Predigttext für den 14. Sonntag nach Trinitatis, 18. September 2022

Zu der Zeit wirst du sagen:
Ich danke dir, Herr! Du bist zornig gewesen über mich.
Möge dein Zorn sich abkehren, dass du mich tröstest.
Siehe, Gott ist mein Heil,
ich bin sicher und fürchte mich nicht;
denn Gott der Herr ist meine Stärke und mein Psalm
und ist mein Heil.
Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen
aus den Brunnen des Heils.


Und ihr werdet sagen zu der Zeit:
Danket dem Herrn,
rufet an seinen Namen!
Machet kund unter den Völkern sein Tun,
verkündiget, wie sein Name so hoch ist!
Lobsinget dem Herrn, denn er hat sich herrlich bewiesen.
Solches sei kund in allen Landen!
Jauchze und rühme, die du wohnst auf Zion;
denn der Heilige Israels ist groß bei dir!
(Buch des Propheten Jesaja 12)

Das Danklied, das wir gerade gesungen haben („Nun danket alle Gott“ EG 321) und das durchaus als Echo auf Danklieder der Bibel nachklingt, war für viele Generationen evangelischer Christen berühmt als der „Choral von Leuthen“. Was haben sie damit gemeint?

Am Abend nach der Schlacht von Leuthen, am 5. Dezember 1757, sollen die 25.000 preußische Soldaten spontan dieses Lied angestimmt haben – als Lob und Dank für einen unwahrscheinlichen Sieg, den sie unter König Friedrich dem II. – dem Großen – gegen eine österreichische Übermacht errungen hatten. Von diesem Ereignis aus ist das zuvor schon überaus populäre Kirchenlied – die 25.000 werden keine Liedblätter gehabt haben und konnten es trotzdem mitsingen – zu einer nationalen Hymne des weitgehend evangelischen Preußen geworden, wobei weder der Wortlaut selbst, noch die Melodie konfessionell evangelisch und schon gar nicht preußisch militärisch gefärbt sind, wie wir uns eben im Gesang überzeugen konnten. Man muss diese Wirkungsgeschichte nicht mitsingen, meine ich, aber ganz ausblenden kann man sie doch auch nicht.

In Kriegszeiten, in denen wir leben, lässt sich der Umgang vergangener Generationen mit Krieg und Frieden noch viel weniger ausblenden. Meine Generation hatte sich daran gewöhnt, dass Krieg ein Ereignis der fernen Vergangenheit oder ferner Länder wäre, jedenfalls nichts, was uns nahekommen oder direkt angehen könnte. (Obwohl die Redeweise von der Friedenszeit nach dem 2. Weltkrieg nie gestimmt hat.)

Nun aber haben wir eine Außenministerin, die vor Kriegsmüdigkeit warnt. Kein Tag vergeht, an dem nicht über Waffenlieferungen und taktische Finessen berichtet wird. Nicht der Abbruch von Kampfhandlungen sondern nur der Sieg soll den Krieg beenden. Noch die schlimmsten Schäden erscheinen nicht als Grund, den Krieg zu beenden, sondern als Grund, den Krieg fortzusetzen. Wir waren doch – so lange ist das nicht her – darin übereingekommen, dass Krieg nicht – und noch nicht einmal für den Sieger – zu gewinnen wäre angesichts seiner Verluste und Zerstörungen, und auf einmal macht sich der verdächtig, der einen Frieden ohne Sieg dem Krieg vorzieht. Dass wir Krieg wieder für ein Mittel halten, Frieden herzustellen, muss uns bedrücken. Mich bedrückt es.

Und deshalb – weil die Zeiten so sind – erreicht mich auch der Trost unseres biblischen Danklieds nicht mit seiner ganzen Kraft; wie ihn vielleicht auch seine ersten Hörer nicht mit ganzer Kraft traf. Denn auch sie konnten noch nicht – mit den Worten unseres Liedes gesprochen – die Fülle des Heils ausschöpfen; ihre Brunnen waren versiegt oder vergiftet, sie lebten in Zeiten des Zorns und Gottes Herrlichkeit war alles andere als bewiesen. Das Volk Gottes lebte zu Lebzeiten des Propheten im Exil oder unterdrückt im eigenen Land. Stadt und Tempel waren zerstört, das Land verwüstet. Fremde Herren bestimmten das geringe Leben im Land.

