinem Flehen, Herr, mein Gott, auf dass du hörst das Flehen und Gebet deines Knechts heute vor dir: (1. Könige 8, 22-24.26-28)
Joachim Neander, dessen Name ungleich glanzloser im deutschen Original als in seiner griechischen Aufwertung klingt, Joachim Neander, liebe Schwestern und Brüder, der Dichter eines unserer populärsten Kirchenlieder, „Lobe den Herren“, hat mit Freude das Lob Gottes in die Natur unter freien Himmel getragen, so wie wir ja auch und nicht nur heute. Joachim Neander hat das „Christenergötzung im Grünen“ genannt, darin wollen wir ihm folgen.
Sein Lieblingsort im Freien war nicht der Kurpark zu Wiesbaden, sondern das liebliche Tal der Düssel, das in felsig-waldiger Gegend zum Rhein führt, nach Düsseldorf nämlich, nur dass es schon seit langem seinen, des singenden Pfarrers Namen trägt, eben das „Neandertal“.
Und so heißt übrigens der Urmensch, dessen Skelett dort ausgegraben wurde, Neandertaler; er verdankt also seinen Namen zumindest indirekt, was nicht alle wissen, dem evangelischen Dichterpfarrer Joachim Neander.
Neandertaler haben in den 40000 Jahren ihres Ausgestorbenseins eher an Popularität gewonnen. Was für uns früher die Familie Feuerstein war, sind heute für unsere Kinder die Croods, Urmenschen mit fliehender Stirn, grober Natur und schlichter Gesinnung.
„Verlasse nie die Höhle!
Hab niemals keine Angst!
Alles Neue ist schlecht!“
Dieses Lebensmotto aus dem sehr unterhaltsamen Animationsfilm The Croods über eine Familie von Höhlenmenschen aus dem Jahr 2013 (also der Film nicht die Familie!), diese Lebensregel von Höhlenmenschen klingt gelegentlich auch in uns und unter uns noch nach, so wie ja auch einige Gene der Neandertaler noch in uns wirken, die wir uns für Homo sapiens halten.
Und wenn man im Landesmuseum Darmstadt vor einer Rekonstruktion des Neandertalers steht, blickt man in den Spiegel seiner selbst – Siehe da, ein Mensch! Nicht gerade hübsch, aber halt ganz so wie wir auch.
„Verlasse nie die Höhle!
Hab niemals keine Angst!
Alles Neue ist schlecht!“
Mit diesen Regeln versucht der Familienvorstand im Film seine freiheitsliebende Tochter in der Höhle zu halten. Diese Tochter Eep scheint wie so manche Pubertierende ein wenig aus der Art geschlagen und würde viel lieber unter freiem Himmel, hinaus in die Welt, hinaus in das Leben ihrer Jugend genießen, die Gefahren der Freiheit erfahren – und bestehen, was sie mit ihrer Familie in zahlreichen haarsträubenden Abenteuern in einer sich drastisch verändernden Welt dann tatsächlich auch tut.
Von den Steinzeitmenschen lernen, heißt überleben lernen; aber eben nicht, indem wir ihnen folgen, sondern indem wir unsere eigenen, neuen Wege finden.
Denn aus den einstürzenden Altbauten unserer Gewissheiten heraus, aus dem Dunkel ins Licht, aus dem Gestern ins Morgen, aus der Höhle hinaus unter den freien Himmel – auf diesen Weg ruft uns Gott, ganz besonders an einem solchen Tag wie Himmelfahrt, wenn das reichlich unwahrscheinliche aber umso spektakulärere Wunder der Himmelfahrt seines Sohnes uns aus den Höhlen lockt („Was ist denn da wieder los?!“), unseren Blick in den Himmel lenkt, und die himmlische Freiheit der Kinder Gottes ahnen lässt. Wenn uns also zugerufen wird:
Verlasst eure Höhlen!
Fürchtet euch nicht!
Singt dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder!
Oh what a wonderful world this could be.
Diesen Weg aus der Höhle heraus unter den freien Himmel beschreibt seit sehr, sehr langer Zeit ein Gleichnis, das Höhlengleichnis des ollen Griechen Platon: Es beschreibt unsere menschliche Existenz als Gefangenschaft in einer Höhle, die wir Menschen aber für das einzige, eigentliche und wahre Leben halten. Dabei ist alles, was wir sehen und erleben nur der Schatten der Dinge, die von einem Licht außerhalb der Höhle angestrahlt werden. Wenn nun einer kommt, der uns Menschen von einem Leben draußen in Freiheit unter freiem Himmel erzählt und uns herausführen will aus unserer Höhle, wenden wir uns misstrauisch, aggressiv dagegen und beharren dummdreist auf unsere selbstverschuldete Unmündigkeit.
Denn selbstverschuldet ist sie ja, sobald wir von anderen Möglichkeiten wissen, sobald wir vom Himmel außerhalb der Höhle hören. Und so übertönen wir alsbald den Ruf der Freiheit abermals mit dem Geschrei der Unmündigkeit.
„Verlasse nie die Höhle!
Hab niemals keine Angst!
Alles Neue ist schlecht!“
Aber wer könnte dem gegenüber – dem entgegengesetzt – garantieren, dass der Rufer einer neuen Freiheit recht hat? Dieser Rufer könnte sich doch irren; er könnte sogar Böses im Schilde führen – und nicht selten führt doch gerade der angestrebte Weg in die Freiheit geradewegs ins Verderben, in noch tiefere, dunklere Höhlen zurück, gar in die Hölle hinab. Aus solchen Sorgen gespeist funktionierte die Lebensregel der Höhlenmenschen erstaunlich lange.
Neandertaler haben sich ziemlich lange gehalten – bis ihnen dann doch eine fatale Verbindung aus Klimawandel, Konkurrenz und Mitgliederschwund den Garaus gemacht hat. Man schreibt ihnen, wie immer man das belegen wollte, zu, „Fortpflanzungsmuffel“ gewesen zu sein, was aber schonmal für das unternehmungslustige Höhlenmädchen in unserem Film nicht zutrifft. Auch das kein Zufall, denn sie führt ihre Familie und uns mit ihr aus der Höhle heraus – heraus unter den freien Himmel.
Dieser Himmel, auf den wir heute aufmerksam gemacht werden, steht für Gottes ungeahnte Möglichkeiten: Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen, ruft der weise Salomo in denselben. Da ist so viel mehr zwischen Himmel und Erde, als unsere Schulweisheit zu wissen glaubt. Gott und seine Möglichkeiten sind – wenn wir es denn glauben wollen – größer und weiter als unsere Ängste und Sorgen; so wie seine Liebe größer ist als unser Hass; so wie seine Gnade größer ist als unsere Schuld; seine Hoffnung so viel größer als unser Kleinmut. Davon sollen wir heute an Himmelfahrt eine Ahnung bekommen.
Höhle zu Himmel verhalten sich wie Himmel und aller Himmel Himmel – da ist immer mehr und Größeres bei Gott, auf den wir auf unserem Weg nach draußen vertrauen können. Eine Garantie, dass unsere Unternehmungen gelingen, ist das nicht, aber Grund zur Zuversicht jedenfalls.
Also, Brüder und Schwestern: Zur Sonne, zur Freiheit, zum Himmel, zum Licht, Fürchtet euch nicht!