Der Dank unseres Danklieds nimmt also etwas vorweg, das noch nicht zu erleben war, das noch nicht real war, das noch in der Zukunft lag: Zu der Zeit wirst du sagen; Und ihr werdet sagen zu der Zeit – meint eine Zeit, die noch kommt, die noch aussteht; eine Zeit nach Unterdrückung und Krieg; eine Zeit nach Zerstörung und Gewalt. Wenn das alles geschehen und vergangen ist, dann ist die Zeit dieses Lobs und dieses Danks.

Zu den besonderen Gaben des Propheten gehören zum einen das Verstehen und Ansagen der Zeit; Zu der Zeit – also noch nicht jetzt! – wirst du sagen, sagt der Prophet;

und zu seinen Gaben gehören zum anderen die „Imaginationen des Friedens“ wie es Professor Scherle vor kurzem hier in der Thomasgemeinde genannt hat. Der Prophet kann sich vorstellen, wie es nach dieser bösen Zeit zu dieser anderen Zeit aussieht. Er blickt durch das Grauen des Krieges hindurch auf das zukünftige Heil durch Frieden. Er malt sich das aus und er malt es uns aus. Gerade im Buch des Propheten Jesaja finden sich kühne Bilder des Friedens:

  • Die gemeinsame Wallfahrt der Völker zum Zion
  • Gefüllte Brunnen; also die sichere Versorgung mit Wasser im von Dürre bedrohten Land
  • Der Garten, in dem wir unter Wein und Feigen sitzen werden
  • Das Umschmieden der Schwerter zu Pflugscharen
  • Friede unter den Tieren als Spiegel und Metapher des Friedens unter den Menschen: „Da wird der Wolf beim Lamm wohnen und die Panther beim Böcklein lagern. Kalb und Löwe werden miteinander grasen, und ein kleiner Knabe wird sie leiten. Kuh und Bärin werden zusammen weiden, ihre Jungen beieinander liegen, und der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind.“ – wie es ein paar Verse vor unserer Stelle heißt.

Die prophetische Überzeugung hält Frieden für möglich; Wandel durch Annäherung selbst von Carnivoren und Vegetariern; Leben ohne Gewalt und Waffen.

Dieser prophetische Überschwang soll sich zumindest im Lied auf die Gemeinde, auf die Sänger von Dank und Lob übertragen. Singend nehmen sie vorweg, was noch nicht sichtbar, noch nicht wirklich ist – aber vom Propheten für möglich gehalten wird.

Auch unser Kirchenlied „Nun danket alle Gott“ erscheint erstmals 1636, mitten im Dreißigjährigen Krieg, ein Frieden war da noch nicht in Sicht; zwölf unvorstellbar lange Jahre sollte die Verwüstung des Landes vor allem durch fremde Mächte da noch weiter betrieben werden, bis zur Erschöpfung und darüber hinaus. Erst allgemeine Kriegsmüdigkeit führte zum Frieden, der noch lange bloße Abwesenheit des Krieges und doch und deshalb schon willkommen war.

Wenn wir Gott danken und loben, haben wir allen Grund dazu, sichtbaren und spürbaren Grund; aber nicht allein und nicht vor allem deshalb sollen heute unser Dank, unser Lob erklingen; sondern um dieser Zeit willen, die Gott herbeiführen wird, wenn alle Furcht und aller Zorn vergangen sind:

Und ihr werdet sagen zu der Zeit:
Danket dem Herrn,
rufet an seinen Namen!
Amen.

Besuch in der Neuen Synagoge Mainz

Rückblick zu unserem Besuch am 19. September 2022

(Fotos: privat)

An der Stelle der alten Mainzer Hauptsynagoge steht seit 2010 die vom Architekten Manuel Herz erbaute Neue Synagoge – ein außen wie innen beeindruckender Bau – bei dem alle Formen und Materialien eine symbolische Bedeutung tragen. So greift die äußere Gestalt die fünf hebräischen Buchstaben von „Kedushah“ („Heiligkeit“) auf, die Keramikfassade erinnert an die Haptik alter Schriften auf Pergament oder Papier und damit an die Bildungstradition des Judentums. Der fast vollständige Verzicht auf rechte Winkel im Bau ist ebenfalls bewusst gesetzt, als körperlich wahrnehmbares Zeichen für den zivilisatorischen Bruch nach der Shoah in Deutschland. Geleitet wurde unsere Führung von Andreas Berg, dem an dieser Stelle für seine äußerst reichhaltigen Einblicke in diese lebendige jüdische Gemeinde und ihre lange Geschichte in Mainz noch einmal herzlich gedankt sei.

Ev. Thomasgemeinde und Kath. Kirchort St. Mauritius

https://www.jgmainz.de/besucher/besucher/neuesynagoge.php

https://www.andreas-berg.eu/kontakt/

Konzert zum Sommerausklang

Rückblick zum 11.9.22

(Fotos: David Eggert)

Kurz vor Beginn verzog dann doch noch das feuchte Wetter, der Flügel konnte behutsam vor die Türen der Kirche gerollt werden und später war der Himmel sogar strahlend blau: Vor einer großen Zuhörerzahl gaben Gabriela Blaudow (Klavier), Lisa Rau (Gesang) und Britta Roscher (Flöte) ein sommerliches Open air-Konzert mit Werken von Händel, Haydn, Debussy, Leonard Bernstein u.v.a. Das Publikum applaudierte begeistert. Mit einem Gläschen Sekt oder Saft klang dieser musikalische Sommerabschluss unter den Kastanien aus.

In Zusammenarbeit mit dem Kulturamt der Landeshauptstadt Wiesbaden

Wechsel im Ökumenischen Kindergarten

Ev. Thomasgemeinde und Kath. St. Mauritiusgemeinde

Das neue Kindergartenjahr beginnt mit einer großen Veränderung für die Kita. Zum 31. August verlässt Siena Zimmermann (Mi. im Bild) den Kindergarten nach über zehn Jahren als Leitung, es übernimmt nun Carola Schütze (li.) ab dem 1. September. Stellvertretende Leiterin wird Dorota Zawadzki (re.), ebenfalls ab dem 1. September. Zu diesem Wechsel haben die drei jeweils einen persönlichen Beitrag geschrieben, den wir auch an dieser Stelle veröffentlichen. Wir wünschen Frau Zimmermann, Frau Schütze und Frau Zawadzki einen guten Start in ihren neuen beruflichen Abschnitt!

Der Mensch denkt, Gott lenkt… auch wenn es anfänglich gar nicht geplant war, übernahm ich vor über 10 Jahren die Leitungsposition im Kindergarten. Der Anfang war sehr turbulent und erforderte viel Flexibilität. Nach und nach fand ich mich immer mehr zurecht und durfte im Laufe der Zeit viel lernen, lachen, Probleme aller Art lösen, viele Kinder und deren Eltern eine kurze Zeit oder ein langes Stück ihres Weges begleiten. Mit meinem Team erlebte ich Unglaubliches, Berührendes und viele wunderbare Momente, die ich sicherlich nicht vergessen werde. Besonders bedanken möchte ich mich bei Achim Hoock, der immer an mich glaubte und unterstützte. Auch wenn mir der Abschied sehr schwerfällt, bin ich froh, dass meine Leitungskollegin Carola Schütze die Leitung übernimmt. Sie war die Erste, die ich eingestellt habe und wurde sehr schnell zu einer unentbehrlichen Kollegin, mit der ich nun auch schon lange befreundet bin.  Ich vermisse den Kindergarten schon jetzt und hoffe sehr, dass ich in meiner neuen Arbeit genauso viel Spaß haben werde wie hier. 

Siena Zimmermann

Angefangen mit einem Halbjahresvertrag zur Aushilfe werden es im September nun schon 10 Jahre, die ich hier im Ökumenischen Kindergarten tätig bin. Zu Beginn durfte ich in der Raupengruppe im Elementarbereich mit den Eltern, Kindern und Kollegen eine tolle Zeit verbringen.  Nach einiger Zeit wurde meine Hauptgruppe das Büro und zusammen mit Frau Zimmermann durfte ich den Kindergarten leiten. Gemeinsam haben wir zahlreiche Herausforderungen gemeistert, kleine und große Anliegen – auch das eine oder andere Mal auf sehr kreative Weise gelöst, super Veranstaltungen – auch außergewöhnliche – organisiert, hatten viel Spaß und Freude zusammen und waren ein tolles Team. Für ihren neuen Weg wünsche ich Frau Zimmermann von Herzen nur das Beste. Auch wenn ich Frau Zimmermann sehr vermissen werde, freue ich mich auf die gemeinsame Zusammenarbeit mit Frau Zawadzki. Gemeinsam werden wir weiterhin unser Bestmögliches für die Einrichtung, das Team, die Kinder, die Eltern, den Vorstand und unsere Einbindung in die Gemeinde geben.

Carola Schütze

Mein Abenteuer im Ökumenischen Kindergarten begann bereits vor 9 Jahren. Als Mutter von zwei Kindern, die damals die Einrichtung besucht haben, konnte ich die konzeptionellen Ansätze, die pädagogische Arbeit und die schöne Zeit hier bereits kennenlernen und erleben. Heute arbeite ich selbst als Erzieherin und bin nun seit über 3 Jahren in der Einrichtung im Elementarbereich tätig. Die stets bewegenden, aber auch lustigen Momente mit den Kindern, die Gespräche mit den Eltern und die wertvolle Teamarbeit bereiten mir viel Freunde, motivieren mich sehr und geben mir Kraft in meinem beruflichen Werdegang. Offiziell warten ab September auf mich neue Herausforderungen. Als neue stellvertretende Leitung werde ich Fr. Schütze bei der Arbeit tatkräftig unterstützen. Ich freue mich weiterhin auf eine gute Zusammenarbeit, sowohl mit den Kindern, den Eltern, aber auch mit den Kollegen, mit dem Vorstand und allen Partnern und Unterstützern der Ökumene.

Dorota Zawadzki 

„Selig sind, die Frieden stiften…“ – Ist der christliche Pazifismus wirklich am Ende?

14. September: Zweiter Gemeindeabend zum Thema Pazifismus zusammen mit der Thalkirchengemeinde Sonnenberg!

Seit dem 24. Februar 2022, als das russische Militär die Ukraine völkerrechtswidrig und brutal angegriffen hat, sind viele Gewissheiten in der westlichen Politik, aber auch für das christliche Selbstbewusstsein in Zweifel geraten. An zwei Abenden wollen die Ev. Thalkirchengemeinde und die Ev. Thomasgemeinde diesen Zweifeln und Fragen intensiv nachgehen und möglichst Antworten finden, die für das weitere Nachdenken und Diskutieren hilfreich sind. 

Am Mittwoch, 7.9.22, um 19.30 Uhr, freuen wir uns auf Pfarrerin Gabriele Scherle, ehemals Friedenspfarrerin der EKHN und Pröpstin von Rhein-Main, sowie Prof. Dr. Peter Scherle. Er war bis 2020 Direktor des Theologischen Seminars der EKHN in Herborn und ist bekannt für seine ethischen Stellungnahmen aus theologischer Sicht. Zu ihrem gemeinsamen Vortrag mit anschließender Diskussion laden wir in die Thomasgemeinde in der Richard-Wagner-Str. 88 ein.

Am zweiten Abend, Mittwoch, 14.9.22, um 19.30 Uhr, werden die Pfarrer Thomas Hartmann und Dr. Klaus Neumann mit zwei Bibelarbeiten das Gespräch weiter vertiefen. Sowohl im kirchlich so genannten Alten wie auch im Neuen Testament finden sich elementare Stellen zum Thema Krieg und Frieden, die eine große geistige und geistliche Wirkung entfaltet haben. Beispielhafte Stichworte: Schwerter zu Pflugscharen – Auch die andere Wange hinhalten – Liebe deine Feinde. Auch dazu herzliche Einladung, diesmal ins Gemeindehaus der Thalkirchengemeinde in die Kreuzbergstraße 9. 

Rückblick: Über die Grenzen hinaus… Spaziergang mit den ev. Nachbargemeinden

Vier Gemeinden, ein Weg – gemeinsam spazierten wir am Sonntag, 10. Juli 2022, von der Ev. Kirche Rambach auf dem „Pfaffenweg“ am Wald zur Sonnenberger Thalkirche, dann durch den Kurpark weiter zur Versöhnungsgemeinde, wo wir mit einer Erfrischung überrascht wurden, und schließlich durch das Tennelbachtal hoch zur Thomasgemeinde. Für viele von uns war es besonders interessant, die benachbarten Kirchen auch einmal von innen näher kennenzulernen. Beim Picknick unter den Bäumen vor der Thomaskirche ging der sonnige Nachmittag entspannt zuende.

Fotos: K. Neumann und T. Reinefeld

Predigttext für den zweiten Sonntag nach Trinitatis, 26. Juni 2022

Und es geschah das Wort des Herrn zum zweiten Mal zu Jona: Mach dich auf, geh in die große Stadt Ninive und predige ihr, was ich dir sage! Da machte sich Jona auf und ging hin nach Ninive, wie der Herr gesagt hatte. Ninive aber war eine große Stadt vor Gott, drei Tagereisen groß. Und als Jona anfing, in die Stadt hineinzugehen, und eine Tagereise weit gekommen war, predigte er und sprach: Es sind noch vierzig Tage, so wird Ninive untergehen. Da glaubten die Leute von Ninive an Gott und riefen ein Fasten aus und zogen alle, Groß und Klein, den Sack zur Buße an.Und als das vor den König von Ninive kam, stand er auf von seinem Thron und legte seinen Purpur ab und hüllte sich in den Sack und setzte sich in die Asche und ließ ausrufen und sagen in Ninive als Befehl des Königs und seiner Gewaltigen: Es sollen weder Mensch noch Vieh, weder Rinder noch Schafe etwas zu sich nehmen, und man soll sie nicht weiden noch Wasser trinken lassen; und sie sollen sich in den Sack hüllen, Menschen und Vieh, und heftig zu Gott rufen. Und ein jeder kehre um von seinem bösen Wege und vom Frevel seiner Hände! Wer weiß, ob Gott nicht umkehrt und es ihn reut und er sich abwendet von seinem grimmigen Zorn, dass wir nicht verderben. Als aber Gott ihr Tun sah, wie sie umkehrten von ihrem bösen Wege, reute ihn das Übel, das er ihnen angekündigt hatte, und tat’s nicht. (Buch des Propheten Jona 3,1-10)

„Das glaube ich nicht!“, ruft eine meiner Schülerinnen aus der 6. Klasse laut in den Unterricht bei vielen passenden und bei noch viel mehr unpassenden Gelegenheiten. Das nervt manchmal, weil der Reliunterricht in der Schule ja nun gerade kein Glaubensbekenntnis erfordert, sondern eigentlich Kenntnisse über die Religion vermitteln soll, unabhängig vom eigenen Glauben. Unterricht – auch Reliunterricht – ist kein Gottesdienst. Auch in Mathe muss niemand an die binomischen Formeln glauben oder sie verehren – sondern sie kennen. Andererseits erleichtert einem natürlich der eigene Sinn und Geschmack fürs Unendliche den Zugang zum Thema; man hat dann schonmal eine Ahnung, worum es geht und wieso das interessant sein könnte: Gott und die Welt und der ganze Rest; übrigens auch die Welt der Zahlen als Abbild der Schöpfung aus Gottes grenzenloser Barmherzigkeit.

Hier bei unserer Geschichte könnte uns auch so ein Ausruf „Das glaube ich nicht“ herausrutschen: Kommt einer nach Gottes Auftrag in eine Großstadt, stellt sich hin vor die Leute, sagt ihren Untergang voraus, und die Zuhörer – schon dass er welche findet im Getümmel der Stadt, klingt reichlich unglaubwürdig – also die Zuhörer glauben ihm nicht nur, sondern ändern ihr Verhalten – und zwar allesamt, die ganze Stadt, sogar der König – sie fasten und kleiden sich in Sack und Asche zum Zeichen der Buße, kehren um: komplett unglaubwürdig! „Das glaube ich nicht!“

Stellen sie sich unseren Propheten in einer Großstadt vor, durchaus mit Ausblick auf Symbole einer möglichen Katastrophe, die ja Warnung sein könnten – vielleicht im Frankfurt der Bankentürme, oder in Neapel im Angesicht des Vesuvs, oder jede beliebige Metropole im Februar des Jahres 2020, also kurz vor dem weltweiten Ausbruch der Pandemie: Ist es da überhaupt denkbar, dass mehr als nur eine Handvoll Zuhörer dem Unheilspropheten folgte und das Verhalten änderte, die Gefahrenzone verließe und Sicherheitsmaßnahmen befolgte – und zwar bevor der ganze Schlamassel losgeht? Keine Chance; ganz im Gegenteil, noch während oder kurz nach einer katastrophalen Krise kehren wir garantiert zurück in den alten Trott, auf die alten morschen Holzwege, in die Sackgassen neuer Krisen und Katastrophen. Ehrliche Reue, wirkliche Umkehr, nachhaltige Veränderungen – unglaublich! Meiner Schülerin ist in dieser Sache zuzustimmen: „Das glaube ich nicht!“

Und doch verklingt, verweht die Stimme des Propheten nicht; und doch lesen wir das Buch und die Worte des unbekannten Autors bis heute; erfreulicherweise etwas häufiger bei uns nach der letzten Lesereform der evangelischen Kirche (nicht alle Kirchenreformen sind Pfusch!); aber noch nicht ganz so regelmäßig und häufig wie unsere jüdischen Schwestern und Brüder, die das Buch Jona jährlich im Herbst am Jom Kippur, dem großen Versöhnungstag, dem höchsten jüdischen Feiertag, als gottesdienstliche Festtagslesung lesen und hören.

Stellen Sie sich den Neujahrsmorgen und Karfreitag zusammen vor, alles ist still, kein Geschäft ist geöffnet, kein Mensch geht seinen Geschäften an, das normale Leben ist unterbrochen – so begehen Juden in ihren Gemeinwesen diesen Feiertag; man bleibt Zuhause; geht nicht herum, geht nur in die Synagoge: spricht nicht, isst nicht, wäscht sich noch nicht einmal, verzichtet sogar aufs Deo, von anderen noch privateren Verrichtungen zu schweigen; ein gesteigerter Sabbat, Schabbat Schabbaton wird er genannt, der Sabbat der Sabbate.

In der Schule – der Lehrplan sieht in der sechsten Klasse gerade das Judentum als Thema vor – haben wir versucht, den Charakter dieses Tages nachzuvollziehen. Wir sind natürlich schnell auf die Erfahrung des ersten Lockdowns vor zwei Jahren gekommen, der ja auch unser normales Leben zum Erliegen gebracht hat, der uns weitgehend Zuhause gehalten hat, der uns auf uns selbst geworfen hat. Bei allen solchen Ähnlichkeiten sind aber die Unähnlichkeiten zum religiösen Ruhetag noch viel größer: der Jom Kippur unterbricht das normale Leben präzise nur für diesen einen Tag; man weiß genau, wann er endet und dass anderntags, am nächsten Morgen das Leben – aber hoffentlich nicht einfach nur das alte Leben – wieder weitergeht; und das Thema dieses geplanten und genau terminierten religiösen Lockdowns ist nicht die Angst vor einer unheimlichen Krankheit und der Schutz vor ihr; wenn auch der Versöhnungstag durchaus die Sorge um das Leben, aber eben weniger die Sorge um den Leib sondern um die Seele thematisiert: es geht um mein Verhältnis zu Gott.

Am Jom Kippur treten Juden vor Gott – indem sie von ihrem eigenen Leben einen Moment zurücktreten. Die Zeit, die sie durch Nichtstun gewinnen, widmen sie ihrer Gottesbeziehung. Um sich ganz und gar unabgelenkt vor Gott zu stellen und damit nichts anderes ihre Gedanken beschäftigt, sind Juden gehalten, in der Zeit vor diesem Feiertag ihre Verhältnisse zu ordnen, ihre Schulden zu begleichen, nicht nur die finanziellen, die auch, aber vor allem die sozialen und emotionalen Schulden, begangenes Unrecht gutzumachen, sich mit seinen Gegnern zu versöhnen: erst mit den Mitmenschen ins Reine zu kommen, um mit Gott ins Reine zu kommen. Und dann, indem die Juden am Versöhnungstag Versöhnung mit Gott für möglich halten, wird sie wirklich. Versöhnungsbereit erleben sie den versöhnenden Gott.

Denn das war ja das Unglaublichste unserer Jonageschichte; noch nicht die erstaunliche Aufmerksamkeit einer Stadtgesellschaft für ihre, also für unsere Lebensprobleme, noch nicht die Einmütigkeit der Reaktion und auch noch nicht die Bereitschaft der Menschen zur Umkehr, sondern – eigentlich und viel mehr – die Umkehr Gottes. Gott kehrt um (auch die hebräische Bibel verwendet dieselbe Vokabel für den Sinneswandel von Mensch und Gott gleichermaßen); Gott reut sein Tun; Gott verändert sich im und durch das Verhältnis zu den Menschen. Gott ist veränderlich. Darf Gott so sein? Und darf ich das von Gott denken?

Also Jona meint bekanntlich erstmal: nein! Das wäre ja noch schöner, wenn Gott sich nicht nach unseren Regeln und Erwartungen verhielte, Jona setzt sich hin und schmollt erstmal. Er braucht ein paar Tage in Hitze und Sonnenlicht bis ihm ein Licht aufgeht und die Geschichte – wie die meisten Märchen – auch für ihn gut ausgeht.

Für uns Leser und Hörer bleibt die Erkenntnis, dass Gott immer größer ist als unser Denken über ihn, und dass auch seine Bereitschaft zur Barmherzigkeit keine Grenzen kennt. Und in dieser Erkenntnis liegt das Geheimnis begründet, dass der jüdische Tag der Gottesbegegnung als Versöhnungstag, Jom Kippur gefeiert wird. Wer sich in aller Ehrlichkeit Gott öffnet, kann mit Versöhnung rechnen. Indem wir Versöhnung mit Gott für möglich halten, wird sie wirklich. Gott für wahr zu halten, heißt, ihn als Versöhner für wahr zu halten; heißt, ihn für meinen Versöhner zu halten.

Können wir das glauben? Meine ungläubige Sechstklässlerin jedenfalls würde sich zu Jona in die Ecke setzen, eine Runde mitschmollen und alsbald und unaufgefordert ihr trotziges „Das kann ich nicht glauben!“ in die Runde geben.

Aber das muss ja nicht das letzte Wort bleiben. Amen.

Jugendfreizeit in die Toskana vom 22. Juli bis 6. August 2022

Ev. Thomasgemeinde und Ev. Versöhnungsgemeinde

Es sind noch Plätze frei… Wir freuen uns auf Eure Anmeldung! Alle Informationen erhaltet Ihr beim Gemeindepädagogen Achim Hoock (Tel. 0611/565160)

Wie jedes Jahr startet auch im Jahr 2022 die Jugendfreizeit in den Sommerferien. Wir haben uns für ein schönes Haus in Assisi im Herzen des historischen Umbriens entschieden. Die Gruppenunterkunft liegt eingebettet in einen 4 Hektar großen Olivenhain und ist nur 500 Meter von der Basilika San Francesco entfernt. Zu Fuß ist man in wenigen Minuten im Stadtzentrum. Wir machen Ausflüge in die Toskana und unternehmen viele Aktivitäten im und um das Haus. Und natürlich kochen wir auch wieder selbst.  An der Freizeit können 40 Jugendliche im Alter von 13 bis 17 Jahren teilnehmen. Der Teilnehmerbeitrag beträgt 615 Euro. 

(Fotos: privat)

Bilder vom ökumenischen Johannisgottesdienst mit Johannisfeuer

Freitag, 24. Juni 2022, 21.00 Uhr

Ev. Thomasgemeinde und Kath. Kirchort St. Mauritius

Der Gottesdienst zum Namenstag von Johannes dem Täufer, gestaltet von Stefan Herok und Klaus Neumann und musikalisch begleitet von Gabriela Blaudow, fand aufgrund der feuchten Witterung kurzerhand nicht vor, sondern in der Thomaskirche statt und schloss mit dem Johannisfeuer und einem mittsommerlichen Umtrunk auf dem Kirchplatz ab.